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#Prosa

Fabulierbuch

Bruno Weinhals

// Rezension von Helmuth Schönauer

Im Fabulierbuch werden Prosa und Essay per se vorgestellt wie Seminarteilnehmer bei einem Eröffnungsspiel am Beginn des Kurses. Prosa und Essay sagen, wer sie sind und was sie zu tun gedenken. Das Fabulierbuch klagt gleich zu Beginn selbstkritisch, daß es sehr dünn und ein Desaster sei, allerdings ist es freundlich und warnt die Leserschaft eindringlich davor, es zu verschenken.

In den sogenannten „Minutenstücken“ werden Szenen knapp angerissen, damit sie im Kopf des Lesers zur Endgröße ausformuliert werden. Dabei kann die Kausalität aufgehoben werden, etwa wenn jemand beim Verfassen eines Reiseberichtes vom Tod seines Freundes berichtet, aber vergißt, diesen im Bericht auch sterben zu lassen.

Eine bemerkenswerte Geschichte stellt „Odysseus‘ Heimkehr“ dar, wo Odysseus den vollen Sagen-Plot vor dem Leser ausschüttet, ohne zu wissen, daß es bereits einen historischen Sagenschatz gibt. Odysseus erzählt seine Story wie eine Sagenfigur, die glaubt, die Geschichte persönlich statt als Sage erlebt zu haben.

Ein völlig aberwitziger Text dreht sich um das Schweigen eines Kriegsheimkehrers, der in der Anwesenheit eines Kindes vergißt, daß er eigentlich schweigen wollte. Wie kann er nun etwas Schreckliches, das ihm herausgerutscht ist, wieder ungeschehen machen?

Eine Textabteilung „Tritons Ebene“ kümmert sich schließlich um Beschreibungen von Kunstwerken, wobei die Beschreibungen zu eigenständigen Kunstwerken mutieren.

In der „Landschaftsschlacht“ wird im Sinne einer großen Völkerschlacht von Farben und Strukturen mit den Elementen von Wörtern ein semantischer Pinselstrich über die Textur gezogen.

Wer einmal eine Operation am offenen Sprachherzen mitverfolgen will, wird mit Bruno Weinhals‘ Fabulierbuch bestens betreut. Denn das Fabulierbuch stillt auf der ersten Ebene die Neugier, die vermutlich bei jedem Leser ausbricht, wenn er wissen will, was hinter den Gattungen steckt. Wie am Beispiel Odysseus ersichtlich, wird nicht nur der Sage eine schnurrende Erzählerstimme verliehen wie beispielsweise den unsäglich schönen Michael-Köhlmeier-CDs, sondern der Erzähler ist dermaßen plastisch und authentisch, daß er den Zeitsprung der Sagenwelt nicht bemerkt und voller Unschuld in die Gegenwart hinein erzählt.

Literatur im Ritter-Verlag ist bekannt dafür, daß jeweils die Erzähl-Gattungen hinterfragt werden, und wenn etwas nicht stimmt, wird in dieser Literatur vor den Augen des Lesers das Erzählte abgerissen, „dekonstruiert“ heißt das im Baulexikon von Ortner und Ortner.

Bruno Weinhals nennt im Buch ein ganzes Kapitel „Vom Sinn der Zerstörung“. Am Beispiel von Besiedlungen, Bauwerken und Baumeistern, die einander beim Sterben ablösen, wird ein Hypergebäude errichtet. Dieses Gebäude läßt sich verwenden, um darin die Sprache anzusiedeln, Veränderungen an einem Hypertext vorzunehmen und am Schluß wieder abzureißen. Was bleibt, ist das sogenannte „fecit“, der lakonische Kommentar, daß hier einmal irgend jemand etwas gemacht hat.

Bruno Weinhals‘ Fabulierbuch ist letztlich ein raffiniertes Animierbuch, es regt dazu an, daß man in unendlichen Sprachspielen sich selbst in den Geschichten rumführt.

Fabulierbuch.
Prosa / Essay.
Klagenfurt, Wien: Ritterverlag, 2000.
155 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85415-270-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 16.01.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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