#Sachbuch

From Vienna

Christian Klösch, Regina Thumser

// Rezension von Iris Fink

Endlich, so möchte man ausrufen, wird auch über einen Zeitabschnitt des österreichischen Kabaretts publiziert, der bislang, wenn überhaupt, nur als Marginalie in der ohnehin spärlich aufgearbeiteten österreichischen Kabarettgeschichte vorkommt. Abgesehen von Anthologien, einigen Aufsätzen, Memoiren und unveröffentlichten Dissertationen ist das Buch „From Vienna“ das erste, das sich dem Thema Exilkabarett widmet, und da wiederum einem ganz bestimmten Segment, nämlich dem Exilkabarett in New York 1938 bis 1950. Der Band wurde als Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, die noch bis 6. September 2002 im Wiener Literaturhaus zu sehen ist, herausgebracht. Initial für Ausstellung wie Buch war die Übergabe eines Teilnachlasses von Jimmy Berg an die Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus.

 

Die AutorInnen, Christian Klösch und Regina Thumser, betten das Exilkabarett zwischen „Fluchtstationen“ und „Brettlkultur – Neubeginn in Österreich nach 1945“. Dazwischen liegen, vor allem auf den Jimmy Berg-Teilnachlass und Presseartikel aus der deutschsprachigen Emigrantenzeitung „Aufbau“ gestützt, Kapitel, die sich größtenteils mit Vergnügungstheater und leichter Unterhaltung wie Revue, Operette, Wiener Liedern, etc. und deren ProtagonistInnen beschäftigen. Einer der wenigen politischen Kleinkunstbühnen im Exil, der „Arche“, wurde ebenso ein Kapitel gewidmet wie Kurt Robitschek (als einziger Person). Im Anhang sind, neben dem Üblichen, Programme verschiedener Exil-Kabarett-Gruppen und Biographien untergebracht. Das Buch ist mit Textbeispielen (überwiegend von Jimmy Berg) und sehr vielen Abbildungen bereichert und vom Verlag schön gestaltet. Allerdings scheint letzterem ein Lektorat gefehlt zu haben.

Der Titel des Buches „From Vienna“ bezieht sich auf die erste Revue der „Refugee Artist Group“, über die Christian Klösch berichtet. Die Idee zur Gründung hatten Mitglieder der Wiener Kleinkunstbühne „ABC“, zusammen mit Viktor Grünbaum (Vertreter des damals schon verbotenen „Politischen Kabaretts“, in den USA Manager der Truppe und späterer Architekt, bekannt geworden unter den Namen Victor Gruen) am Abend vor dem „Anschluss“ in Wien. Die Gruppe konnte in New York für kurze Zeit über die engere Emigrantenszene hinaus große Erfolge feiern. Der Grund dafür dürfte in der Anpassung der Spielweise und Sprache liegen. Klösch gibt auch einen kurzen Überblick über die Wohn- und Lebens-Zentren der EmigrantInnen. Drei große Siedlungsgebiete ließen Teile von Manhattan zu mittelgroßen österreichischen und deutschen Städten werden und dort entstanden bald auch Kaffeehäuser und „Continental Restaurants“. In einigen von ihnen setzte man eine bestimmte Wiener Kabaretttradition fort, wie zum Beispiel im „Café Vienna“, das schließlich zu einem bedeutenden Zentrum der Wiener Kleinkunstszene in New York wurde, das rund 250 Menschen in Wienerischem Ambiente (Wandmalereien) Platz bot, in dem es täglich Kabarettvorstellungen und Tanzmusik gab, und wo sich auch die „Short Operetta“ entwickelte, die der Autor als musikalisches Pendant zum kabarettistischen „Mittelstück“ bezeichnet. Er irrt jedoch in der Behauptung, dass das „Mittelstück“ von Jura Soyfer in die „Literatur am Naschmarkt“ eingeführt worden wäre. Im „Café Vienna“ traten u.a. Jimmy Berg, Hermann Leopoldi, Helly (Helen) Möslein, Eugen(e) Hoffmann, Leo Pleskow mit Tanz-Kapelle, Trude Roth, Peggy Permont, Fred Fassler, Rosalie Grant und Robert Langfelder auf.

Auch im Restaurant „Alt-Wien“ wurde Kabarett gespielt. 1941 übernahm es George Eberhardt, ließ sein „Eberhardt’s Café Grinzing“ in einen „echten Grinzinger Weingarten“ umwandeln und eröffnete mit „Leberreissuppe, Wiener Schnitzel mit gemischtem Salat, Zwetschkenknödel und Kaffee mit Schlagobers“; und mit Kurt Robitschek als Conférencier und Hermann Leopoldi samt Helly (Helen) Möslein. Robert Gilbert und Jimmy Berg verfassten das Repertoire, der Schlager der Saison 1941/42 waren aber „Die Novaks aus Prag“ (Robitschek / Leopoldi). Danach wurden andere KünstlerInnen engagiert, Ende der vierziger Jahre traten vorwiegend Opern- und OperettensängerInnen auf. Das weitere Schicksal des Cafés bleibt im Dunkeln, denn dazu wird nur verraten: „Irgendwann in den folgenden Jahrzehnten verkaufte Eberhardt sein ‚Café Grinzing‘ an Eric Rosen, der es unter gleichem Namen weiterführte“ (S. 34).

