Am Sterben von Familienmitgliedern nehmen alle Generationen Anteil. Für dieses Netz aus Beziehungen findet Laznia immer neue eindrückliche Bilder und Perspektiven.
fischgrätentage ist der perfekte Familienroman, ohne ein Roman zu sein. Er enthält alle Elemente dieses Romantyps, nur ohne dessen feste erzählerische oder chronologische Reihenfolge. Stattdessen fallen blitzlichtartig Scheinwerferkegel auf das Gespinst der Beziehungen und Lebensmomente.
Eine alte Frau stirbt, ihr Abschied von der Welt wird sowohl aus ihrer Perspektive, als auch aus der ihrer Angehörigen in enger Verzahnung und Widerspiel betrachtet. Dass Erinnerungen, Alltag und die Ungeheuerlichkeit des Endes sich dabei vermischen, eröffnet dem artifiziellen Modus der Lyrik Möglichkeiten, die von Laznia in beeindruckender Stimmigkeit und Zartheit umgesetzt werden, ohne jemals auch nur in Kitsch-Gefahr zu geraten.
Das verdankt sich auch der Sprache des Bandes, die ein weiteres Argument für die Eignung als Schullektüre bietet. Einfachheit und Knappheit stehen im Vordergrund, simpel wird der Text dadurch allerdings nicht. Geschwätzigkeit muss sich Laznia nicht vorwerfen lassen. Wo andere ermüden, fördert Laznia Wachheit und belohnt Konzentration. Die Vielschichtigkeit bleibt bestehen, manche Zeilen bewahren ihr Geheimnis. Der Verzicht auf Interpunktion zwingt zu einem genaueren Lesen, mitunter auch zur Wiederholung.
Zuweilen sind Fragmente aus Bauernregeln, Kinderliedern und -sprüchen eingeschoben, die in ihrer Verspieltheit einen starken Kontrast zur hochkonzentrierten Beschränkung auf das Wesentliche bieten. Sehr selten kommt die Mutter direkt – im Kärntner Dialekt – zu Wort. Verortungen finden sich kaum, wenngleich deutlich wird, dass es um den Raum Villach geht. Für die Gültigkeit der Gedichte spielt das kaum eine Rolle, im Zentrum stehen menschliche Beziehungen, die von universeller Gültigkeit sind:
„Linien in den Handflächen
Lebenslinie Herzlinie Kopflinie
messen die Luftlinie zwischen uns“ (S. 15)
Die Körperlichkeit des Sterbens wird von Laznia nicht ausgespart, die Zugewandtheit und Zuneigung, die die Beziehungen prägen, lassen den Vorgängen aber ihre Würde:
„Schicht für Schicht salbe ich die
Zeit auf deinen Körper reibe
sie ein im Uhrzeigersinn
sie sickert durch alle Poren
der Haut und ölt nachts das
Getriebe des Traums sie ist ein
Film auf und unter der Haut
eine Schicht auf und unter den
Lidern zitternder Flaum im Nacken“ (S. 29)
Während etwas über die Hälfte des Buches Gedichte ohne gemeinsame Überschrift enthält, finden sich weiter hinten sechs mit Namen benannte Gedichtzyklen, die noch einmal einen bestimmten Aspekt der Konstellation beleuchten. In denen mit dem Titel Lavendellied ist es z. B. die Darstellung des körperlichen Verfalls, zugleich aber auch die ihn begleitende zwischenmenschliche Zuneigung und Pflege.
„es ist die Zeit da die Beine
schwerer werden täglich ein
Schritt weniger ein Stolpern mehr
wir zählen mit Kastanien deine
Runden durchs Haus von der
Küche durch den Vorraum ins
Wohnzimmer und wieder zurück“ (S. 74)
Der Zyklus Blattwerk teilt die Gedichte in ein Vorher und Nachher, indem die Gedichte entweder mit „solang“ oder „sobald“ beginnen. In den Gedichten von Mutterkraut steht die Materialität im Vordergrund, die Kräuter und das Brot als menschennahe Dinge, die gerade in der Nähe zum Tod noch einmal ein intensiveres Erleben möglich machen. Der letzte Zyklus Milchmädchen gehört der Trauer und dem Weiterleben der Hinterbliebenen:
„wir haben sie gelebt und sie hat uns gelebt
sie hat gelebt und wir leben noch
und werden sie weiterleben
derweil ist der Tag größer geworden
alle sind eingetroffen“ (S. 116)
fischgrätentage ist ein im besten Sinne zugängliches lyrisches Werk, ohne seicht zu sein. Trauer und Schönheit verbinden sich in nachvollziehbarer Wahrhaftigkeit und Stimmigkeit.
„eine sollte hierbleiben
wenn du gehst und die Katze
füttern einer sollte die Blätter
von deinem Kalender reißen
wenn die Tage vergehen abends
den Vorhang schließen ihn
morgens öffnen wir sollten alle
hier warten und unsere Hände
am Ofen wärmen die Nachbarin
hereinlassen ihr zuhören“ (S. 91)
Holger Englerth, Studium der Geschichte und Deutschen Philologie an der Universität Wien, Ausbildung zum Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger. Diplomarbeit über Asketische Praktiken von Frauen vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projekte Literaturzeitschriften in Österreich 1945–1990, Literature on the Move, Tagebücher Andreas Okopenko und zur Österreichischen Gesellschaft für Literatur.