Diese werden aber von der Autorin ehebaldigst ausgeräumt, wenn sie einleitend das Frauenspezifische in dieser patriarchalen (biblischen) Umgebung abklärt und die Aktualität und wissenschaftliche Innovation des Themas schlüssig vor Augen führt. Motté versteht ihre Arbeit explizit als monographische Grundlagenforschung, als Erarbeitung und Zugänglichmachung eines Textkorpus („es ist an der Zeit, zu zeigen, was vorhanden ist“). Leider setzt sie ihre Ergebnisse sprachlich nicht ihrer Leistung entsprechend um, besonders die Kapitelübergänge sind hölzern („Wie angekündigt werden im ersten Hauptteil ausgewählte Texte näher betrachtet.“), mitunter hat die Autorin der bloßen Faktenaneinanderreihung schriftstellerisch wenig entgegenzusetzen.
Die Leistung des Buches bleibt so meist auf die verdienstvolle Bestandsaufnahme beschränkt, die Anwendung der – zugegebenermaßen recht schwammigen – Kategorie „Lesbarkeit“ ist hier nicht anzuraten. Die spannendsten Abschnitte sind denn auch jene, in denen sich Motté vehement gegen die lange andauernden „Missdeutungen“ von Frauengestalten wendet, in erster Linie seien diese bei Eva, der „Mutter aller Lebendigen“, und Maria Magdalena vorgekommen. Beide seien oft reduziert worden, etwa auf ihre „Verführungskünste“. Motté verschont mit ihrer Kritik an dieser Einseitigkeit auch die Größen der Literaturgeschichte nicht, in Kleists „Zerbrochenen Krug“ und Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ stünde der Name Eva bloß für „kokette, verführerische Weiblichkeit“.
Mottés größter Vorwurf an die literarischen Bearbeitungen der biblischen Frauenfiguren ist, wie sie in der abschließenden „Auswertung“ schreibt, neben dem Androzentrismus die fehlende „Souveränität im Umgang mit der Vorlage“. Die meisten Werke hielten sich – oft nur paraphrasierend – zu sehr an die „biblischen Grundmuster“, es fehle auch meist die Ironie. Kein Wunder also, dass sich Motté als Fan der Joseph-Romane Thomas Manns deklariert („hier das große Vorbild“), auch Stefan Heym und Else Lasker-Schüler finden ihre Gnade.
Das Buch ist streng nach den verschiedenen Frauenfiguren gegliedert, eine Sammlung des aufgefundenen Corpus, meist ohne Interpretationsansätzen. Die Bandbreite der AutorInnen ist naturgemäß sehr groß, von unbekannten, etwa dem gebürtigen Wiener Uriel Birnbaum oder dem „Dichtermönch“ Drutmar Cremer, über die bei diesem Thema zu erwartenden AutorInnen Gertrud Le Fort, Ricarda Huch und Gertrud Fussenegger bis zu Rainer Maria Rilke, Erich Fried oder Rose Ausländer. Unter den Vorgefundenen sind viele Österreicher (u.a. Franz Werfel, Josef Weinheber, Herbert Rosendorfer), an Georg Trakls Dialog „Maria Magdalena“ lobt sie die „existentiell-religiöse Reflexion über Glauben und Geheimnis“, an Franz Grillparzers 1837 entstandenem Esther-Fragment die „moderne Sicht“ (deshalb nimmt sie diesen zeitlichen Ausreißer auf) – wobei die Modernität in der Darstellung der Esther als aufgeklärte, „kluge, besonnene Frau, die ganz aus ihrer Herzensmitte heraus handelt“, besteht.
Mit den Österreicherinnen scheint sich Motté etwas schwer zu tun. In Marie-Thérèse Kerschbaumers Gedicht „wo ist dein kind/frau lot“ findet sie nur den „Klang des Namens“ als Bezug zu Lots Frau, sie fragt sich nicht nach Modernität oder Bezügen zur Zeitgeschichte – oder kann diese nicht auffinden. Leichter tut sie sich mit Ingeborg Bachmanns Gedicht „Mirjam“, daran gefällt ihr, dass die Dichterin der Prophetin „einfach Recht widerfahren“ lasse. Bei Friederike Mayröckers Gedicht „Eine Fußreise ohne Ende“ wird nicht ganz klar, warum es Maria Magdalena zuzuordnen ist, Motté nimmt zudem die Bilderwelt Mayröckers sehr (wenn nicht zu) wörtlich. Bei ihrer Bewertung bleibt die Autorin stets konsequent bei ihrem Untersuchungsgegenstand und versucht keinerlei darüber hinausgehende Deutung (ein sympathischer Zug des Buches: Wenn es für ihren Zusammenhang wichtige Studien zu AutorInnen gibt, betont sie deren Leistung und verleibt sie sich nicht ein).
Der empirische Charakter des Buches wird verstärkt durch eine tabellarische Übersicht über die erwähnten Werke. Aber Motté bleibt nicht bei der quantitativen Methode, es gibt auch „qualitative“ Ausnahmen: Lilian Faschingers „Magdalena Sünderin“ schaut sich die Autorin genauer an, sie hat ihre Freude an den Bibel-Anspielungen. Was aber Motté nicht daran hindert, dem Werk sehr kritisch gegenüber zu stehen („bedauerlicherweise entarten die Personen des Romans“).
Trotzdem ist es beruhigend festzustellen, dass über verschiedene Literaturanschauungen hinweg (Motté kann sicher so etwas wie einem „konservativen Lager“ zugerechnet werden) in einigen Dingen Konsens herrscht.