Weitere EmigrantInnen-Cafés mit wienerischer Atmosphäre im Lokal und auf der Bühne waren Ludwig Blochs „Lublo’s Palm“ und das „Café Old Europe“ von Emil Schwarz. Eröffnet wurde im September 1940 u.a. durch Leopoldi-Möslein; auch Karl Farkas trat hier auf. Armin Berg und Hans (John) Kolischer machten Programme in ihrem „Ungarischen Restaurant“, Fritz Spielmann trat im „Wiener Fiaker“ auf, Valeska Gert (eine gebürtige Berlinerin) eröffnete ihre „Beggar Bar“ und weitere Kabarettspielstätten mit Unterhaltungsprogramm werden im Buch aufgezählt. Man erfährt auch einiges über „New Yorker Großrevuen und ihre Veranstalter“, deren bedeutenster Felix Gerstman(n) war. Er war es auch, auf dessen Anregung die „Players from Abroad“ gegründet wurden, eine Theatergruppe, die Klassiker in deutscher Sprache spielte. Unter Leitung von Gerstman(n), der Sekretär der Kultursektion der „Austrian Action“ war, fanden ab 1941 sehr erfolgreich „Austrian Cavalcades“ statt, deren Ablauf, Inhalt und Mitwirkende man aus dem Buch erfährt. Was man leider nicht erfährt, sind die politischen Hintergründe und Motive der Exilorganisationen.

Auch das Vorhaben, zu untersuchen „welche künstlerischen Netzwerke auch im Exil weiterbestanden“, wurde nur teilweise erfüllt. Dazu wäre es notwendig gewesen, einen kurzen Überblick über die „Netzwerke“ in den Heimatländern zu geben, einen Einblick in die Vielfalt der Kabarett- und Kleinkunstszene in Wien und ihre Verbindungen zu Berlin, vor allem, wenn eine Transferierung der Kabarett- und Kleinkunstszene aus dem Wien der Dreißigerjahre nach New York der Vierzigerjahre konstatiert wird.

Im Gegensatz zu der in der Exilkabarettszene vorherrschenden leichten wienerischen Unterhaltung stand die jüdisch-politische Kleinkunstbühne „Die Arche“. Gegründet wurde sie Anfang 1943 von Erich Juhn und Oscar Teller, der bereits in Wien zusammen mit Viktor Schlesinger 1927 das „Jüdisch-Politische Cabaret“ etabliert hatte. Die Texte stammten von Jimmy Berg, Friedrich Torberg, Schlesinger, Beer-Hofmann, Fritz Grünbaum u.a.

Im Kapitel „Kabarett auf Sommerfrische“ von Regina Thumser, die einleitend etwas einengend vermerkt, dass „die Sommerfrische ein Ausdruck eines Lebensgefühls des jüdischen Bürgertums war“ (S. 86), erfährt man, dass es sehr wohl auch im New Yorker Exil das Bedürfnis nach Erholung und einer adäquaten Sommerfrische gegeben hat. EmigrantInnen zogen sich in die Catskills oder nach dem Ort Fleischmanns zurück. Dort wurde neben den üblichen Sommerurlaubsangeboten auch Unterhaltung geboten und die Hotels engagierten beliebte Komiker und Kabarettisten.
Klösch fasst abschließend das „Exilkabarett in New York 1945 bis 1950“ zusammen, während Thumser versucht, den „Neubeginn in Österreich nach 1945“ zu beschreiben.

Schade nur, dass das Buch nicht durch einen kulturhistorisch-politischen Kontext aufbereitet wurde, sondern hauptsächlich aus Fakten-Aneinanderreihung (die nicht immer gut recherchiert wurden) besteht. Ungenauigkeiten schleichen sich bereits im ersten Kapitel „Fluchtstationen“ ein, wenn zum Beispiel von jenen KünstlerInnen die Rede ist, die 1933 aus Deutschland in die Tschechoslowakei, nach Österreich und die Schweiz flüchten, denn Fritz Grünbaum und Peter Hammerschlag (S. 11) waren zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Deutschland. Auch kommt es immer wieder zu problematischen Verkürzungen, wie zum Beispiel jene Feststellung von Thumser, dass die Anwesenheit von EmigrantInnen aus Deutschland in Wien in den Jahren von 1933 bis 1938 in Österreich eine „Blüte des Kabaretts“ geschaffen hätte. Ebenso in dem etwas pathetischen Schlusssatz des Kapitels „Brettlkultur – Neubeginn in Österreich nach 1945“, wo es heißt, dass man (also Thumser) nicht umhinkönne, „die Zeit der Kleinkunst vor 1938 und während des Exils mit den Worten zu beschreiben: ,Das gab’s nur einmal, das kommt nicht wieder …'“ (S. 137).
Schlichtweg falsch sind die Hinweise in den Biographien von Armin Berg, dass er nach seiner Rückkehr nach Wien „mit Karl Farkas als Partner in den Doppelconférencen im ‚Simpl‘ zu sehen“ war (S. 157), und noch ist Jura Soyfer der „Verfasser des ,Buchenwald-Liedes'“ (S. 164).

Christian Klösch, Regina Thumser From Vienna
Exilkabarett in New York 1938 bis 1950.
Wien: Picus, 2002.
Reihe Österreichische Exilbibliothek.
176 S., geb., m. Abb.
ISBN 3-85452-463-3.

Rezension vom 01.10.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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