#Sachbuch

Fin de siècle - Fin du millénaire

Hans-Jörg Knobloch, Helmut Koopmann (Hg.)

// Rezension von Ulrike Diethardt; Evelyne Polt-Heinzl

In der Litratur pflegen sich Epochenwechsel nicht immer an die dafür vorgesehenen Jahreszahlen zu halten. Auf diesen Nenner lassen sich die Ergebnisse des fünften Johannesburger Germanistentreffens vom März 2000 zusammenfassen, das sich auf die Suche nach Endzeitstimmungen in der Literatur begab. Vor aller zeitlichen Verortung beschreibt Thomas Anz im einleitenden Beitrag in zehn Thesen die „Arten und Gründe des Vergnügens an apokalyptischen Gegenständen“, die ihnen literarische Attraktivität und damit ständige Wiederkehr in der Literatur garantieren.

Wendelin Schmidt-Dengler wählt als exemplarische Konstellation von Endzeitstimmung das literarische Fest, das sich im 20. Jahrhundert als eine Geschichte von Katastrophen und Skandalen darstellen läßt mit durchwegs hausgemachten Störfaktoren. Bei Arthur Schnitzler oder Joseph Roth werden die (säkularisierten) Dionysien mit katastrophalem Verlauf zur Chiffre für die untergehende Monarchie. Ausgehend von der These, daß in der Literatur die Jahrhundertwende schon um 1890 stattfand, analysiert Wolfgang Nehring die äußerst komplexe Mischung aus Endtzeitstimmung und Aufbruchswillen in Literatur und Lebensgefühl um 1900. Hans-Jörg Knobloch verortet den zweiten Endzeit-Pol im Pathos der „Menschheitsdämmerung“ des Expressionismus, dessen Beginn gewöhnlich mit dem 1911 publizierten Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis datiert wird.

Sind in den Untergangsphantasien der ersten Jahrzehnte des vergangenen Jahrunderts immer zugleich auch die Gegenkräfte Zukunftshoffnung und Aufbruchsstimmung präsent, scheinen sich in der Jahrhundertmitte Endzeitgefühle wesentlich radikaler auszudrücken. Helmut Koopmann analysiert Romane der fünfziger Jahre, vor allem von älteren Autoren, für die sich, bedingt durch Lebensalter und Zeiterfahrung mit Faschismus und Emigration, Endzeitgefühle zu konkreten Vorstellungen vom Untergang des Abendlandes verdichten. Für diese These stehen Romane von Franz Werfel, Hermann Hesse, Heinrich und Thomas Mann, der schon in den „Buddenbrooks“ mit der Geste des Schlußstrichs, den der kleine Hanno unter die Familienchronik zieht, ein einprägsames Bild des Endzeitgefühls gesetzt hatte. Einzelne Untersuchungen widmen sich Hermann Broch (natürlich Paul Michael Lützeler), Elias Canetti (William Collins Donahue, der einzige englischsprachige Beitrag des Bandes), dem Drama der Zwischenkriegszeit (Manfred Misch) und C. G. Jung (Christine Maillard).

Der zweiten Jahrhunderthälfte sind drei Aufsätze gewidmet. Generell gilt auch hier der Befund, daß der Weltuntergang schon einiges vor der Jahrtausendwende vorweggenommen wurde, mit einem Höhepunt an Zukunftslosigkeit in Christa Wolfs Roman „Kassandra“ 1983. Theo Elm beschäftigt sich mit der Entzeitdiskussion in der Gegenwartslyrik, Kurt Bartsch analysiert Michael Scharangs schelmisch-ironischen Endzeitroman „Das Jüngste Gericht des Michelangelo Spatz“ als Versuch, den apokalyptischen (Mode)Ton satirisch zu unterlaufen, und Joachim Barbe untersucht die Zeremonien des Abschieds bei Botho Strauß.

Wenn Thomas Anz in seinem einleitenden Aufsatz demonstriert, daß apokalyptische Phantasien durchaus lustvoll erfahren werden und Vergnügen bereiten können, zeigt der vorliegenden Band, daß das auch für den Diskurs darüber gelten kann. Die Aufsätze sind überwiegend flott und unterhaltsam geschrieben und rücken einiges zurecht an eingefahrenen Bildern über Weltuntergangsbefindlichkeiten um 1900 und 2000.

Hans-Jörg Knobloch, Helmut Koopman (Hg.) Fin de siècle – Fin du millénaire
Endzeitstimmungen in der deutschsprachigen Literatur.
Tübingen: Stauffenburg, 2001.
183 S.; brosch.
ISBN 3-86057-158-3.

Rezension vom 08.01.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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