#Sachbuch

From Vienna

Christian Klösch, Regina Thumser

// Rezension von Frithjof Trapp

Der Picus Verlag Wien hat in den vergangenen Jahre mehrere großformatige, opulente Publikationen zum österreichischen Exil 1938-1945 vorgelegt: attraktiv in Ausstattung und Design – von der Thematik her faszinierend. Zu erinnern ist insbesondere an den von Alisa Douer und Ursula Seeber herausgegebenen Band Wie weit ist Wien? Lateinamerika als Exil für österreichische Schriftsteller und Künstler (1995) oder an den von Alisa Douer erarbeiteten Fotoband Neuland. Israelische Künstler österreichischer Herkunft (1997). In diese Reihe fügt sich die von Christian Klösch und Regina Thumser verfasste Studie From Vienna nahtlos ein.

Das Thema des reich illustrierten Buches ist das komplex strukturierte, österreichisch geprägte Exilkabarett in New York zwischen 1938 und 1950. Der Gegenstand ist nur wenigen Spezialisten näher bekannt. Am Rande wird auch auf die „Players from Abroad“ eingegangen, auf Valeska Gerts „Beggar Bar“, das New Yorker Gastspiel von Erika Manns „Pfeffermühle“ und wenige weitere Themen. Im Zentrum jedoch steht die Kleinkunst. Ihre wichtigsten Schauplätze sind kleine Theater, die Versammlungssäle von Clubs und Vereinigungen, vor allem aber eine Anzahl von Restaurants und Kaffeehäusern, die von Emigranten betrieben wurden. Ihre Namen: „Café Vienna“, „Eberhardt’s Café Grinzing“, „Old Europe“, „Lublo’s Palm Garden“, „Wiener Fiaker“, sind für Außenstehende kaum zu unterscheiden. Hier liegt bereits ein wesentlicher Ertrag der Studie. Wer sich je mit der Materie beschäftigt und mühsam Ausgabe für Ausgabe des New Yorker Aufbau, der großen, überregionalen Exilzeitung, auf entsprechende Ankündigungen bzw. Berichte durchgesehen hat – denn die einschlägigen Nachlässe und Archivquellen sind der Forschung erst durch Horst Jarka, Marcus G. Patka und eben die beiden Autoren bekannt geworden -, wird für die von Christian Klösch und Regina Thumser vermittelten Informationen dankbar sein. Man erfährt, illustriert durch Porträt- und Szenenfotos, wer die Künstler waren, die in diesen Restaurants auftraten, wie die Sketche und Couplets präsentiert wurden, welche Programme gespielt wurden und, nicht zuletzt, wer die Restaurants und Kaffeehäuser betrieb, die als Spielstätten fungierten, und wie lange sie bestanden. Diese Informationen sind deshalb so wichtig, weil man sich aus den summarischen Auflistungen der Künstler, die die Aufbau-Berichterstattung enthält: Leo Pleskow, Fred Fassler, Helen Möslein, Fritz Spielmann, Charlie Brock, Molly Picon, Dolfi Morgens, nur mit Mühe ein zulängliches Bild machen kann. Da hilft es auch wenig, wenn ab und zu prominentere Namen auftauchen: Karl Farkas, Kurt Robitschek, Hermann Leopoldi, Ilse Bois, Lotte Goslar, Armin und Jimmy Berg, Kitty Mattern, Herbert Berghof, Oscar TellerDieser Sachverhalt beleuchtet bereits eine charakteristische Eigenart des Phänomens: Was hier im „Café Vienna“ oder in „Lublo’s Palmgarten“ geboten wurde, war den Angehörigen der New Yorker Emigranten-Gemeinschaft gut bekannt. Das brauchte nicht erläutert zu werden. Jedermann wusste, wer Charlie Brock, wer Molly Picon war. Wir haben es hier einerseits mit einer Fortführung der legendären Berliner und Wiener Unterhaltungs- und Kleinkunstszene der 20er und 30er Jahre zu tun, aber andererseits auch einer charakteristischen Erscheinung des New Yorker Emigrantenmilieus. Die Mehrzahl der Emigranten lebte am Rande des Existenzminimums, in ständiger Furcht um die in Europa verbliebenen Angehörigen, verunsichert durch den Verlust der bürgerlichen Existenz, im Selbstwertgefühl erschüttert. Die Kleinkunstszene in den an die verlorene Heimat erinnernden Restaurants und Kaffeehäusern stabilisierte das Selbstgefühl zumindest für kurze Augenblicke und rückte die drängenden Alltagsprobleme und die Sorgen aufgrund der immer bedrohlicheren Nachrichten über die Konzentrationslager, die die Emigranten erreichten, zumindest kurzzeitig in den Hintergrund.

