Es ist das provisorische Domizil dreier minderjähriger Jungen vom Balkan, angesiedelt irgendwo auf einer Insel, die gut die Donauinsel sein könnte. Petru, Cheta und Magare – dem Namen nach also vielleicht zwei Rumänen und ein Serbe, aber wer sollte das schon so genau wissen, vielleicht alle drei Roma, vielleicht auch nicht – bewohnen hier ein baufälliges Haus, das immerhin über mehrere Räume verfügt, samt großem Garten mit Bäumen. Die drei Jungen, etwa 13 bis 14-jährig, sind direkt ihrem gewalttätigen und gelegentlich jovialen Chef Krakadzil unterstellt: Sie müssen ihm das Geld sowie die Wertsachen, die sie bei kleineren und größeren Diebstählen in der Stadt beschafft haben, abgeben, dafür wohnen sie ohne Aufsicht und können sich frei bewegen. In den schlimmen Momenten, wenn die Burschen Streit haben oder Gedanken wälzen, wie sie aus dieser speziellen Gefangenschaft ausbrechen könnten, hilft ihnen Feenstaub: eine nicht allzu teure Droge, die sie sich bei einem jungen Schwulen beschaffen, der auch mit Krakadzil in Kontakt steht.
Zwei Ereignisse bringen Petru, den Erzähler, einerseits auf andere Gedanken, andererseits mobilisieren sie endgültig seinen Hass auf seinen Ausbeuter: Er lernt auf der Straße das behütete Mädchen Marja kennen, mit dem er sich anfreundet. Parallel dazu bringt Krakadzil einen neuen, erst achtjährigen Jungen zu den Burschen, damit er bei ihnen in die Lehre geht. Während Petru nun mit Marja viele Freuden der Freundschaft und aufkeimenden Liebe erlebt, durch ihre äußerst sozial engagierten Eltern auch so etwas wie Familie, und nebenbei einigermaßen Deutsch lernt, erweist sich der kleine Luca als völlig ungeeignet für Diebstähle und leidet schrecklich unter seiner neuen Situation. Dies gibt Petru, aber auch seinen Kumpeln Cheta und Magare endgültig den Mut, gegen Krakadzil genau so vorzugehen, wie er es verdient hat. Dabei spielt ein geladener Revolver, den einer der Burschen einmal nach Hause gebracht hat, eine entscheidende Rolle.
Feenstaub ist eine meisterhaft erzählte Geschichte. Cornelia Travnicek beweist hier, dass es letztlich kein Thema gibt, über das sich nicht in hochpoetischer Sprache erzählen ließe. Das Milieu der Bettler- und Kleinkriminellenszene, das Schicksal der von ihren Eltern und Angehörigen verkauften Kinder und die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, ihr verborgenes Leben mitten in einer westeuropäischen Großstadt – all das sind Themen, bei deren Gestaltung man keine solche Leichtigkeit und Eleganz erwartet hätte. Travnicek schafft es, jedem Milieu die passende Sprache in den Mund zu legen: den Jugendlichen ihre teils vulgäre, teils noch kindliche Sprache voller Männlichkeitsattitüden, dem überengagierten Elternpaar eine sehr zeitgeistige Ausdrucksweise, die von echtem Wohlwollen, aber auch von einer gewissen Naivität zeugt. Auch die etwas einsame, aber sehr selbstsichere Marja drückt sich ihrer sozialen Schicht und ihrem jungen Alter entsprechend aus, ebenso die ältere Dame, die Petru in deren Strandhäuschen am Fluss regelmäßig besucht. Ein besonderes Stilmittel der Autorin sind kurze, bald abgebrochene Szenen, die dem Geschehen, so langsam es auch beginnen mag, nach und nach zu einer immer größeren Spannung verhelfen. Vieles ahnt man schon, und doch kommt manches ganz anders. Das nüchterne Ende schließlich macht radikal Schluss mit der Poesie, sowohl mit den ästhetisch anspruchsvollen Beschreibungen von Himmel und Flusslandschaft als auch mit den Träumereien der Jugendlichen, einmal aus der Gefangenschaft auszubrechen und ihr eigenes Ding zu machen. Oder einfach zu ihrer Familie zurückzukehren. Doch Travnicek verrät ihre Figuren nicht, weder die sozial missbrauchten Burschen, noch die geradezu von einem Helferkomplex befallenen Eltern von Marja, noch das vernünftige Mädchen selbst. Für die Jugendlichen endet das unfreiwillige Abenteuer schließlich doch noch glimpflich.
Feenstaub ist thematisch und stilistisch ein Experiment, das aufgegangen ist. Dass eine bekannte Autorin ein Thema wählt, von dem die meisten LeserInnen weder viel wissen noch allzu viel wissen wollen, ist in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine Ausnahme. Und dass der kurze Roman trotzdem weder nur erschütternd noch sentimental oder anklagend daherkommt, verdankt man seinem frischen Erzählduktus, der geschickt zwischen Jugendsprache, realistischem Erzählen und verspielt-verträumten Momenten wechselt. Die einzige Frage, die nach der Lektüre offen bleibt, ist, warum Marja und vor allem ihre Eltern nicht früher Petrus wahre Identität erkannt haben.