#Roman

Ewig Dein

Daniel Glattauer

// Rezension von Sabine E. Dengscherz (Selzer)

Sich zu verlieben ist bekanntlich mit einem gewissen Risiko verbunden. Sich nicht zu verlieben aber auch. Vor allem dann, wenn frau trotzdem eine Beziehung eingeht. Zum Beispiel mit einem etwas schrulligen Architekten, der sie mit Tausenden kleiner Aufmerksamkeiten überschüttet. Mit Rosen, Herzchen, einem – leider hässlichen – Ring, einem Wochenende in Venedig, so perfekt, dass es nicht zum Aushalten ist. Daniel Glattauer erzählt in seinem jüngsten Roman Ewig Dein die Geschichte einer Obsession – aus der Sicht des Objekts der Begierde, jener Frau, die unter der nicht enden wollenden Leidenschaft des anderen zu leiden hat. Ewig Dein – ein Liebesversprechen, das zur gefährlichen Drohung wird.

Dabei fängt alles ganz harmlos an. Mit einer Begegnung im Supermarkt. Und ein paar weiteren, zufälligen Begegnungen danach. Ein paar Nettigkeiten, die angenehm das Ego kitzeln. Angehimmelt zu werden ist schon ganz gut für das Selbstwertgefühl. Dabei ist Judith, gut aussehend, Mitte dreißig, Inhaberin eines Lampengeschäfts, Single, eigentlich in einer abgeklärten Lebensphase angelangt, in der sie nicht viel erwartet von sich und den Männern, aber doch ganz zufrieden ist mit sich und der Welt. Oder es zumindest sein will. Sich einredet, alles zu haben, was sie braucht. Aber hat nicht doch etwas gefehlt? Ist Hannes, der liebenswürdig Umsichtige, vielleicht einfach das Salz in der Suppe? Alle finden ihn toll, er freundet sich mit Judiths Freunden an, ist der perfekte Schwager und Schwiegersohn, immer freundlich, immer gut gelaunt, liest allen die Wünsche von den Augen ab. Aber zu viel Salz in der Suppe ist auch nicht das Wahre.

Bevor Judith sich noch etwas wünschen kann, hat Hannes es bereits erraten. Bevor sie die Chance hat, sich nach ihm zu sehnen, ist er schon da. Bevor sie hoffen kann, dass er ein Teil ihres Lebens wird, trifft er sich schon ohne ihr Wissen mit ihren Freunden und ihrer Familie. Und das alles tut er, sagt er, aus Liebe. Beklemmend ist dieses Übermaß an Zuwendung, schnürt die Luft ab, so wie sein erster Kuss, der bereits eine Umklammerung war, in der kein Raum mehr blieb zum Atmen. Zusehends fühlt Judith sich bedrängt, sehnt sich nach Abstand, nach einer Pause. Hannes, selbst in dieser Phase wandelndes Verständnis, scheint sich vorübergehend zurückzuziehen, schmachtet eine Weile aus der Ferne. Doch in seiner physischen Abwesenheit drängt er sich nur umso vehementer in Judiths Leben.

Judiths Versuche, die Beziehung endgültig zu beenden, scheitern kläglich. Sie fühlt sich permanent verfolgt, und dabei will er doch nur ihr Bestes, sagen alle. Und deshalb trifft er sich zwar nicht mit ihr, aber doch mit ihren Freunden, ihrer Familie, allen, die ihr nahestehen. Und zieht alle auf seine Seite. Aber seine Seite sei doch ohnehin auch ihre Seite, schließlich will er ja nur Gutes, Gutes, Gutes …
Das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“, sagt der Volksmund. Allerdings rühren sich allmählich Zweifel, ob alles tatsächlich so gut gemeint ist, wie es scheint oder ob hinter der Sanftheit nicht jede Menge Gewaltbereitschaft lauert, wenn auch nicht in schnöde physischem Sinn. Mit Hilfe ihres schnoddrig bodenständigen Lehrmädchens unternimmt Judith verzweifelte Befreiungsversuche und verliert allmählich das Gefühl dafür, ob sie sich wirklich von einem real existierenden Stalking-Hannes befreien will oder vielmehr von seinem Bild in ihrem Kopf.

Ähnlich wie in seinem vor neun Jahren erschienen Roman „Darum“ setzt Glattauer auch in Ewig Dein seine Figuren in eine Art verquere Versuchsanordnung: Was passiert, wenn einer um jeden erdenklichen Preis erreichen möchte, was er will, samt allen unvermeidlichen Konsequenzen – für sich selbst und für die anderen, und wenn er dabei über Leichen geht … (im wörtlichen Sinne wie in „Darum“ oder im übertragenen wie in „Ewig Dein“). Es ist als sei ein Programm angelaufen, ein Automatismus, der sich nicht stoppen lässt und aus dem es kein Entkommen gibt.

Sich in einer (unerwiderten) Liebe, einer Leidenschaft bis zur Selbstaufgabe zu verlieren ist ein wiederkehrendes Motiv in der Literatur: Das Besessensein von einem Menschen, Sehn-Sucht und Abhängigkeit als Triebfeder zum Unglücklichsein mit den unterschiedlichsten Begleiterscheinungen. Die leidenschaftlich Leidenden sind wider Willen an die Angebeteten gekettet: Sagt nur ein Wort, so wird ihre Seele gesund …
In Ewig Dein ist es aber umgekehrt. Hier gerät die Angebetete in die Abhängigkeit und der Besessene zieht die Fäden, spinnt das Netz einer vereinnahmenden „Liebe“, will sein Opfer um jeden Preis besitzen und lässt es nicht mehr frei. Bei aller Unheimlich- und Bedrohlichkeit ist das alles aber doch ironisch und mit Wortwitz erzählt, die klare, manchmal sogar recht nüchterne Sprache ein Kontrapunkt zum beklemmenden Geschehen. Hat Glattauer mit „Darum“ einen eigenwilligen Krimi vorgelegt, mit seinen Erfolgsbüchern „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“ eine höchst erfolgreiche Liebesgeschichte, so ist sein jüngster Roman zwischen den beiden Genres angesiedelt: Ein Thriller privater Verschwörung(stheorie), der um die Frage kreist, wie souverän die eigene Identität eigentlich ist, und wie viel Eingriff und Besitzansprüche ausreichen könnten, um sie ins Wanken und ein ganzes Leben aus dem Lot zu bringen.

Daniel Glattauer Ewig Dein
Roman.
Wien: Deuticke, 2012.
208 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06181-1.

Rezension vom 15.02.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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