#Roman
#Debüt

Frey

Roland Freisitzer

// Rezension von Veronika Hofeneder

Wir begegnen Daniel Frey, dem Titelhelden und Protagonisten von Roland Freisitzers virtuos erzähltem Debütroman, mitten in einer psychotherapeutischen Sitzung: Während das Interesse des Therapeuten am Befinden seines Klienten überschaubar zu bleiben scheint, versteht es Freisitzer, jenes des Lesepublikums durch originelle Einfälle und seinen einnehmenden Erzählstil geschickt zu wecken.

So erfährt man sogleich, dass es in Freys Ehe gerade nicht so rund läuft und sich seine Frau Sarah völlig überraschend zum Fernsehjunkie gewandelt hat. Tagaus tagein sitzt sie vor einem riesigen, eigens angeschafften Flachbildschirm und ignoriert Körper- und Wohnungspflege sowie sämtliche Kontaktversuche ihres Ehemanns. Ihre neue Leidenschaft gehört dem Kickboxen und hier besonders dem Boxer Kongphob, den sie mit aggressivem Geschrei und lasziven Gesten anfeuert. Wieder zu Hause ist Frey vom Verhalten seiner Frau erneut vor den Kopf gestoßen und es kommt zur beabsichtigten Aussprache. Diese endet aber anders als gedacht nicht mit Versöhnung, sondern mit der endgültigen Trennung und dem überstürzten Auszug Freys aus der gemeinsamen Wohnung. Auf seinem Streifzug durch das nächtliche Wien fasst er kurzerhand den Entschluss zu verreisen, am Flughafen entscheidet er sich spontan wegen der nett lächelnden Angestellten der japanischen Fluglinie für einen Flug nach Tokio. Sein Sitznachbar im Flugzeug ist Daniel Bernhaugen; Frey fühlt sich seinem Vornamensvetter, der als Auslandsösterreicher gemeinsam mit seiner Frau Naoko in Nagasaki eine Buchhandlung führt, auch noch auf anderen Ebenen verwandt: „Er wirkte wie eine erfolgreiche, zufriedene und glückliche Variante von mir. Eine verbesserte Ausgabe.“ (38)

Bernhaugen lädt Frey zu sich nach Nagasaki ein und bucht, um gemeinsam mit seinem Gast zu fliegen, eigens seinen Flug um. Das Flugzeug gerät jedoch über dem Meer in Turbulenzen und stürzt ab, es überleben nur ganz wenige Passagiere – darunter auch ein Österreicher mit einem auf Daniel Bernhaugen ausgestellten Reisepass, der sich allerdings nach einem siebenwöchigen künstlichen Tiefschlaf in einem japanischen Krankenhaus an nichts mehr erinnern kann. Er versteht und spricht kein Japanisch, seine Frau Naoko erkennt er nicht und auch die Buchhandlung taucht in seinem Gedächtnis nicht auf. Kommt die Rede auf seine Frau, erscheinen ihm Bilder einer rotgelockten Unbekannten (Sarah?!), deren Hals er mit seinen Händen würgt. Was man als Leser:in schon vermutet hat, scheint nun auch bei der Romanfigur an Gewissheit zu gewinnen: Der Überlebende ist nicht Bernhaugen, sondern Frey. Neben der Unklarheit über seine Identität wird Frey auch noch in ein Netz von sonderbaren Zufällen und Intrigen verstrickt, das ihn immer wieder mit dem toten (oder doch nur verschwundenen?) Daniel Bernhaugen in Verbindung bringt. Schließlich findet er sich als Jäger und Gejagter auf einer Schatzsuche mit lebensgefährlichem Versteckspiel vor der japanischen Mafia wieder. Unterstützt wird er vom amerikanischem Ex-Soldaten Charles Sweeney, der für das Verbrechen seines Großvaters – er war der US-Pilot, der am 9. August 1945 die Atombombe über Nagasaki abgeworfen hat – Buße tun will, und der japanischen Buchhändlerin Yuki, zu der sich Frey auch emotional hingezogen fühlt. Mit militärischem Knowhow, intimen Kenntnissen der japanischen Kultur und Topographie sowie der nötigen Portion Glück entkommt das Trio seinen Verfolgern immer wieder aufs Neue und meistert Aufgabe um Aufgabe.

Wie Freisitzer diese rasante, mit reichlich Love, Sex and Crime gewürzte Jagd inklusive Verwirrspiel zu einem Ende führt, sei hier nicht verraten – zu genussvoll und faszinierend sind die verschlungenen Wege, auf die der Autor seine Romanfiguren führt. Dass er es zuweilen gar zu toll mit ihnen treibt, merkt Frey einmal nach einer Liebesnacht mit Yuki an: „‚Und ich wage gar nicht daran zu denken, dass womöglich irgendein erratischer Romancier mein Leben morgen wieder in völlig andere Bahnen lenken könnte! Ich würde ihn mit bloßen Händen töten!'“ (161) Dieser – aus Sicht des Protagonisten verständlichen – Aussage kann aus Leser:innensicht keineswegs zugestimmt werden, man wünscht sich im Gegenteil mehr Autor:innen vom Schlage Freisitzers, die ihre Lust am Erzählen nur schwer in ihren Romanfiguren zumutbare Bahnen lenken wollen. Gewürzt mit einer nicht zu geringen Dosis japanischer Lebensart und Kochkunst – bei der Erwähnung kulinarischer Genüsse wie Miso-Auberginen, Yakitori-Spießchen, Tempura oder Hodate-Ikura-Don läuft einem bei der Lektüre wiederholt das Wasser im Mund zusammen – ist Frey ein äußerst gelungener Roman, der sowohl inhaltlich als auch erzähltechnisch überzeugt und begeistert!

Roland Freisitzer Frey
Roman.
Wien: Septime, 2021.
264 S.; geb.
ISBN 978-3-99120-005-5.

Rezension vom 09.09.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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