#Prosa

Friederikenbriefe

Erika Kronabitter

// Rezension von Sabine E. Selzer

Friederike Mayröcker gewidmet.

„jedes wort, das einmal geschrieben ist, treibt sich in der welt herum“. Und jene, die von Friederike Mayröcker geschrieben sind, treiben sich bei Erika Kronabitter herum. In ihren Friederikenbriefen, in denen Intertextualität eine fast liebevolle Note erhält.

„Wenn Erika Kronabitter spricht, kommt sie in Friederike Mayröckers Spur. Und wenn man über Erika Kronabitter spricht, kommt man in Erika Kronabitters und Friederike Mayröckers Spur“, stellt Klaus Kastberger im Vorwort fest, frei nach – natürlich! – einem Mayröcker-Zitat: „wollt es zuerst spuren nennen“ meinte sie über ihr Prosabuch „je ein umwölkter gipfel“. Aber es bleibt nicht nur bei diesen beiden Spuren, denn sie sind schließlich „nicht in einen unberührten Sprachschnee gefirnt.“ Nein, keineswegs. Denn schon die Mayröcker-Texte enthalten allerlei Zitate oder Exzerpte aus bzw. Anspielungen auf Bücher(n) von Geistesgrößen verflossener Jahrhunderte, von Kleist, Jean Paul oder Hölderlin über Beckett, Joyce oder Gertrude Stein bis zu Alexander Kluge oder Derrida. Und jene „werden dort ebenso integriert wie Briefe und Briefstellen von Freunden und Freundinnen“. Wer das vorher noch nicht wusste, erfuhr es hiermit aus dem Vorwort und begibt sich, solchermaßen gerüstet weiter in den eigentlichen Text. In dem man dann allerlei postmoderne Spielchen spielen könnte, rund ums fröhliche Zitate-Raten.
Wovon uns die Autorin allerdings eher abraten möchte: „Gespräche über deine und meine arbeit ergeben keine zukunft, aber wir wissen, dass wir an der mitgestaltung, an irgendeiner mitgestaltung, beteiligt sind, nicht messbare anteilnahme, dieses unablässige tun ein stetes dabei sein, ein mitarbeiten an verflechtungen, verdichtungen, denen du dich auch durch den tod nicht entziehen kannst, es ist zu spät für anonymität, jedes wort, das einmal geschrieben ist, treibt sich in der welt herum.“ Womit wir wieder am Anfang wären. Und doch schon ein ganzes Stück weiter.

Friederike Mayröcker ist das stets gegenwärtige „du“ im Text, die graue Eminenz im Hintergrund, die geschätzt, gemocht und bewundert wird – die Friederikenbriefe sind ja schließlich eine Hommage à Mayröcker – jedoch immer aus respektvoller Distanz. Die Kommunikation läuft über die Texte, die sich ja bekanntlich längst verselbständigt haben, und nicht über die Person. Und nur auf dem Umweg über ihre Texte finden die Friederikenbriefe zur Adressatin.
Dass sich eine Schriftstellerin hin und wieder einmal über eines ihrer Vorbilder definiert, in diesem Fall eben über eine wesentlich ältere – und bekanntere – Berufskollegin, muss nicht bedeuten, dass sie nicht ihren eigenen Weg gehen kann oder will.
Dass sie in einem Text wie Friederikenbriefe in Mayröckers Fahrwasser schwimmt, ist auch keineswegs verwunderlich. Nicht nur sprachlich ist das durchaus merkbar. Kronabitter verwendet zugunsten einer Gleichberechtigung aller Wörter konsequente Kleinschreibung (außer am Satzanfang), und im Sinne einer typisch österreichischen Literatur zwischen Tradition und Experiment, Belletristik und Germanistik bricht sie eine Lanze für Wortkreationen, denn ein gewisses Unvermögen im Ausdruck (präsentiert am Beispiel Sexualität) sei „nicht dem schriftsteller anlastbar, weil unvermögen in der sprache begründet, sprachunvermögen, für welches dichter nicht zu tadeln, abhilfe vielleicht durch neuschöpfungen, worterfindungen, wortkreationen, mutation zu allgemeingut, durch ständigen gebrauch eingang in das sprachvokabular …“.
Da hätten wir doch gern ein bisschen mehr gehabt, von diesen wortkreationen, aber leider, so bleibts doch nur graue Theorie. Und a propos Theorie: jene Zeilen über Unsterblichkeit durch Kunst (siehe Leseprobe) lassen ein wenig aufhorchen. Ist es wirklich Ziel des Schreibens, Wunsch des Schreibenden, einfach nicht vergessen zu werden? Auf dass sich unsere Worte in der Welt herumtreiben mögen auf immer und ewig … Amen.

Erika Kronabitter Friederikenbriefe
Prosa.
Wien: Milena, 2002.
88 S.; geb.
ISBN 3-85286-106-3.

Rezension vom 08.01.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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