#Sachbuch

Felix Salten – der unbekannte Bekannte

Ernst Seibert und Susanne Blumesberger (Hrsg.)

// Rezension von Sabine E. Selzer

„Who killed Bambi?“ singen die Sex Pistols und liefern damit viel später einer Frauenpunkband den entscheidenden Impuls für ihre Namensgebung, von Bambiland spricht ironisch Elfriede Jelinek und alle scheinen sich einig zu sein – Bambi ist die internationale Ikone naiver Unschuld: ein junges Reh mit treuherzigen Kulleraugen, wie süß. Walt Disney sei Dank. Und wer war eigentlich dieser Felix Salten?
Nun ja, sicher kennen wir Bambis eigentlichen Schöpfer. Wenigstens hierzulande. Und dass er sozusagen klammheimlich vorher die Josefine Mutzenbacher geschrieben hat, wissen wir auch grad noch. Und dass … er eigentlich immer nur in Aufzählungen vorkommt, zusammen mit mehr oder weniger großen Namen der Zwischenkriegszeit in Wien.

Auf diesen Umstand der ungeheuren Bekanntheit nur sehr weniger Details reagierte im November 2005 die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung mit einem Felix Salten-Symposion zum 60. Todestag des Autors. Und die Ergebnisse dieses Symposions sind nun auch nachzulesen unter dem vielsagenden Titel: Felix Salten – der unbekannte Bekannte. Mitherausgeber Ernst Seibert verortet bereits im Vorwort des im Praesens Verlag erschienenen Sammelbandes mögliche Gründe für diese „Beinahe-Anonymität“ (S. 7) Saltens in Österreich: er sei eben weder in diesem Land geboren noch gestorben.

Mitherausgeberin Susanne Blumesberger liefert einen Abriss seiner durchaus bewegten Biografie. Geboren 1869 als Siegmund Salzmann in Budapest, sozialisiert in Wien und gestorben 1945 im Schweizer Exil, begraben auf dem jüdischen Friedhof in Zürich. Feuilletonist und Schriftsteller, Präsident des österreichischen PEN-Club und Außenseiter, Autor unterschiedlichster Textsorten, vom pornografischen Bildungsroman Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt (bekannter unter dem Pseudonym Josefine Mutzenbacher) über einen zionistisch angehauchten Bericht einer Palästina-Reise und mehreren sozialkritischen Erzählungen (Die kleine Veronika, Olga Frohgemuth, Das Schicksal der Agathe) bis hin zu seinen berühmten Tierromanen, die zumindest in Ungarn – wie Sarolta Lipóczi nachweist – über eine reiche Rezeptionsgeschichte verfügen und bis heute immer wieder übersetzt sowie viel empfohlen und gelesen werden. Im deutschsprachigen Raum hat Walt Disneys Verfilmung, eine für die 1940er Jahre hochmoderne und ausgefeilte Animation, wie Judith Mathez anschaulich zeigt, den Büchern längst den Rang abgelaufen. Und neben Bambi ist ein Großteil von Felix Saltens weiterem Schaffen in Vergessenheit geraten.

Außer einer qualitativ äußerst fragwürdigen (da sind sich die Autoren des Sammelbandes einig) Dissertation aus dem Jahr 1949 waren lange Zeit keine umfangreicheren Arbeiten zu und über Salten greifbar, 1992 folgte eine Diplomarbeit in Graz (Gabriele Reinharter) und 2002 eine Dissertation in Regensburg (Jürgen Ehneß).
Der vorliegende Sammelband soll nun zu einer Wiederentdeckung Saltens beitragen, wenn nicht überhaupt eine Erforschung seines Wirkens initiieren. In fünf Kapiteln „Zur Biografie“, „Zum Kindheitsbild“, „Zu allgemeinliterarischen Werken“, „Zu kinderliterarischen Werken“ und „Zur Rezeption“ versuchen jeweils mehrere Beiträge Annäherungen an die beinahe ‚jungfräuliche‘ Thematik, wie Seibert im Vorwort erläutert: „Die Einleitungen der Kapitelüberschriften mit den das notwendigerweise Exemplarische des Vorgehens signalisierende Präpositionen ‚zu‘, ‚zum‘ und ‚zur‘ sind auch Signal für das Bewusstsein, dass mit dem vorliegenden Band nur der Beginn einer Wiederentdeckung, wenn nicht überhaupt erst einer Entdeckung dieses Autors angebahnt wird, der in der österreichischen Literaturgeschichte zumeist nur in Aufzählungen mit Hermann Bahr, Karl Kraus und Arthur Schnitzler vorkommt.“ Durchaus eine Einladung zu weiterer Forschungsarbeit. Etwa zur Entkitschung Bambis: Heidi Lexe präsentiert in ihrem Beitrag interessante Lesarten des Kinderbuch-Beinahe-Klassikers, die in Kriegserfahrungen und Faschismus wurzeln. Und bezüglich der anderen Werke Saltens ist vermutlich noch mehr zu tun. Ein Anfang wäre einmal, sie überhaupt zu lesen …

Felix Salten – der unbekannte Bekannte erschien als Band 8 der Reihe Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich, einem Editionsprojekt der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung, herausgegeben von Ernst Seibert und Heidi Lexe. Bisher finden sich in der Reihe Publikationen zu Motivkonstellationen sowie Literatur und Musik in der Kinderliteratur und zu Kinderbuchsammlungen, außerdem ein Band, der die Ergebnisse des Harry Potter-Symposiums präsentiert sowie Sammelbände zu Mira Lobe, Christine Nöstlinger und Karl Bruckner.

Ernst Seibert und Susanne Blumesberger (Hg.) Felix Salten – der unbekannte Bekannte
Wien: Praesens Verlag, 2006.
Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich: Bd. 8.
177 Seiten, gebunden.
ISBN 3-7069-0368-7.

Rezension vom 24.07.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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