#Roman
#Debüt

Friedinger

Stefan Kutzenberger

// Rezension von Walter Fanta

Kutzenberger, mein Freund!

In diesem Romandebüt gibt es einen leicht erkennbaren Plot. Der ist sehr vergnüglich zu lesen und rasch nacherzählt: Der Literaturwissenschaftler und Museumsangestellte Stefan Kutzenberger bekommt von seiner Frau zum Geburtstag einen Urlaub auf Kreta geschenkt, damit er endlich seinen ersten Roman schreibt. Er wollte nämlich immer schon Schriftsteller werden, hat aber nie etwas fabriziert. Aber jetzt endlich: Urlaub vom Leben, Urlaub zum Schreiben. Es gelingt! Wenn es nicht so wäre, dann könnte der Deuticke-Verlag das Buch mit dem unverdächtigen Titel Friedinger in seinem Frühjahrsprogramm 2018 gar nicht anbieten. Hier sind also Romanfiktion und Schreibwirklichkeit in einer ganz besonderen Weise verzahnt. Damit Kutzenbergers Coup auf der Realebene aber aufgeht, müssen auf der Romanebene zwei Widrigkeiten eintreten.

Widrigkeit a) Kutzenberger lässt sich auf Kreta mit einem Girl aus Paris ein. Seine Frau fängt den Emailverkehr ab, schmeißt ihn raus. Er muss schauen, dass er sich mit seiner Familie wieder einkriegt. Ob das glückt, würde ich nicht verraten, wenn die Leser nicht von der ersten Seite an (s. Leseprobe) wüssten, dass der Hero dieser Story von der Wirklichkeit abgeschrieben ist. Welche Wirklichkeit? Es ist seine, es ist meine, es ist Ihre Wirklichkeit, sehr verehrter Herr männlicher Leser. Die Wirklichkeit ist die Erektion auf der ersten Seite und das ist eine, die uns alle angeht. Wie beunruhigend ist es, so in die Venusfalle zu tappen, und wie beruhigend, sich da wieder heraus zu bringen, sich auf der letzten Seite ins imaginierte reine Glück zu retten (s. Leseprobe)! In einem Roman passiert es so, wie es passieren muss, nach den Gesetzmäßigkeiten der narrativen Logik. Das wieder weiß keiner besser als unser Autor. Was mich und meine Wirklichkeit betrifft, von der Freund Kutzenberger ja wirklich ungeniert abgeschrieben hat, so ist es schlecht ausgegangen, das Spiel mit der ehelichen Untreue. In der Kutzenbergerischen Wirklichkeit ist es aber gut ausgegangen, das kleine erotische Abenteuer. Er hat sich wieder eingekriegt mit seiner Familie. Damit stellt er einen biograpischen Hans-im-Glück-Fall dar im Gegensatz zu den Summen aus vielen anderen Lebensverläufen seiner Freunde, Nachbarn und Leser, aus denen er schöpfte. Daraus ist nun der Mittelwert zu bilden. Deswegen bleibt die methodisch konstruierte Novelle in Hermann Brochs Manier am Schluss auch offen, diese grandiose Geschichte eines Durchschnittsmenschen, der auszog, das Fürchten zu lernen, und damit das schafft, was er sich erträumt und was er verdient hat: das Buch. Sonst wäre es nicht dort, in Ihrer Hand, sehr verehrte Frau Leserin. Sie werden vielleicht an manchen Stellen ein wenig die Nase rümpfen, wegen des allzu phallozentrischen Blicks. Zum Beispiel an der Stelle, wo „Clelias Po […] eine einzige Einladung, mein Gesicht in ihm zu vergraben“ (S. 66) wird. Vielleicht sind Sie aber nicht zimperlich, verehrte Frau Leserin, und eine Männerversteherin. Sie lesen ja auch das Buch für Männerversteherinnen und dasjenige darüber, wie Männer sich verstehen. Auch Antonio Fian hat übrigens in seinem Roman Das Polykrates-Syndrom (2014) den Plot von derselben Wirklichkeit abgeschrieben. Warum geht es bei ihm dann so schrecklich aus, die Girl-Leiche zerstückelt im Müll, der Hero lebenslänglich im Ehe-Kerker? Das liegt vielleicht an diesem Unterschied: Fian hatte schon Bücher, er brauchte keine Illusionen mehr, Kutzenberger hat noch keines, darum der schöne Schluss. Aber das ist egal, am Ende schaffen sie beide den Bestseller.

