#Roman

Fünf Tage im Mai

Elisabeth R. Hager

// Rezension von Angelo Algieri

Wie geht man mit Verlusten um? Gar mit dem Tod eines geliebten Menschen? Woher nimmt man die Kraft, weiter zu machen, weiter zu leben? Wie geht man mit (vermeintlicher) Schuld am Tod eines Geliebten um? Und: Wie kann man am Ende doch noch lieben?

Diese und andere große Fragen stellt die Schriftstellerin Elisabeth R. Hager in ihrem zweiten Roman Fünf Tage im Mai, der im Stuttgarter Klett-Cotta Verlag erschienen ist. Hager ist 1981 in St. Johann in Tirol geboren, studierte in Innsbruck, Aix en Provence sowie in Berlin. Nach Texten in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlichte sie 2011 ihren Debütroman „Kometen“ im Wiener Milena Verlag. Neben Prosa hat sie auch Hörspiele und Libretti verfasst. Für ihre Arbeiten hat sie bereits zahlreiche Stipendien und Preise erhalten, wie etwa das Hilde-Zach-Literaturstipendium und das Projektstipendium des österreichischen Bundeskanzleramts.

Doch nun zum Plot des Buches, dessen fünf Kapitel sich jeweils einem Tag im Mai widmen, in verschiedenen Jahren – 1986, 1996, 1998 und zwei Mal 2004. Im Mittelpunkt steht ein liebenswertes Duo: die Ich-Erzählerin Illy und ihr Urgroßvater, den sie Tat’ka nennt. Er ist der letzte verbliebene Fassbinder in einem Tiroler Ort zwischen Wildem Kaiser, Kitzbühel und Niederkaiser – also in jener Gegend, wo die Schriftstellerin herkommt. Im ersten Kapitel ist Illy sieben Jahre alt und erhält die Erstkommunion, die für Illy etwas unglücklich verläuft. Später sitzt sie bei ihrem Urgroßvater in der Werkstatt und macht Hausaufgaben. Sie schlägt ihren Weltatlas auf und Tat’ka erzählt ihr von der größten und der kleinsten Insel der Welt und dass Tristan da Cunha die entlegenste, einsamste Insel sei. Und genau dort, neben der einsamsten Insel, steht auf der Atlasseite auch der Name von Tristan Unger, einem Vorbesitzer des Schulatlasses. Genau diesen Tristan Unger wird sie zehn Jahre später – wir sind bereits im zweiten Kapitel – per Zufall kennen lernen. Sie verliebt sich unsterblich in ihm. Er führt, so glaubt Illy, ein freies und verwegenes Leben, was sie äußerst sexy findet. Dazu passt, dass er der Frontmann einer Heavy-Metal-Band ist. Obwohl der Ort nicht groß ist, hat Illy ihn und seine Freunde bisher nicht zur Kenntnis genommen, weil sie wohl aus der Unterschicht stammen. Illy ist zunächst neugierig auf sie. Allerdings schlägt ihr bald Verachtung entgegen, da sie von der Clique als etwas Besseres wahrgenommen wird.

Diese Liebe soll deshalb auch nicht sein. Die Eltern von Illy verbieten den Umgang mit Tristan. Aber das hindert das Liebespaar nicht daran, sich weiterhin im Verborgenen zu treffen. Wir ahnen es bereits: Diese Geschichte kann nicht gut ausgehen. Im dritten Kapitel ist Illy 19 Jahre alt und steht kurz vor der Matura. Sie ist immer noch mit Tristan zusammen, auch wenn sie ihn anstrengend findet, vor allem wenn sie zusammen mit seiner Clique ausgehen. Wie an jenem Tag Ende Mai 1998, als Tristan und seine Freunde beschließen, auf einen der umliegenden Berge zu fahren, um dort zu grillen. Es ist Nachmittag, die Sonne knallt auf die trinkenden Freunde. Als der Alkoholvorrat zu Ende geht, fahren Anton, ein Freund von Tristan, und Illy zur nächsten Tankstelle und kaufen dort frisches Bier ein, aber auch Zigaretten für Antons Mutter. Diese wollen sie nur schnell abliefern, doch aus dem kurzen Aufenthalt wird ein längerer. Sie essen gemeinsam zu Abend, reden angeregt miteinander. Erst in der Abenddämmerung brechen sie schließlich auf und gelangen zurück zur Grillstelle, wo der eifersüchtige Tristan von den verbliebenen Freunden aufgestachelt wurde: Illy erhält unvermittelt einen kräftigen Schlag, so dass sie zu Boden fällt, sich den Kopf an einem Felsen aufschlägt. Benommen sieht sie, wie Anton von den Freunden festgehalten wird und Tristan im Feuer eine Kette zum Glühen bringt …

Elisabeth R. Hager beschreibt in diesem Roman treffend, wie ihre verschiedenen Charaktere Verluste erfahren. Sei es Illy, die den geliebten Tristan verliert, sei es Tat’ka, dessen Verlobte bei einem Schiffsunglück umkommt. Auch der Verlust von Heimat fügt sich in diesen Reigen sehr gut ein: Tat’ka verliert in seiner Kindheit die k.u.k-Monarchie samt Kaiser und bezeichnet sich ironisch als „Herr ohne Diener“. Doch auch seine Handwerkskunst, das Fassbinden, geht durch die Modernisierung verloren. Und dennoch ist es kein Nostalgieroman geworden, Hager zeigt vielmehr, dass in der sogenannten Provinz erschütternde Veränderungen geschehen. Ähnlich wie sie Reinhard Kaiser-Mühlecker in seinen Romanen, die meist in Oberösterreich angesiedelt sind, beschreibt. Außerdem geht es um die Überwindung von Verlustschmerzen. Während sich Tat’ka in seinem langen Leben der Trauer stellt und wieder Kraft schöpft, rennt Illy weg – vor sich und ihrem Ort. Das Studium führt sie nach Innsbruck und Marseille. Sie kommt kaum mehr zu Besuch. Erst zum 100. Geburtstag ihres Urgroßvaters erscheint sie wieder und lernt von ihm, wie sie mit dem Schmerz umgehen kann.

Noch etwas Besonderes: Elisabeth R. Hager gelingt es, die Atmosphäre und Jugendkultur der 1990er Jahre wieder lebendig werden zu lassen. Das Zeitkolorit spiegelt sich vor allem in den Dialogen unter den Freunden wider, Tiroler Mundart inklusive.
Formal gesehen sind die fünf Kapitel des Romans nicht nur ein Hinweis auf den fünften Kalendermonat, sie erinnern auch an fünfaktige Dramen. Analog zum Drama stellt das dritte Kapitel den Höhepunkt dar. Außerdem gibt es Parallelen und Querbezüge zum berühmten mittelalterlichen Versepos „Tristan“ von Gottfried von Straßburg und der noch bekannteren Oper „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner, in der es auch um eine verbotene Liebe, Wagnis und Verlust, Liebessehnsucht und Liebestod geht.
Elisabeth R. Hager hat mit Fünf Tage im Mai einen bemerkenswerten Heimatroman geschrieben. Um es wie Tat’ka auszudrücken: Reintei freintei, is‘ des a feines Buch, nit wahr?

Elisabeth R. Hager Fünf Tage im Mai
Roman.
Stuttgart: Klett-Cotta, 2019.
224 S.; geb.
ISBN 978-3-608-96264-2.

Rezension vom 19.03.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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