#Prosa

Falkner II

Michaela Falkner

// Rezension von Ulrike Matzer

Wer sein literarisches Debut „A Fucking Masterpiece“ betitelt und am Folgeband den Nachnamen zur Trademark erhebt, nimmt den Mund (oder den Schnabel, wie die Krähe am Cover als Würgengel suggeriert) einigermaßen voll. Für „die Falkner“ kein Problem, vielmehr Programm. Erprobt im Theater(performance)- und Regiebereich hat sie sich mit beiden Texten zu einer Haltung durchgerungen – und manifestiert sich mit ihnen radikal autonom.

Hat sie durch Buch eins ein Prügelmädchen poltern lassen, mit Rundumschlägen und Karacho Richtung Grab, wird bei dramaturgisch enger gezurrtem Rahmen nun weiter ausgeholt. Siebzehn „Etüden“ kreisen um Verheerungen des Inneren, menschliche Grundverfasstheit, Pathos und Pathologie: „Die Arme in den Ring Hände abhacken auf ewig eingelegt in grünes Glas steht auf dem Mauervorsprung der Menschheit ganzer Jammer.“ – Es geht ans Eingemachte, die Substanz, auch an die der Lesenden, man braucht einen guten Magen: Schlünde klaffen allenthalben, wie schwarze Löcher, saugen auf Nocturne gestimmte Bilder an, was ihnen in die Fänge kommt, und wie aus dem Fleischwolf quillt andernorts Haschee mit Maden. Schwer zu sagen, wer sich da wen einverleibt. Höchstens, dass sie sich über- und in Pose werfen, inbrünstig verzehren: Mädchen und knochig Blasse, ein Hirsch, Geziefer, zwischen Tausenden, auf Pfählen, unter Säuglingen, die baumeln. In archaisch opake Settings schmettern Fetzen von Kinderreimen, Kindern. Sprachliche Wendungen, in Fluss gebracht, speisen sich in die Bildgebung ein und generieren Energien – bis zur Ekstase. Das Kühle medizinischer Terminologie findet sich taumelig mit Martialischem verschnitten; amputierte Sätze sind mit neuen Gliedern schön vernäht, schön ambigue, mit kaschierten Sollbruchstellen. Halsstarrig gebärdet sich die Sprache – und rutscht dennoch die Kehle gut hinab: Fleisch gewordenes Wort sozusagen.

Biblisch mutet in diesem Passionsspiel auch die hyperbolische Bezifferung von Menschenmassen an, doch genauso könnte man Katastrophenmeldungen jüngerer Zeit assoziieren. Das makabre Märchenmotiv vom Mageren im Käfig impliziert das Paradigma des Lagers – als schwarze Romantik verbrämtes nacktes Leben unter souveräner Macht. Gequälte, in ihrem Schmerz ästhetisierte Körper, wie sie die christliche Ikonografie durchwinden oder Francis Bacons Bilder mögen im Lesen ebenso erstehen wie mit der sublimen Schönheit des Geworfenen befasste aktuelle Kunst, vornüber brechende Pferdetorsi Berlinde de Bruyckeres etwa, ihre ambivalent anrührenden kreatürlichen Skulpturen. Das Repertoire von Falkners Pathosformeln lässt auch an avancierte Modefotografie denken, die Erotizismen des Krassen, Überzüchteten, Befremdlichen forciert, zuletzt im Death Chic kulminierend.

Solche Stilmittel der Emphase, spätestens seit dem NS-Kult vom Anruch eines hohlen Pathos, könnte man als zu gekünstelt, zu gespreizt abtun. Indes spielt die Autorin über den Gestus theatralischer Entäußerung gekonnt mit der Leidensfähigkeit der Hörer respektive Leser (das heißt auch mit Aversionen gegenüber dieser Art von Text) – ähnlich wie die aristotelische Poetik im Hervorrufen von Affekten („Jammern und Schaudern“) und nachfolgender kathartischer „Entladung“ die Funktion der Tragödie sah. Michaela Falkners präzise, mit enormem Sprachbewusstsein abgefasste Texte, die abseits literarischer Traditionen stehen und mehr vom performativ Unbefangenen, der eigenen Körpererfahrung leben, trachten nach Hingabe, ja Unterwerfung ihres Gegenübers. In der Art von Exerzitien darf man das Krude, den surrealen Reiz des Dissonanten kosten, sich in Assoziationsketten legen lassen. Der Textbau lässt genügend Luft, lässt einen wieder los, so es Not tut. Sich wiederholende Motive regeln den Grad des Ausgeliefertseins. Gebrauch und Missbrauch von Macht, von Sprache sind im Spiel, ohne dezidiert (sprach)kritisches Gebaren, wie der Begriff des Erzählens, der zwar unterlaufen, doch nicht ganz in Abrede gestellt wird. Geschichten bauen sich (an)satzweise auf und versumpfen wieder, so wie „die Stelle wo dieses Geschöpf sitzt und zuschlägt“, die Erzählposition, permanent entglitscht. Den Aussagen und Anrufen wohnt die Wucht eigenständiger Behauptung inne. Sie fuhrwerken für sich, so sie einander in die Haare kommen, schwären und schillern schön. Inmitten all der Zumutungen findet sich also zugleich Sinnliches in Fülle, und Poetisches: „der Himmel fällt leise vom Himmel.“

Ein Buch, das sich nie erschöpft – allen Unersättlichen!

Michaela Falkner Falkner II
Eine Moritat in siebzehn Bildern.
Wien: Czernin, 2006.
94 S.; geb.
ISBN 3-7076-0089-0.

Rezension vom 09.10.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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