Widrigkeit b) Weil der Sex-versus-Ehe-Plot für einen Bestseller nicht ausreicht, trifft Kutzenberger auf Kreta den Physiker Friedinger, der ihm die heiße Story liefert, die Mündung des VOEST-Norikum-Skandals der 1980er Jahre in die Nähe unserer Gegenwart. Auch das ist von der Wirklichkeit abgeschrieben, mit historischem Abstand allerdings, wie eben Friedinger ein bisschen mehr erfunden ist als Kutzenberger. Statt mit Kanonen in den Irak und/oder Iran hat Friedinger mit nuklearen Sprengköpfen von Linz nach Pakistan zu tun. Die Story artet aus in einen Thriller im Stil von Wolf Haas und bleibt dabei ein Linzer Heimatroman, so wie Wolf Haas bei seiner Schauplatzwahl ja auch die österreichische Provinz durchdekliniert hat. Der Mörder? Der Mörder ist immer – Sektionschef. Sei es verraten. Darauf kommt es nämlich nicht an. Worauf kommt es denn dann an?

Die Antwort auf diese Frage zu geben, das erlaubt mir nun zu erklären, warum ich diesen Roman grandios finde, der so leicht bekleidet ist wie die Mädchen an Kretas Stränden. Die leichte Verhüllung erregt den Appetit auf das Verhüllte. Drei Prinzipien sollten zutreffen, damit Storys von künstlerischem Raffinement zeugen und trotzdem viele Leser erreichen können:

1) Auf die Verpackung kommt es an. Musil brachte seine Romanarbeit auf die Formel: „Die Geschichte dieses Romans kommt darauf hinaus, daß die Geschichte, die in ihm erzählt werden sollte, nicht erzählt wird.“ Noch besser hat er es in den Worten festgehalten: „Man erzählt um des Erzählens willen, um der Bedeutung der Geschichte willen, um der Bedeutung willen: Drei Stufen.“ Von Wolf Haas wird berichtet, er denke sich seine Plots an einem Nachmittag aus und tüftele dann monatelang an jedem einzelnen Wort, um eine Form zu finden, die auch als arithmetisches Arrangement noch stimmt. Besondere Ähnlichkeit hat Friedinger mit Das Wetter vor fünfzehn Jahren, wo der Autor Wolf Haas den Roman im fiktiven Interview erzählt. Auch auf den Lehrwert kommt es an. In kurzweiliger Weise verpackt Kutzenberger sehr viel Bildungswissen über Literaturtheorie, Weltliteratur, Bücher, Filme, Musik in seine Geschichte.

2) Auf die Wahrheit kommt es an. Dieses scheinbar harmlose Buch stellt eine radikale Auseinandersetzung mit dem Thema der biographischen Wahrheit und damit mit der Frage nach der Identität dar. Der wirkliche Kutzenberger ist nicht echter als der für den Roman erzählte und jeder erfundene Kutzenberger ist nicht fiktiver als alle angeblich realen Kutzenbergers. Identität konstituiert sich in der Repräsentation, mit Vorliebe in Gestalt des Erzählten, und wo besser als in der Literatur, die erzählerische Repräsentation kommt nie ohne Fiktion aus. Das ist eine Binsenweisheit, und schon oft haben Autoren sie an Hand der eigenen Biographie thematisiert. Doch selten hat einer so ehrlich, mit so viel Humor und Selbstironie und so handlich-einfach das Werden des Autors beim Schreiben über sich selbst begreiflich gemacht, nach der Devise von James Joyce in A Portrait of the Artist as a Young Man.

3) Auf die Vision kommt es an. An die Stelle von Vision ließe sich auch das Wörtchen Moral setzen. An den Sätzen der Schlussreflexion über das Glück scheint sich die Gültigkeit des Prinzips zu erweisen, dass erst die Sünde die Tugend gebiert. Doch wenn an der Kutzenberger-Figur auf den ersten Anschein auch ein katholischer Pfarrer verloren gegangen ist, bei näherer Betrachtung tun sich die Abgründe des Biedermeierlichen auf und wir erkennen, wie in unserem Begehren der faustische Erregungszustand und der kontemplative Glückszustand zusammen gespannt sind. Im Bogen der kurzen Geschichte über die Liebe ist vom ersten bis zum letzten Blatt enthalten: love – what is it all about.

Stefan Kutzenberger Friedinger
Roman.
Wien: Deuticke, 2018.
254 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06364-8.

Rezension vom 21.04.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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