#Roman

Fremde Federn

Alina Lindermuth

// Rezension von Erkan Osmanovic

Weder Fisch noch Fleisch. Proteine in der Schokolade, im Joghurt oder in Keksen. Sie sind in aller Munde: Wenn es nach Tom geht, auch als Mehlwürmer und Käfer. Warum? Weil er damit sein Geld verdient. Thomas ist Produktentwickler in einem Start-up, das sich zum Ziel gesetzt hat, Insekten unter die Leute zu bringen – als Alternative zu Fleisch und Fisch.

In ihrem Roman Fremde Federn erzählt Alina Lindermuth Toms Geschichte. Nach der Schule als Küchenjunge gestartet und bis zum 27. Lebensjahr als Koch tätig, findet er sich auf der Suche nach Neuem in der Lebensmittelbranche wieder. Der inzwischen 32-jährige Tom hat seinen Traumjob gefunden und ist so erfolgreich, dass er als Abteilungsleiter in eine andere Stadt ziehen muss. Dort wagt er ein Experiment: Er zieht mit seiner Großmutter Rosmarie zusammen. Und es funktioniert!

Die eigenwillige WG kommt wunderbar zurecht. Schließlich erfüllt der Enkel seiner Oma auch einen langersehnten Wunsch: Einen Hühnerkäfig samt den drei Hühnern Koukounaries, Kastro und Kos. Plötzlich ein Unfall. Rosmarie ein Pflegefall. Und Thomas vor der Wahl: Karriere oder Familie. Die Lösung? Kata und Josipa, zwei 24-Stunden-Pflegerinnen. Während Rosmarie Kata liebt, misstraut sie Josipa – und hat Angst ihre heißgeliebten Hühner zu verlieren. Nicht nur Rosmarie, sondern auch Thomas hat mit dieser Wendung zu kämpfen. Denn neben seiner Arbeit und der Sorge für seine Großmutter brechen sich Erinnerungen an seinen Vater, seine Ex-Freundin und seine Mutter Bahn.

Ein Knacks

Abneigung und Zuneigung, Hass und Liebe, Monotonie und Abwechslung – der Roman verwebt Gegensätze über die Jahreszeiten hinweg: Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr Raum nehmen diese ein. Das Spiel mit Kontrasten findet auch auf struktureller Ebene statt. So lässt Lindermuth jedes Kapitel mit Notizen der Pflegerinnen beginnen: etwa was Rosmarie gerne isst oder dass sie es liebt, Küchentücher zu berühren. Die Sprache Lindermuths ist keineswegs nüchtern und spielt im besten Sinne mit Metaphern und Bildern. Bereits nach wenigen Seiten wird klar: da ist jede Zeile, jede Wendung konzipiert und konstruiert worden – präzise und austariert. Genau diese Art des Schreibens ermöglicht es, ein Phänomen zu beschreiben, das bereits der große Essayist Roger Willemsen 2008 in seinem Buch Der Knacks aufgegriffen hat:

Doch dann ist da noch eine andere Biographie: »Irgendetwas« hat sich gewandelt, sagt man, »irgendwann« war es da, »irgendwie« von innen heraus, gelöst vom isolierten Anlass, nicht logisch und auch nicht im Gegenteil psychologisch. Man blickt zurück und weiß nicht recht, was es war und wann es geschah und woraus genau es bestand und wohin es führte, aber man sagt: Nie mehr fühlte ich wie damals

Wie zu viele weiße Blüten auf den verknorpelten alten Ästen eines Apfelbaums schön anzusehen sind, obwohl die Äste unter dem Gewicht der Früchte zu brechen drohen, so sind auch die Spuren des Knacks faszinierend und erschreckend zugleich. Fremde Federn geht diesem Aufspringen des Lebens nach, aber in einer luftigen Sprache – und lässt so Hoffnung durchdringen.

Alina Lindermuth Fremde Federn
Roman.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2023.
256 S.; geb.
ISBN 978-3-218-01386-4.

Rezension vom 13.02.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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