#Prosa

Familie Salzmann

Erich Hackl

// Rezension von Julia Zarbach

Erzählungen aus unserer Mitte.

Während die Literatur eine unausweichliche Vorherbestimmtheit des Individuums durch seine Familiengeschichte behauptet, hält sich Erich Hackl an wahre Begebenheiten, die tragisch genug sind, und die er mit den Mitteln des Schriftstellers ergänzt. Die Geschichte über die Familie Salzmann erzählt, wie der Tod Juliana Salzmanns 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück das Leben der nachfolgenden Generationen überschattet. Hackl legt damit einen weiteren literarischen Tatsachenbericht vor.

„Erzählungen aus unserer Mitte“ lautet der Untertitel des Buches, und nimmt dabei auf die jüngste Generation der Familie Bezug, auf das antisemitische Mobbing, dem Hanno Salzmann in den 1990er Jahren als Kanzleikraft in der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse ausgesetzt war. Sein einziger „Fehler“ war, einem Kollegen zu erzählen: „Meine Oma ist in einem KZ umgekommen.“

Hackls Vergangenheitsbearbeitung beginnt wie auch schon in früheren Büchern mit dem Ende der Tragödie, um dann einen chronologischen Sprung zu machen. Die Geschichte von Hannos Grosseltern, Hugo und Juliana, sowie die seines Vaters stehen hierbei im Vordergrund: Hugo ist engagierter Kommunist, der die Gefahr, die von den Nationalsozialisten ausgeht, schon früh erkennt. Als Hitler an die Macht kommt, flieht die junge Familie von Deutschland nach Frankreich, wo sie nach entbehrungsreichen Jahren 1939 verhaftet wird.

Mittels Zeitdokumenten, etwa Briefen oder dem Gefangenschaftsbericht Hugos, rekonstruiert Hackl die Biografien der Salzmanns. Auch Beschreibungen von Familienfotos finden Eingang in den Text – scheinbar harmlose, glückliche Bilder, auf denen die Not der Familie nicht zu sehen ist. Zitate aus anderen Erlebnisberichten wie dem von Lore Wolf („Ein Leben ist viel zu wenig“, 1973), die die Familie Salzmann persönlich kannte, werden von Hackl eingeflochten, um ein authentisches Bild der damaligen Zeit zu vermitteln.

Jene Episoden, die nicht belegt werden können, wie die Begegnung Julianas und Hugos, sind im Konjunktiv erzählt und schildern eine mögliche Variante der Wahrheit. Informant des Autors ist Hannos Vater, derjenige „der mir die Geschichte erzählt hat, in der Hoffnung, daß ich sie mir zu Herzen nehme“, so Hackl. Die Mischung aus Zeitzeugenbericht und Fiktion erinnert an die Idee der Testimonialliteratur: Auch Hackl gibt den bislang stummen Menschen eine Stimme, gibt ihre Geschichte nicht wortgetreu, sondern literarisch verfremdet wieder.

Diese Vorgehensweise ermöglicht dem Autor, mit seiner eigenen Stimme das Geschehen möglichst objektiv, aber eben auch mit großem Einfühlungsvermögen zu beschreiben. Sowohl der Großvater als auch Hannos Vater zerbrechen an den Folgen des Todes der Großmutter Juliana: Dem Großvater ist es unmöglich, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen, und dieser leidet unter der Gefühlskälte des Vaters. Aber auch Hanno Salzmann ist nicht vor dem traurigen Familienschicksal gefeit: Die allgegenwärtigen Rückstände des Nationalsozialismus zeigen sich an seinem Grazer Arbeitsplatz von ihrer dümmsten Seite: „Die paradoxe Tatsache, daß Hanno Salzmann als Jude, der er nicht ist, verfolgt worden war, fiel selbst denen nicht auf, die über die Vorfälle in der Krankenkasse entrüstet waren (…)“.

Die Kunst Erich Hackls besteht nicht so sehr in der bereits oft gelesenen Beschreibung der postnazistischen Gesellschaft als in der Fähigkeit, eine tiefgründige Darstellung der emotionalen wie geschichtlichen Determinanten einer Familie zu schaffen.

Erich Hackl Familie Salzmann
Erzählungen.
Zürich: Diogenes, 2010.
184 S.; geb.
ISBN 9783257067583.

Rezension vom 27.10.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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