#Roman

Frau in den Wellen

Beatrix Kramlovsky

// Rezension von Sabine E. Dengscherz

Joni Lanka, „Tschoni“, Ende Vierzig, erfolgreich, Kosmopolitin mit „Ankerplätzen“ in London, New York, Berlin und Wien. Tochter eines Hippie-Paares und benannt nach der kanadischen Künstlerin Joni Mitchell. Hervorstechende Eigenschaften: offen für alles Mögliche, einfühlsam, intelligent, pflegt Freundschaften auf verschiedenen Kontinenten über Jahrzehnte und findet überall auf der Welt neue. Familienverhältnisse: geschieden, 2 Kinder. Auffällige äußere Merkmale: fuchsrote Haare.

Beatrix Kramlovskys Roman Frau in den Wellen erzählt die Geschichte einer starken Frau, die einen besonderen Spagat schafft: sich vom Leben treiben zu lassen und gleichzeitig ihren eigenen Vorstellungen, Bedürfnissen und Interessen zu folgen. Eine gewisse Unangepasstheit haben ihr ihre Hippie-Eltern schon mit in die Wiege gelegt, und Joni pflegt sie ein Leben lang weiter – wenn auch ganz anders als ihre Eltern. Von Beruf Soziologin, „ausgebildet um vorherzusagen, welche Naturkatastrophen und klimatischen Veränderungen wo Migration auslösen und die Lebensverhältnisse in weit entfernten Gegenden beeinflussen werden“ (S. 201), berät Joni Regierungen und NGOs, beteiligt sich an Forschungsprojekten und unterrichtet zuweilen an Universitäten, verdient gut, aber nicht übermäßig, agiert engagiert und verantwortungsvoll und hält sich im Hintergrund. Ihre beruflichen und privaten Netzwerke sind eng miteinander verflochten, sie versammelt interessante, offene Menschen um sich, und so mancher Kollege wird zum Freund oder Liebhaber – oder beides.

Joni ist Karrierefrau, vielseitig interessierte Globetrotterin, liebevolle Mutter und Freundin, und gesteht ihren Lieben ebenso viel Freiraum zu, wie sie selbst braucht. Und es läuft gut. Bis ihr jüngster Sohn unbedacht bei den falschen Leuten Privates preisgibt und ein Shitstorm beginnt, der bewusst macht, dass Familie „genauso ein Katastrophenplatz wie die Welt da draußen ist“ (S. 203) – und dass frau niemals ganz sicher sein kann …

Spannend und lebendig erzählt Kramlovsky die Geschichte einer durch und durch sympathischen Heldin, die durch ihre Art zu sein und zu agieren – und die Reaktionen darauf – vor Augen führt, wie tief so manches antiquierte Rollenbild sitzt: Würde Jonis „ungewöhnliches“ Leben doch so viel weniger ungewöhnlich wirken, wenn sie ein Mann wäre. Immer noch. Der Roman berührt so einige typische Themen unserer Zeit: Geschlechterrollen, Borniertheit, Rassismus und globale Ungerechtigkeiten. Klar wird Jonis „Umherziehen“ als eine „Erscheinung der Moderne“ positioniert, die einige wenige Privilegierte von den vielen abhebt, die aus ganz anderen Gründen migrieren – müssen.

Wir begegnen Joni im Jahr 2016, vieles wird in Rückblenden erzählt: ihre Kindheit, ihre Zeit als Diplomatengattin mit einem ersten Kind in Ost-Berlin, ihre Trennung, ihr Studium, ihre ersten beruflichen Schritte, die Entwicklung ihrer Erfolge, ihr zweiter Beziehungsversuch mit demselben Ehemann und einem zweiten Kind, das nochmalige Scheitern der Ehe, die Beziehungen mit anderen Partnern, lose, aber nicht oberflächlich, langjährige tiefe Freundschaften mit ein wenig Sex.

Die aktuelle Handlung entfaltet sich vor dem Hintergrund des sich abzeichnen Brexit und des Wahlkampfs zwischen Donald Trump und Hillary Clinton. Joni bewegt sich mittlerweile als erfolgreiche, kosmopolitisch agierende Expertin auf dieser Weltbühne, versucht mit ihren Netzwerken Schlimmes zu verhindern, wenn sie die Chance dazu hat, und ist immer wieder enttäuscht darüber, wie wenig in der Politik auf wissenschaftliche Expertise gehört wird. Dennoch führt sie ein glückliches, erfülltes Leben, schafft es, trotz hohem Arbeitspensum den Kontakt zu jenen zu pflegen, die ihr viel bedeuten: ihren Freund:innen und ihrer Familie.

Aber so manche Teile der Gesellschaft haben wenig Verständnis für Anders-Sein, für das Abweichen von einer wie auch immer konstruierten Norm. Für ein Anders-Sein, das neidisch macht und die Phantasie zu beflügeln scheint, was die da denn alles auf dem Kerbholz haben könnte. Eine Frau. Sowas. Sei es eine, die amerikanische Präsidentin werden möchte oder eine, die sonstwie zu erfolgreich ist. Die Anwaltskanzlei schaltet sich ein, wenn es zu bunt getrieben wird mit der Hexenjagd, beschützt und wehrt ab, sobald es um Firmeninteressen geht, also um ‚mehr‘ als um die Würde der Frau. Andere Frauen haben so einen Rückhalt nicht. Zwischen den Zeilen wird spürbar, dass dieser Roman auch jenen gewidmet ist.

Joni erwischen die Ereignisse an der Wende zu einer neuen Lebensphase, einer neuen Beziehung, in einem anderen Teil der Welt. Sie ist gerade dabei, einen Ankerplatz in Kanada aufzubauen, auf dem sie vielleicht sogar Wurzeln schlagen könnte, sie, die nie das Bedürfnis nach solchen Wurzeln hatte. Sie tritt in diesen neuen Lebensabschnitt mit Sam, ihrem nicht mehr ganz so neuen Partner, einem, der ihr und ihrer Lebensweise ähnlich ist, einem Kollegen, mit dem sie schon viel geteilt hat und mit dem sie jetzt auch einen Ort teilen möchte. Und dann wird es genau dieser Ort, dieses neue Glück, das sie verletzlich macht … Glück ist filigran, und es ist nicht leicht, sich gegen Dummheit und Populismus zur Wehr zu setzen. Aber frau kann es zumindest versuchen. Rückgrat zeigen. In jeder einzelnen Handlung des Alltags. Nicht zuletzt davon handelt dieses schöne Buch.

Beatrix Kramlovsky Frau in den Wellen
Roman.
München: hanserblau, 2022.
320 S.; geb.
ISBN 978-3-446-27479-2.

Rezension vom 12.10.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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