#Anthologie

Gegen den Zeitgeist

Franz Grillparzer

// Rezension von Iris Denneler

Grillparzer? – unbekannt. Zumindest was seine Präsenz in deutschen Schulbüchern und auf deutschen Bühnen angeht. In Österreich dagegen ist der Klassiker zum Nationaldichter erhoben, was ihm wohl größere Verbreitung beschert, seinem Ruf aber eher schadet. Diesseits und jenseits der Alpenrepublik also trübe Rezeptionsaussichten. Liegt es daran, daß der Dramatiker, zum Pflichtprogramm degradiert, schon vor jeder Lektüre Widerstände provoziert, oder daran, daß er damals wie heute gegen den Zeitgeist schrieb?

Immerhin gehört zu den vieldiskutierten Absonderlicheiten seines Lebens die Tatsache, daß er sich in der Mitte seines Schaffens aus der Öffentlichkeit zurückzog. Wider den Zeitgeist zu stehen – so muß er es selbst empfunden haben. Dabei entstanden gerade die heute bekanntesten Dramen – „Die Jüdin von Toledo“, „Libussa“ und „Ein Bruderzwist in Habsburg“ – in dieser späten Zeit, waren für die Schublade geschrieben und doch sein Vermächtnis. Heute wäre Grillparzer, nicht anders als früher, als Unbekannter erst noch zu entdecken; etwa in seinen Aussagen zur Literatur, zu Wissenschaft, Poesie und Politik, zum Theater oder zur Musik und als unnachahmlicher Seelenzergliederer.

Ekkehart Krippendorff hat, um Abhilfe zu schaffen, Auszüge aus seinem Werk zusammengestellt, thematisch gegliedert und unter dem Titel Gegen den Zeitgeist herausgegeben. Ein schmales Büchlein zum Quer- und Längslesen, geplant zur Entdeckung von Konservativem und Progressivem, Aktuellem und Überholtem, Menschlich-Allzumenschlichem und immer eine treffliche Zeitdiagnostik. Dennoch – schon nach wenigen Seiten des Blätterns erhebt sich die Frage, ob uns diese Form der Präsentation Grillparzer wirklich näher bringt oder nicht gerade das, was als Rezeptionserschwernis benannt wurde, zementiert. Ein ungutes Gefühl bleibt dann auch bis zum Schluß angesichts dieser literarischen Brosamen, deren Auswahl ganz und gar der Subjektivität des Herausgebers überlassen ist. Schon die Überschriften – „Aphoristisches“, „Literatur, Wissenschaft, Poesie – und Goethe“, „Politisches“, „Die Kunst des Regierens“, „Über Geschichte“, „Italienische Reise (1819)“, „Österreich“, „Der Mensch“ (um nur einige zu nennen) – lassen vermuten, daß die literarischen Häppchen nur Oberflächliches vermitteln können. Allzuviel des Auswählenden fließt hier mit ein, zumal Schnitte und Auswahlkriterien nicht begründet werden. Und dem Leser ergeht es wie beim Genuß eines undefinierbaren Eintopfs, bei dem durch allzuviele Zutaten und allzulanges Eindampfen der Geschmack am Einzelnen verdorben wird. Unbehagen also sowohl bei uns befremdenden wie bei aktuellen Aussagen, bei aphoristischen Weisheiten wie bei Reden und Gedichten. Nur unzureichend ist abzuschätzen, was dabei auf das Konto des Autors, was auf die Eingriffe des Herausgebers geht. Dabei wäre alles so einfach gewesen: in der alten Hanser-Ausgabe, auf die sich die vorliegende Auswahl stützt, findet sich nicht nur der Fundort der Zitate, sondern auch der entsprechende Kommentar dazu. Allerdings auch dies schon eine Auswahledition. Doch wo bleibt bei diesen mehrfachen Destilliervorgängen Grillparzer?

Gerade wenn man eine Rubrik wie „Zeitdiagnosen“ ernst nimmt, müssen Kontexte mitgeliefert werden. Nicht nur macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man sich als Autor in einem Brief, einem Essay, dem intimen Tagebuch äußert, oder sich innerhalb des literarischen Werks der Öffentlichkeit anvertraut, zu erwarten sind auch unterschiedliche Grade von Anspielungen und Verweisen, die nur durch kommentierende Worte erschlossen werden können. Wie aber soll ein Leser überhaupt das Widerständige abschätzen, wenn er die historische Situation nicht kennt, viel weniger den Zeitgeist? Geradezu ärgerlich wird dieser fehlende Horizont, wenn man im Kapitel „Satirisches“ liest, eine Textsorte, die ja bekanntlich mit versteckten Seitenhieben arbeitet. Wer aber bitte weiß, wer Herr Hirzel war und was er mit Herrn Strauß zu tun hatte? So aber bleibt allein der Sprachwitz, die Eleganz der Formulierungen, die Freude an der Persiflage. Nicht wenig! – aber die Intention dieser Texte verfehlt es doch. Mit bibliographischen Verweisen allein (gerade mal sieben Zeilen „zu dieser Ausgabe“) sind ein Zitat, ein Gedicht, eine Rede noch lange nicht dingfest gemacht. Zu viel Opfer also für einen rigoros auf Vademekumgröße zurechtgestutzten Grillparzer.

So hat diese Textsammlung, die uns Geschmack auf einen verkannten Klassiker machen soll, etwas Geschmäcklerisches, und – sie verbreitet die Langeweile eines Erbauungsbuchs. Hier wird, wider besseren Wissens, Grillparzer zur gefälligen Konsumtion zurechtgestutzt, das heißt, letzten Endes weit weniger aktuell und brisant präsentiert, als es seine Erzählungen und Stücke sind. Zum Grillparzer-Leser wird man dadurch nicht. Und damit geschieht genau das, was der Herausgeber bedauert: man legt den Autor zu den Akten, mumifiziert ihn als Hoftheaterdichter, nimmt dem Widerständigen den Stachel. Nein – ein Appetizer wurde das nicht, eher etwas für den Gabentisch: schön aufgemacht, zum ungelesenen Einstellen ins Bücherregal. Empfehlung deshalb: Grillparzer pur, und, für die Dramaturgie seine Wiederentdeckung im Theater.

Franz Grillparzer Gegen den Zeitgeist
Textsammlung.
Hg. u. Nachwort: Ekkehart Krippendorff.
Frankfurt am Main: Insel Verlag, 2002.
86 S.; brosch.
ISBN 3-458-34542-6.

Rezension vom 09.07.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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