#Lyrik
#Debüt

fallen

Marcus Poettler

// Rezension von Jelena Dabić

Erkennt man einen guten Gedichtband am Titel? Angesichts der ersten Buchpublikation des jungen Grazer Autors: sicher! Poettlers Erstling ist ein beachtenswertes Beispiel stilsicherer zeitgenössischer Metaphernlyrik.

Angesiedelt sind diese durchwegs kurzen Texte in verschiedenen geographischen Regionen der Erde, was manchmal an lyrische Reisenotizen denken lässt. Küstenlandschafen, vor allem mediterrane, scheinen hier eine besondere Rolle zu spielen. Momente an der kroatischen oder griechischen Küste werden oft schon durch die Titel angedeutet: „kreta (konzentisches kreisen)“, „maritime ortschaft (eingewintert)“, „auf der klippe“. Auch mehr oder weniger exotische Landschaften wie „savanne (mit weitwinkel)“ dienen dem Autor als Ausgangspunkt; seinen Höhepunkt erreicht der Blick auf Unbekanntes in der Schilderung einer von einer (Endzeit)katastrophe endgültig gezeichneten, toten Natur: „das muttertier in stücke gerissen […] neben feucht glänzenden pilzen / (dort wo das fleisch nicht mehr nässt) / weidenleichen mit toten frisuren / in denen sich finger kringeln“. Auch der Kosmos – mehrmals ist vom Teleskop und Komentenschauen die Rede – und geologische Fragen scheinen den Lyriker zu interessieren („mars verbirgt sich“, „tektonische hebung“; „vulkanischen ursprungs“, „die nadel aus gestein“), wobei sich das Subjekt durchaus als selbstverständlicher Bestandteil dieser Welten sieht: „eine kleine eiszeit später / rutscht mein fossiler torso / ausgesonnen zurück in die gegenwart“, „bin noch sediment gewesen das / nicht an seine ablagerung denkt“.

Ein anderer Standort von Poettlers Bildern ist die Stadt. Mal ist es Graz – mehrmals liebevoll-direkt als „meine stadt“ bezeichnet, mal Wien, dann wieder Rom oder eine US-amerikanische Stadt; eine wertneutral erscheinende Stimmung wird gelegentlich von einem leisen Unbehagen abgelöst: „lose zeitungsseiten erzählen mir von einem krieg“, „die struktur der listen / ist mir / in distanz und nähe / zerfallen“, „im abraum hinter den gemäuern / (der leise gesprochenen umzäunung) / pisse ich dir strichmännchen / auf deinen parkplatzbeton“. Bilder einer vielleicht zerstörten oder untergegangenen Stadt finden allerdings auch als Metapher für etwas anderes, durchaus ein Gegenüber, Verwendung: „um alle deine narben / (die bombensplitter / die großporigen äcker) / zogst du grenzen / unbewohnbar bist du / im angstfiebern“.

Als Gegengewicht zu den Eindrücken des reisenden Beobachters – oder des Ich in Zeit und Welt – erweisen sich etliche Texte, die das Liebeserlebnis oder den Sexus schlechthin zum Inhalt haben. Trennung, gescheiterte Vereinigung, Vergänglichkeit von Nähe oder wehmütige Erinnerung an Gewesenes geben den Grundton an. Meist sind solche Momente allerdings in die verschiedenen Poettlerschen Landschaften eingebettet, ja sogar so fest mit ihnen verwoben, dass eine Genreabgrenzung zwischen – grob gesprochen – „Liebesgedicht“ und „Naturgedicht“ kaum möglich ist. Dem Autor gelingt es immer wieder, Elemente emotionalen oder erotischen Erlebens souverän in seine Metaphorik einzubauen: „tauchten wir in fremden gefiedern / […] treibenden unterleibern hinterher / […] verschwommen weiter draußen / paarten sich einsame quallen / männer mit gebrauchtem latex“. Gelegentlich mischt sich zur Melancholie auch ein ironischer Unterton: „mit schlagwörtern und halbideen / von einem miteinander abgerückt / ist dein sprechen ein monolog geblieben“; „denn die zeit hat / ihren eigenen horizont / wie die liebe / und die zeit danach“. Liebesbegegnungen sind oft von der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, vom gegenseitigen Zerstören oder von Selbstekel begleitet. Dabei wird mehrfach ein Blick von außen, gewissermaßen als Voyeur seiner selbst, auf seine eigene sexuelle Inszenierung deutlich. Explizit Geschlechtliches scheint aber auch außerhalb von Ich-Du-Konstellationen auf: „(die vierströmige vergeblichkeit der erektion)“, „brach liegende unruhe / zwischen den beinen“.

Neben der eigenen reichen Metaphorik baut Poettler in fallen auch zahlreiche intertextuelle Bezüge auf. Zum einen begegnet man immer wieder Elementen griechischer und römischer Mythologie („proteus“, „saturnus“ „kehre ich immerfort zurück nach ithaka“, „von den perseiden beregnet“), zum anderen Zitaten aus (moderner) Literatur, Malerei, Film und Popmusik (Joyce, Francis Bacon, Christine Lavant, Rilke, H. Bosch, David Lynch …). Im Besonderen dienen Werke der Malerei mit oder ohne direkte Benennung als Ausgangspunkt für viele Metaphern, so etwa ein Schlachtengemälde und seine Wirkung auf den Betrachter oder Motive einer Wandmalerei.

Poettlers Gedichte sind primär vom bildlichen Eindruck bestimmt; lautliche Strukturen spielen nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn der Leser sehr oft auf Assonanzen und Alliterationen stößt und eine gewisse rhythmische und metrische Harmonie durchaus spürbar ist. Das Hauptcharakteristikum dieser Lyrik sind ihre Bild- und Begriffskombinationen, die vom Spiel mit Belebtem und Unbelebtem („bewegungen vom wein / aus ihrem einklang gebracht / frauen am nebentisch zerfallen / in takte tanzbarer musik“) bis zu recht kühnen Metaphern reichen („lichtverschmutzung“, „wechselmond“, „beckengrund meiner wünsche“, „mit nichts mehr / als mit dem meer / unterm arm verschwinden“, „durch die spitzen wellen / im klobigen wind / ein wolliges gedränge“). Die meisten Bilder und Texte lösen ganz unterschiedliche Assoziationen aus und suggerieren viele Bedeutungen; der Autor verzichtet auf plumpe Eindeutigkeiten zugunsten feiner, vager Anspielungen. Genau das überzeugt auch am meisten an diesen lakonischen, nach allen Seiten offenen, definitiv inspirierten Texten.

Marcus Poettler fallen
Gedichte.
Graz: Leykam, 2007.
96 S.; brosch.
ISBN 978-3-7011-7591-8.

Rezension vom 27.11.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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