Auffällig ist, dass bei den meisten Veranstaltungen der Bezug auf Österreich deutlich im Vordergrund steht. Das erklärt sich keineswegs nur aus der Herkunft der Künstler. (Ohnehin wäre hier der Begriff „Österreich“ sehr weit – als das Territorium der ehemaligen k.u.k. Monarchie – zu fassen.) Der Sachverhalt hat zumindest in Teilen einen anderen Hintergrund. Der Bezug auf Österreich bzw. auf Wien signalisierte eine unmissverständliche Distanz zum „Deutschen Reich“. Lilli Palmer und ihre Schwester z.B. traten deshalb schon 1933/34 in Paris als „Les Soeurs Viennoises“ auf – was ihrer Herkunft nicht entsprach, aber offensichtlich als förderlich im Hinblick auf das Publikum eingeschätzt wurde. Leo Askenasy (Leon Askin), gebürtiger Österreicher, rief aus den selben Gründen in Paris 1934 einen „Künstler-Klub Paris-Wien“ ins Leben. Man hätte unschwer auch einen anderen Namen finden können. Der Bezug auf Wien bzw. Österreich versprach den Akteuren Sympathien beim französischen Publikum. Auch das nur kurzzeitig existierende Kabarett im Restaurant „Chez Lurion“, das Askenasy und Max Maennlein betrieben, trug den Namen „Wiener Künstler-Club“. Nach 1938, also nach dem „Anschluss“, entstanden dann in Paris in schneller Folge mehrere Kabaretts, die in ihrem Namen auf Wien bzw. auf Österreich Bezug nahmen: die „Mélodie Viennoise“, das „Österreichische Brettl“ und „Vienne à Paris“ (mit Karl Farkas, Fred Berger u. anderen). Von den Mit-Emigranten wurde das Programm dieser Ensembles aufgrund des spezifisch nostalgischen Grundzugs und der apolitischen „Heurigenseligkeit“ übrigens nicht sonderlich gut aufgenommen, wie die entsprechenden Rezensionen zeigen. Man war der Auffassung, dass die Situation anderes verlange als Wiener Tradition und Heurigengesang.

Mit Nostalgie und „Heurigenseligkeit“ ist die New Yorker Kleinkunstszene jedoch nur in bestimmten Teilen gleichzusetzen. Die Akzentsetzung, die die beiden Autoren des Bandes vornehmen, unterstreicht dieses Faktum. Vor allem „The Refugee Artists Group“ (auch „Viennese Artists Group“) folgte einem anderen Konzept. Christian Klösch stellt das ausführlich dar. Man trat mit einem englischsprachigen Programm auf, und man strebte Professionalität (im Sinne des Broadways) an. Dazu gehörten eine entsprechend intensive Vorbereitung, die Beratung durch führende Vertreter des amerikanischen Show Business und vor allem intensives sprachliches Training. – Mit ihren zwei Programmen „From Vienna“ und „Reunion in New York“ machte die Truppe in New York Furore, wie man den Kritiken der englischsprachigen überregionalen Presse entnehmen kann. Das Programm „From Vienna“ wurde 79mal en suite gegeben, „Reunion in New York“ sogar 89mal: nach amerikanischen Maßstäben ein Achtungserfolg, im Kontext des New Yorker Exilkabaretts der überragende Erfolg schlechthin, an dem sich die Veranstaltungen im „Old Europe“ oder in „Lublo’s Palmgarten“ nicht messen lassen können. Henry Marx, Zeitzeuge und Chronist des New Yorker Exiltheaters, weist in einem Beitrag zum Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters darauf hin, dass das Ensemble auseinanderbrach, weil die jüngeren Männer von der amerikanischen Wehrpflicht erfasst wurden. Immerhin: Das war modernes, zeitgerechtes Kabarett. Auf diese Überlegungen von Henry Marx, auch auf die Rollenverteilung zwischen Hollywood und New York, hätten die Autoren vielleicht genauer eingehen können.

