„Was ich hier schreibe, sind banale Protokolle“, lässt uns die Autorin wissen, und das stimmt – in gewisser Weise. „Ich könnte es auch sein lassen,“ ergänzt sie. Allerdings: Die Protokolle sind zwar auch banal, aber nicht nur. Und vor allem: Sie klingen nicht so, als ob Laggner sie einfach nicht schreiben hätte können. Die Dringlichkeit der schriftlichen Mitteilung, die so manchem Buch seinen Mehrwert gibt, sie quillt hier zwischen dem Diaristischen und dem Flapsigen hervor. Zwar muss ein solches Protokoll nicht veröffentlicht werden, um seinen höchsten Zweck zu erfüllen, aber es gibt einen weiteren, und da kommt im konkreten Fall das Formale ins Spiel, das dieses Buch in die Reihe der über den reinen Mitteilungszweck hinausweisenden Bekenntnisprosa und Autofiktion in Zeiten persönlicher Krisen stellt: Es ist für niemanden geschrieben worden und impliziert trotzdem konkrete Leserinnen und Leser, die uns Laggner an einigen Stellen auch plastisch vor Augen stellt. Nämlich alle, über die sich die Autorin geärgert hat, weil sie ihr in ihrer Schwangerschaft unnötige, unerwünschte oder auch dumme Ratschläge gegeben haben. Und vielleicht auch alle, bei denen sie sich dafür bedanken will, dass sie das nicht getan haben, sondern mit einer angestrengten und anstrengenden, nicht mehr ganz jungen werdenden Mutter von Zwillingen zurande gekommen sind und sie richtig behandelt, vielleicht sogar unterstützt haben. Wir anderen können mitlesen und Parallelen ziehen, wenn wir wollen.
Laggner beschwert sich darüber, dass sie als schwangere Frau „so zu einem Gut von allgemeinem Interesse“ wird, und da muss man sagen: the lady doth protest too much, methinks. Sie glaubt, dass sie „den Anschein von Offenheit verbreitet“. Wenn das in diesem Buch verratene Intime – es reicht von Fürzen über sexuelle Träume und Praktiken bis zu Muttermunddetails – nur der Anschein ist, was versteht die Autorin dann unter echter Offenheit?
„Meine Nerven liegen ein wenig blank,“ schreibt Laggner und liefert damit zwar nicht die Untertreibung des Jahres, aber des Buchs und der darin dokumentierten Schwangerschaft. „Ich bin hochsensibel und wittere unterschwellige Vorwürfe. Überall.“ Und das ist anstrengend für alle Beteiligten, auch für die Leserin. Nach dem Auf und Ab, der seelischen Belastung, die die Überlegungen pro und kontra Abtreibung darstellen, den hormonell bedingten Stimmungsschwankungen und der Verzweiflung bei der Imagination einer anstrengenden Zukunft – sie und ihr Partner haben bereits einen achtjährigen Sohn und die werdende Mutter weiß, was auf sie zukommt –, kehrt ein bisschen Ruhe ein und das Protokoll gewinnt einen, an manchen Stellen beinahe abgeklärten, Humor, der ihm guttut. Irgendwann kommen die Kinder dann auch wirklich heraus, den Splatter protokolliert Laggner dann nicht mehr, der Zweck der schriftlichen Selbstvergewisserung und -versicherung ist erfüllt.
„Wer schreibt, der bleibt.“ Das war zu Zeiten des Cousins von Laggners Urgroßmutter aus Agram wohl wahr. Mittlerweile ist das Schreiben als Lebensbewältigung aber so weit verbreitet und in den Alltag integriert, dass es schon aus quantitativen Gründen nicht mehr ums Bleiben gehen kann. Wenn man über die grundsätzliche Paradoxie von Laggners Projekt hinwegsieht – da beschwert sich eine Frau über die Veröffentlichung des Privaten, indem sie Privatestes veröffentlicht – kann man es aber als durchaus gelungen betrachten. Sollte Laggner sich dazu entschließen, demnächst über etwas anderes als sich selbst zu schreiben, darf man Erwartungen hegen. Denn sie hat witzige Einfälle und macht interessante Beobachtungen zum Umgang mit Schwangerschaft in unserer Gesellschaft, außerdem hat sie ein gutes Gespür für Phrasen und abgenützte Metaphern, die sie demontiert. Lapidar und treffend stehen einzelne Sentenzen zwischen den ausführlichen Berichten über Alpträume und Ultraschalluntersuchungen, um die es der werdenden Mutter geht und die genau darum auch nicht kürzer oder weniger detailliert sein könnten. „Kinderkriegen ist das neue Mutig“ und „Elternschaft ist mehr so ein Frauenthema“ sind Einsichten, die aus Laggners kritischem Blick auf ihr Umfeld und die Reaktionen auf ihre Schwangerschaft hervorgehen. Und so findet man in diesem autobiographischen Buch neben der Schilderung seelischer und körperlicher Zustände und der sozialen und sozialversicherungstechnischen Einbettung einer konkreten Zwillingsschwangeren auch das Porträt einer Gesellschaft, die angesichts geballter Verantwortung mit hochindividualistischer Verunsicherung, staatlicher Unterstützung und Apparatemedizin auf das keineswegs seltene Ereignis des Kinderkriegens reagiert.
Karin S. Wozonig, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Anglistik/Amerikanistik und Germanistik an der Universität Wien und UCLA (USA). Publikationen zur deutschsprachigen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts und zur Chaostheorie. www.karin-schreibt.org