#Lyrik

Frakturen

Jani Oswald

// Rezension von Walter Wagner

Mit diversen Etiketten ließe sich diese Dichtung versehen: Experimentelle oder konkrete Poesie wäre als Gattungsbezeichnung tauglich, würde aber diesem hintergründig sinnlichen Sprach- und Lautspiel nicht gerecht werden. Denn Oswalds Poetik erweist sich als komplexer. Dem programmatischen Titel folgend, verbiegt und verdreht der Dichter sein Wortmaterial, zerlegt es und setzt es wieder zusammen, um unversehens neue Bedeutungen und Zusammenhänge zu erzeugen, gleichsam als ob sich Sinn letztlich nur dynamisch erfahren ließe (ach Derrida!). So wird die „Pro C-Dur“ auf ihre ursprüngliche „Prozedur“ zurückgeführt, der „August Wien“ einmal als „Liebe im August“ und dann als „Lieber Augustin“ paraphrasiert oder der „Čuš“ zum gängigeren „Tschusch[en]“, der schließlich „tschüss“ sagt und verschwindet. Da werden Zeilen verrückt, schweigende weiße Flecken im Satzspiegel geschaffen und parallel zum rechten Seitenrand eine von unten nach oben laufende Widmung platziert.

Die Wandelbarkeit dieser höchst imaginativen Sprachkunst übertrumpft sich stets aufs Neue, scheint uferlos und überrascht den verblüfften Leser mit poetisch-polyglotten Intarsien. Oswald findet nämlich nichts dabei, in seinen Gedichten Hochdeutsch mit Kärntner Regiolekt, Slowenisch, Italienisch und Englisch zu einem neuartigen lyrischen Esperanto zu vermischen, das kosmopolitischer und provinzieller nicht sein könnte.

Aber wer keine Freude am Fremden und am Verschieben linguistischer und ästhetischer Grenzen hat, der wird dieser unbeschwert lasziven Lyrik des Jani Oswald und der sich darin verbreitenden würzigen Landluft nichts abgewinnen zu vermögen. Ja, ein solcher Leser – und namentlich Nichtkärntner – wird selbst bei der Degustation der auf beigeschlossener Hör-CD präsentierten „Buhštabenzupe“ bodenständigerer Kost nachtrauern. Und das ist grundfalsch, denn gerade durch die Rezitation wird die Rhythmik dieser Verse offenbar, verwandeln sich hölzern anmutende slawische Konsonanten in ansprechenden Wortklang, wobei die instrumentelle Untermalung ein Übriges tut.

Hinter all dem formalen Bemühen verbergen sich freilich auch ernste Themen. Nicht zu übersehen sind etwa die subtilen Angriffe auf die globalisierte Digitalwelt und ihren unerträglichen Neusprech sowie die obligaten Fragen nach Herkunft und Zugehörigkeit. Grund genug also, in den Frakturen einen elegischen Ton zu erwarten. Aber Oswalds vortreffliche Verse sind selbst wenn sie anklagen noch heiter und haben sich einem philosophischen Lachprogramm verschrieben, dessen Quintessenz sich im Kochrezept kulinarisch-genialisch präsentiert: „Betrachte das Leben / als versalzenen /Hartweizengrieß/ Biedermeierterrine / zum bösen Spiel / lacht.“ Womit alles gesagt wäre.
(PS: Slowenisch als „weltšpraha“ wird wohl weiterhin auf der Warteliste bleiben.)

Jani Oswald Frakturen
Gedichte.
Klagenfurt/Celovec: Drava, 2007.
88 S.; geb.
ISBN 978-3-845435-511-3.

Rezension vom 28.11.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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