Erwähnenswert ist vor allem auch die Wiederbelebung des legendären Wiener „Jüdisch-Politischen Cabarets“ in New York durch Victor Gruen und Oscar Teller unter dem beziehungsreichen, aussagekräftigen Namen „Die Arche“. Das „Jüdisch-Politische Cabaret“ war schon vom Namen her Programm gewesen. Ob dieser Anspruch in New York eingehalten werden konnte, müsste noch untersucht werden. Ein wenig hat man den Eindruck, dass in New York das Attribut „politisch“ in den Hintergrund rückte und das andere Attribut „jüdisch“ damit einen veränderten Sinn erhielt – was aufgrund der Umstände nur zu verständlich ist. In New York existierte schließlich eine spezifisch jiddisch-sprachige Theater- und Kleinkunstszene. Die musste man in der Programmgestaltung mit berücksichtigen. Das avantgardistische Moment war in Teilen sicher noch vorhanden. Ob es vom Publikum auch akzeptiert wurde, wäre zu fragen. Henry Marx hat sich auch in dieser Frage recht dezidiert geäußert. Er führte das allmähliche Verschwinden der Kleinkunst europäisch-deutschsprachiger Prägung darauf zurück, dass ein Großteil der jüdischen Emigranten von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr deutsch sprechen wollte. Diese Problemstellung sollte man m.E. weiter verfolgen.

Die Aussage von Henry Marx wirft indirekt ein bezeichnendes Licht auf die kaum zu zählenden Auftritte deutschsprachiger „Wiener“ Künstlerinnen und Künstler in den kleinen Restaurants und Cafés. Für die Kleinkunst dieser Art stellte die deutsche Sprache, vor allem der Anklang an den heimischen Wiener Dialekt, offensichtlich einen obligatorischen Bestandteil dar: Flucht- und Bezugspunkt innerhalb eines ansonsten unsicheren Umfelds. Der in Teilen regressive Zug ist hier m.E. unverkennbar. Bereits in der Berichterstattung des Aufbau wird, wenn man sie aufmerksam verfolgt, eine eigentümliche Zurückhaltung erkennbar. Gewiss, die Besprechungen sind positiv, es wird nicht mit Lob gegeizt, aber ein gewisser Schematismus ist bei der Erwähnung der Akteure unverkennbar. Künstlerische und schon gar politische Aktualität besitzen die Veranstaltungen in „Lublo’s Palmgarten“, im „Café Grinzing“ oder im „Old Europe“ für die Berichterstatter im Aufbau jedenfalls nicht, auch nicht das immer wiederkehrende „Brettl im Frühling“ oder die sich wiederholende „Austrian Cavalcade“. Die Veranstaltungen dienten dem – legitimen – Geselligkeits- und Unterhaltungsbedürfnis der Emigrantengruppierung. Sie stärkten das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Gründe für diesen Funktionswandel der Kleinkunst liegen freilich auf der Hand. Es waren Verfolgte, Entwurzelte, Diskriminierte, an die sich diese Kleinkunst richtete – und die Künstler reagierten entsprechend.

Eine gewisse Kritik an dem vorliegenden Band ist unvermeidlich. Der Akzent liegt oftmals zu stark auf dem Faktischen. Ästhetische oder politische Wertungen treten zu stark in den Hintergrund. Die reinen Fakten sind zwar für die Interessierten von hohem Wert, für eine Kabarettgeschichte ist das allerdings zu wenig. Das Buch ist nichtsdestoweniger für die Forschung unverzichtbar: Es ist eine wahre Fundgrube für den, der sich für die Emigrationsschicksale interessiert. Das, was hier über die Kleinkunstszene ausgebreitet wird, müsste allerdings in die Darstellung des Exilzentrums New York eingepasst werden. Hier gibt es bekanntlich mehrere grundlegende Darstellungen. – In der Bibliographie fehlt ein Hinweis auf das Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933 – 1945. Für einige Fragen, die anhand des in dieser Dokumentation ausgebreiteten Problemzusammenhanges zu diskutieren wären, ist das Handbuch einschlägig.

Christian Klösch, Regina Thumser From Vienna
Exilkabarett in New York 1938 bis 1950.
Wien: Picus, 2002.
(=Österreichische Exilbibliothek).
176 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85452-463-3.

Rezension vom 01.10.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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