#Prosa
#Debüt

Fuchsgesicht.

Doris Rüdisser

// Rezension von Martina Wunderer

Die Chronik eines angekündigten Mordes.

In ihrem literarischen Debüt, der Erzählung Fuchsgesicht, greift Doris Rüdisser einen Kriminalfall auf, der im Winter 1890/91 in Vorarlberg für ungeheures Aufsehen sorgte. Der Tagelöhner Peter Paul Adametz hatte den Bauern Michael Mätzler ermordet. Er wurde bald gefasst und im März 1981 zusammen mit Anna Katharina Metzler und Anna Katharina Greber, die ihn angestiftet hatten, zum Tode verurteilt. Die beiden Frauen wurden vom Kaiser begnadigt und die Todes- in lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt.

Ein Mörder wurde hingerichtet. Ende des 19. Jahrhunderts durchaus nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich dagegen ist Doris Rüdissers Interesse an dem über hundert Jahre zurück liegenden Fall. In „Fuchsgesicht“ setzt sie sich auf literarischem Wege mit der Frage auseinander, „wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“. So lautete der Untertitel von Heinrich Bölls berühmtem Werk „Die verlorene Ehre der Katharina Blum.“ Was bei Böll der Sensationsjournalismus ist bei Rüdisser die üble Nachrede: „Mit den Unwahrheiten vom letzten Mal bekräftigen sie die Lügen von heute. Und so geht es immer weiter. Lügen vermehren sich wie Ratten. Und das heißt dann Leumund.“ Die Verurteilten sind nicht nur Täter, sondern auch selbst Opfer, Opfer der Gesellschaft. „Sicher waren alle drei schuldig, waren alle drei Mörder, am wenigsten noch der, der es dann tatsächlich getan hatte. Aber sie waren immer noch Menschen, mit einem Weg – keinem geraden, einem voller Unmöglichkeiten Mensch zu sein unter den anderen, den Hofbesitzern, den Gerechten und den Gehörigen.“ Rüdisser fällt kein Urteil über den Mörder und seine Mittäterinnen, sondern beleuchtet die Umstände und das soziale Umfeld. Wie Bölls Roman oder Georg Büchners Drama „Woyzeck“ fragt auch ihre Erzählung nach der Abhängigkeit menschlicher Existenz von Umständen, die außerhalb unserer selbst liegen.

„Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt“, schreibt Büchner im November 1833 an Wilhelmine Jaegle. Peter Paul, Annkathrin und die Witwe Greber – arm, gedemütigt, ausgegrenzt – sie sind Opfer dieser gewalttätigen Verhältnisse, sie stehen als Tagelöhner und Mägde am untersten Ende der Gesellschaft. Sie sind keine Handelnden, sondern Behandelte. „Nur einen Herbst und einen Winter lang durften wir so Wohnung nehmen unter den Rechtschaffenen, (…) gelegentlich mich fortschleichen vom Vater und von der Arbeit und im Boschatobel, versteckt ein paar Stunden Annkathrin sein und nicht mehr die Mach-mir-hol-mir-tua-mir vom Vater“, erinnert sich Annkathrin auf dem Sterbebett an ihre gemeinsame Zeit mit Peter Paul, den sie nur heimlich lieben durfte; den Dorftrottel, der sich in dunklen Nächten eine stinkende Fuchsmaske aus Leder und Fell übers Gesicht zog, immer dann „wenn das Nachtvolk seine Seele umkreiste, bis sein Geist wie irre aus den Augen flackerte und er nur noch sich selbst davonlaufen wollte.“ Erst durch die Fuchsmaske wurde „aus dem Gejagten (…) der Jäger.“

Es ist Peter Pauls Mutter, die hier auf der nächtlichen, winterkalten Zugfahrt zurück in ihr Dorf von ihrem Sohn erzählt, von den Kämpfen seiner zwei Seelen, die – ach – in seiner Brust wohnten. Der gequälte junge Mann war ein leichtes Opfer von Annkathrins Einflüsterungen, ein williges Werkzeug in ihren Händen, als sie beschloss, sich an ihrem Schwager Michael zu rächen. Er, der ihr die Ehe versprach, hatte beim Vater um die Hand ihrer jüngeren Schwester Marie angehalten und alle waren sie einverstanden, Marie, der Vater, der Pfarrer. Diese Demütigung war eine zuviel, Annkathrin stiftet Peter Paul zum Mord an Michael an und weiht die Witwe Greber in ihren Plan ein.

Doch es ist nicht nur die Eifersucht, die den Mord an Michael motiviert. Rüdissers Erzählung nennt außerdem die schizophrene Störung Peter Pauls und insbesondere „die Hoffnungslosigkeit, die Angst, die Ohnmacht, die Schande, die Ungerechtigkeit und die zum Himmel schreiende Wut“ der gedemütigten Frauen auf die Gesellschaft. Mit dem Mord an Michael holen sie zum Gegenschlag aus. Rüdisser leiht ihnen, die es gewohnt sind, zu schweigen und zu gehorchen, ihre Stimme, Annkathrin, der Witwe Greber, der Mutter Peter Pauls – drei Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert, ohne Rechte, ohne Besitz, Opfer einer patriarchalen Dorfgemeinschaft, in der lediglich ihre Arbeitskraft zählt. Sie sprechen, wie sie es gelernt haben auf dem Feld, im Stall, in der Kirche. Es gelingt der gebürtigen Vorarlbergerin Rüdisser, die eigentümliche Bildhaftigkeit und dialektale Färbung der lokalen bäuerlichen Sprache einzufangen, atmosphärisch dicht und ästhetisch anspruchsvoll.

Mit Fuchsgesicht hat sie ein bemerkenswertes literarisches Debüt vorgelegt.

Erzählung.
Hohenems: Limbus Verlag, 2010.
111 S.; geb.
ISBN 978-3-902534-36-1.

Rezension vom 17.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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