#Roman

Folgen

Ludwig Laher

// Rezension von Barbara Angelberger

Als einen Roman versteht Ludwig Laher sein neuestes, stark autobiographisch aufgeladenes Buch, in dem ein Ich in Zwiesprache mit dem Vater und indirekt auch mit sich selbst tritt. Ausgebreitet werden die ersten 15 Lebensjahre des Erzählers.

Der Erinnerungsfluss wird immer wieder von an den Vater gestellten Fragen unterbrochen. Der Autor verzichtet darauf sie zu beantworten. Leerstellen bleiben – was das Buch von zahlreichen anderen Erinnerungsbüchern und Familienromanen wohltuend unterscheidet – ungefüllt.
Erzählt wird nicht chronologisch, eher topografisch-assoziativ. Gemeinsam besuchte Orte (vor allem der Stadt Linz) und das dort Erlebte werden vorgestellt.
Dass Erinnerung ein Konstrukt ist, Leben kein geschlossenes Ganzes bildet, wird auch formal deutlich. Das Ich blickt auf Erinnerungsbilder, in die es hineinschlüpft. Es zeigt auf, wie und dass es sich erinnert: „Zu den Osterfeiertagen im Jahr meines Schuleintritts sitzt der Sechsjährige im Wohnzimmer einem Greis gegenüber.“ (S. 7) Der Greis ist Vater des Erzählers, ein schweres Krebsleiden hat den Mittvierziger in einen alten Mann verwandelt, der quälend langsam dahinstirbt.

Kurz vor seinem Tod übergibt der Vater dem Sechsjährigen die Verantwortung für die „Mutti und das kleine Schwesterl“: „Und deshalb wollte ich dich inständig bitten, daß du mir versprichst, später einmal, wenn du groß bist, wenn du noch größer bist, verbessert er sich schnell und lächelt sogar ein bißchen, für sie dazusein, auf sie aufzupassen.“ (S. 13)
Das Kind beginnt erst in der Pubertät die ihm aufgezwungene Bürde abzulegen. Hier endet das Buch – das vielleicht auch einen Versuch darstellt, die Verantwortung dem zurückzugeben, der sie eigentlich hätte tragen sollen.
Interessanterweise nämlich hat es der Vater mit der Verantwortung für die Familie selbst nicht so genau genommen. Er hat Schwierigkeiten zeit Lebens ignoriert und seine Familie in eine bedrohliche Finanzmisere hineinmanövriert. Die junge Witwe hat nach seinem Tod nicht nur zwei kleine Kinder zu versorgen, auch die Delogierung droht. Geldsorgen bestimmen über Jahrzehnte hinaus das Familienleben. Die Mutter, den Verstorbenen maßlos idealisierend, leidet unter Herzrasen und Nervosität, nächtliche Notarztbesuche werden Teil eines schwierigen Alltags. Der Sohn steht – selbst überfordert – der Überforderten zur Seite.
Nur mit Hilfe einer Freundin kommt die Mutter über die Runden. Sie wohnt bei der Familie. Den Grund für die Spannungen zwischen den beiden Frauen erfährt der Erzähler erst als Erwachsener: die Freundin war eine frühe Vertraute des Vaters, die dem von seiner ersten Frau Getrennten den Haushalt führte, „wenn nicht mehr“ (S. 150). Auf dem Küchentisch hat sie Mutters erstes Kind abgetrieben. Der Vater hat darauf bestanden.

Laher ist ein genauer Beobachter, der Verschwiegenes unaufgeregt bloßlegt. Er dekonstruiert die (Über-)Lebenslügen und -konstrukte der handelnden Personen ohne sie zu denunzieren und zeigt, – der Titel des Werks legt dies bereits nahe – wie sehr Vergangenheit und Gegenwart einander bedingen. Fast distanziert berichtet er von den Ungeheuerlichkeiten des Alltags, von denen alle Beteiligten so tun, als wären sie normal. „Magst du einen Pudding mit Himbeersaft?“ (S. 13), fragt die Mutter den Sohn, nachdem ihm der Vater seinen bevorstehenden Tod angekündigt hat.

Laher erzählt nicht nur die Geschichte des Vaters, der Mutter, des Sohnes (die Tochter nimmt ungleich weniger Raum ein), sondern zeichnet auch ein Sittenbild der 50er- und 60er-Jahre. Natürlich werden dabei Heinz Conrads und „Autofahrer unterwegs“ erwähnt – Lahers Verdienst ist es jedoch, nicht im Name-Dropping stecken zu bleiben, sondern mit wenigen Worten und fern von Nostalgie bzw. Abrechnung die Lebenshaltung einer Epoche deutlich zu machen.

Folgen besticht durch einen ungekünstelten Sprachfluss, den sparsamen Umgang mit Metaphern und eine persönliche und gleichzeitig doch auch distanzierte Erzählweise. Ein überaus empfehlenswertes Buch.

Ludwig Laher Folgen
Roman.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2005.
205 S.; geb.
ISBN 3-85218-465-7.

Rezension vom 13.07.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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