#Prosa

Für eine andere Literatur

Florian Neuner

// Rezension von Friedrich Hahn

Vorhang auf!

Rezensionen zu Büchern sind der Normalfall. Wenn das Buch aber Rezensionen beinhaltet, dann ist es eine Rezension über Rezensionen. Und wenn eine dieser rezensierten Rezensionen selbst eine Rezension zum Inhalt hat, dann ist es die Rezension einer rezensierten Rezension. Zu kompliziert?

Nicht wirklich. Die Überschrift verrät es. Es sind nicht irgendwelche Bücher von irgendwelchen Autor*innen, die Neuner hier versammelt hat. In einem Postscriptum gibt er selbst Auskunft über die Richtung: „…dass ich zunehmend als Zeitverschwendung betrachte, mir die Bücher der Grünbeins, Handkes und Kehlmänner en detail anzuschauen…“. Und: „…dass meine Texte im besten Fall als so etwas wie Fragmente einer anderen Geschichte der Gegenwartsliteratur betrachtet werden können.“ Florian Neuner geht es, wie schon der Titel sagt, um eine bestimmte, um die andere Literatur. Eine Literatur abseits des Mainstreams. Mit seinen Rezensionen, Essays und theoretischen Abhandlungen holt er weniger beachtete Autor*innen und ihre Werke in die vorderste Reihe, vor den Vorhang. Vor seinen Vorhang.

Die Wahl, die Neuner bei seinen Besprechungen, Essays und Analysen trifft, hat natürlich viel mit ihm selbst zu tun. Florian Neuner ist seit 2001 schon des Öfteren selbst als Autor in Erscheinung getreten. Auffallend ist auf den ersten Blick natürlich die Nähe zu Heimrad Bäckers Gruppe NEUE TEXTE. Als gebürtiger Welser (Jahrgang 1972) ist schon allein die geografische Nähe zu Linz vielleicht ein Grund für das spezielle Interesse an Autor*innen wie Waltraud Seidlhofer, Christian Steinbacher, Elfriede Czurda, oder auch an dem Objektkünstler Josef Bauer, der als 85-jähriger 2019 eine große Personale im 21-Haus ausgerichtet bekam.

In den 70er-Jahren war Heimrad Bäckers Zeitschrift NEUE TEXTE ein Zentrum der avantgardistischen Literatur. Chris Bezzel, Dieter Roth, aber auch Ernst Jandl, Friederike Mayröcker und Gerhard Rühm zählten zum fixen Personal, die regelmäßig in den NEUEN TEXTEN veröffentlichten. Über all diese Autoren ist in Neuners „anderer Literatur“ zu lesen. Manches ist schon Geschichte (so ist Josef „Pepsch“ Bauer März 2022 verstorben), aber Neuners Besprechungen sind so lebendig, als hätte der neoavantgardistische Diskurs erst jüngst eingesetzt.

Der vorliegende Band ist also in zweifacher Hinsicht eine Entdeckung. Als Almanach der literarischen Avantgarde. Und als indirektes Portrait eines umtriebigen Autors, Essayisten, Vernetzers, Herausgebers und Zeitschriftenmachers. Eines bedingt das andere. Denn wie heißt es doch so schön: Man muss hundert Seiten lesen, um selbst eine zu schreiben. (sic)
Wer mehr über Florian Neuner wissen will, wird übrigens im Vorwort von Thomas Ernst, seines Zeichens Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Antwerpen, fündig.

Florian Neuner Für eine andere Literatur
Reaktionen, Rezensionen, Interventionen. Essay.
Wien: Klever, 2022.
270 S.; brosch.
ISBN 978-3-903110-87-8.

Rezension vom 22.11.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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