#Prosa

FAST das Große Haus.

Hans Eichhorn

// Rezension von Friedrich Hahn

Es ist ein gewichtiger Band. Ein Opus Magnum. Und der Autor macht es den LeserInnen nicht leicht. Schon auf Seite 25 schreibt Hans Eichhorn: „Ich schaue nur von Wort zu Wort, als ob Wort für Wort eine Nahrungskette ergäbe“. Und in der Tat: Schreiben scheint für den 1956 in Vöcklabruck geborenen Eichhorn etwas Lebensnotwendiges zu sein.

Hans Eichhorn lässt die Wörter arbeiten, überlässt sich und seine „Nahrungsketten“ dem Zufall, dem Leben. Da kommt meist auch alles, wie es kommt. Ein Seidenschal steht neben vergilbtem Gras, eine Atombombe folgt auf Verdauungssäfte und zum Drüberstreuen gibt es eine leckere Biskuitroulade. Das klingt beliebig. Ist es aber nicht. Als einer, der seine Lektion in Sachen Moderne gelernt hat, denkt man da gleich an einen Joyce, eine Getrude Stein.

Eichhorn lässt sich treiben. Das Bild kommt nicht von ungefähr, ist Hans Eichhorn, wenn er nicht gerade schreibt, Fischer. Berufsfischer in Attersee am Attersee und in Kirchdorf an der Krems. Leider muss man sagen, war er. War er Fischer. Denn Krankheiten haben ihn wiederholt zurückgeworfen und zum Pensionisten gemacht. Schriftsteller ist er immer geblieben.

Die Texte in dem vorliegenden Band entstanden über einen längeren Zeitraum. Einmal ist aktuell vom Arabischen Frühling (2010) die Rede. Also müssen sich die Aufzeichnungen über FAST zehn Jahre erstrecken. In den einzelnen Abschnitten, meist nicht länger als zwei bis drei Seiten, werden wir ZeugInnen des großen Traums von Hans Eichhorn: Einem Haus, einem offenen Atelier, einer Künstlergemeinschaft, einer alternativen Lebensform. Daher der Titel: FAST das Große Haus. FAST in Versalien. Ein FAST in all seinen Bedeutungen: Beinahe, sozusagen, quasi, bald. Und im Englischen: schnell, fest (FASTen your seatbelts!). Aber auch fasten, das Entbehren, steckt im FAST.

Doch mitten in all dem Assoziationsgestöber und den „Hirnensembles“ nimmt man auch fixe Größen aus. Ein Paar. Kinder. Und das Fischen natürlich. Freilich werden diese Passagen auch gleich wieder aufgedröselt, verpixelt, um es in der Bildsprache zu sagen. Dies ist auch gleich das Stichwort: Ergänzt wird der von Richard Pils sorgsam redigierte Band mit bildnerischen Arbeiten des Autors. Hans Eichhorn hat Zeit seines Lebens unzählige postkartengroße Bilder produziert. Und sie als persönliche Grüße versendet. Hans Eichhorn schätzt, dass er je über 1000 solcher Karten, wie sie beispielhaft im Band abgebildet sind, an Weggefährten wie etwa Alfred Kolleritsch, Richard Wall und Richard Pils geschickt hat. Dieses Bildhafte ist auch den Texten eigen. In ihrer kompositorischen Abfolge erinnern sie mich an Musikvideos mit ihren schnelle Schnitten, den Flashs im Close-Up und den Totalen vor der Blue-Box. Der Mensch setzt sich dem Thrill der Reizüberflutung aus. Doch seltsam. Eichhorns verbale „Reizüberflutung“ wirkt auf mich alles andere denn nervig. Im Gegenteil. Eichhorns kleine Sprachmaschinen, die er in seinen Texten in Gang setzt, haben meditativen Charakter. Sie sind Anlass zum Innehalten, um die Fülle des Lebens lesend auszukosten und zu bestaunen. So gesehen sind wir dann alle, wir, die Lesenden, Bewohner von Hans Eichhorns Lebenstraum, dem Großen Haus.

Nachsatz: Die Besprechung schrieb ich am 28. Februar 2020. Tags zuvor hatte ich noch mit Hans Eichhorn lange telefoniert. Am Samstag, den 29. Februar, dem Schalttag, verstarb er. Ein Ausnahme-Schriftsteller ging an einem Ausnahmetag. „Niemand winkt stundenlang“, schrieb er in FAST. Stimmt nicht, muss ich ihm jetzt nachrufen: Hans Eichhorn wird uns fehlen, er bleibt unvergessen. Als Poet. Und als Mensch.

Wiederholungen.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 2020.
600 S.; geb.
ISBN 978-3-99028-827-6.

Rezension vom 01.03.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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