Bernd Schuchter, 1977 in Innsbruck geboren, Schriftsteller und Verleger des Limbus Verlages, greift in Föhntage Themen wieder auf, die bereits in seiner Erzählung Jene Dinge im Mittelpunkt stehen. Es geht um die Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit der Heimat, dem Land des Fallwindes – Tirol. Katalysator des erneuten Nachdenkens über die Tiroler Geschichte ist dabei der Fußballfan Lukas, der sich als interessierter Zuhörer, geschickter Fragensteller und guter Freund erweist. Das erlaubt Bernd Schuchter nur ein bestimmtes Ausmaß an Komplexität, will er nicht unglaubwürdig klingen. Tatsächlich kann man die psychologische Glaubwürdigkeit der Erzählung als Schwäche des Buches ausmachen, was vielleicht auch daran liegt, dass etwas mehr epischer Atem gut getan hätte.
Also tatsächlich entsteht zwischen Lukas und dem pensionierten Brauereiarbeiter Josef Lahner nach und nach eine Freundschaft, in deren Verlauf Lahner seine Geschichte erzählt. Wie er als Sohn eines Südtiroler Optanten, der in seiner Heimat als Zweitgeborener keine Chance auf das Hoferbe hatte, nach Innsbruck kommt; Wie er aufgrund eines Zufalls (?) – er sitzt in der Fabrikskantine neben einem der Anführer des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) – bei einem Südtirolbesuch von den Carabinieri festgenommen und gefoltert wird. Josef Lahner erweist sich dabei als ein nachdenklicher Mensch und Kunstkenner, der anhand von Werken der bildenden Kunst über das Tirolerische räsoniert. Tatsächlich enthält Föhntage etwa eine lesenswerte Interpretation von Max Weilers Fresken im Innsbrucker Hauptbahnhof. Und da ist dann noch Giuseppe Monte. Er stammt aus einem Dorf in der Nähe Roms und wird als Carabiniere nach Südtirol geschickt. Er ist mit einer Frau “aus dem Norden” verheiratet, versucht Berufsleben und Privates nicht zu vermischen und muss doch immer wieder daran denken, wie er als Grenzpolizist Zeuge von Folterung wird. Wie Lahner ist auch Monte damit Beschäftigt mit seiner Vergangenheit klar zu kommen. Und am Schluss des schmalen Romans kommt es zu einer Begegnung der beiden.
Bernd Schuchter gelingt ein Werk, das die komplizierte Geschichte Tirols im zwanzigsten Jahrhundert auch für junge Menschen zugänglich macht. Seine Intention ist versöhnlich. Dabei gelingen einzelne Szenen so gut, dass man gerne mehr davon lesen möchte. Vor allem die impressionistischen Skizzen von den Fahrten über den Brenner von Lukas Familie, das Nachdenken von Lukas über die Unterschiede zwischen Österreichern und Deutschen, zwischen Tirolern und Wienern, oder die Beschreibung eines Cafebesuchs von Monte in Bozen haben eine Leichtigkeit ohne dabei leer und bedeutungslos zu sein. Das empfiehlt das Buch auch für jüngere Leser. Andererseits fühlt man sich in dem Roman manchmal etwas beengt in dieser tirolerischen Provinz. Der Erzähler, der von außen berichtet, hätte da durchaus noch etwas mehr Abstand halten können. Auch manche Kalauer – “Die Welt ist alles, was der Fallwind ist” – sind entbehrlich.
Föhntage sind für viele Kopfwehtage, an denen ein Klima herrscht, das den Körper überanstrengt. Bernd Schuchters Protagonisten sehen diese Tage anders: “Es ist Zeit, den Nebel zu lichten, es kommt Föhn auf. Ab heute gibt es Föhntage.” So werden in diesem Buch Erinnerungen angesprochen, die für Lukas Teil seiner Heimat sind. Die Grenzen. Die Entscheidungen. Das Erbe. „Große Begriffe“, dachte Lahner. Überzeugungen, Zufälle, Pech. Erstgeboren. Zweitgeboren. Heimat. Keine Heimat. „Alles lange her“, dachte Lahner. „Vielleicht ist das wirklich alles lange her.“