Ulrike Schmitzer hat bereits in ihren beiden ersten Prosabänden ihren Stil gefunden, einen schnörkellosen Ton mit viel Sinn für nüchterne, leicht skurrile Betrachtungen – seien es die Beschreibungen des Schweigens einer Familie in der Nachkriegszeit in Die falsche Witwe oder die holzschnittartigen, kantigen Charaktere in der dystopischen Erzählung Die Flut, in der ein rätselhafter roter Schlamm alle Schweine wild werden lässt und Kinder auf rätselhafte Weise verschwinden. Dabei bleibt Schmitzer aber immer nah an ihren Figuren, die ihr sympathisch sind, die sie leben lässt. Diese Sympathie, die den Figuren – oft getriebenen, in Zufälle gestellten Existenzen – entgegengebracht wird, macht diese Bücher so spannend und so unterhaltsam zu lesen. Was noch besonders auffällt: Schmitzer erzählt mit einem ganz gewissen Sinn für Komik.
In Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt geht es um die junge Wissenschaftlerin Kira, die ihren Traum vom Weltraum ein Stück weit ausleben kann: Sie beteiligt sich an Studien zur Schwerelosigkeit, zum Schlaf und zum Sozialverhalten in Extremsituationen und testet für kommende Astronauten – geplant ist eine Besiedelung des Mars – technisches Equipment. Geheimnisvoll ist die Institution, für die sie arbeitet, eine Abteilung des Geheimdienstes oder etwas Ähnliches, wobei es kein Gefälle mehr zwischen Ost und West gibt, keinen internationalen Wettlauf mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Kiras Ansprechpartner sind verschwiegen und ihr Leben wird nach und nach zu einem einzigen Test, den sie nicht bestehen kann.
Ständig versucht Kira sich vorzustellen, was die wohl erwarten, wie sie sich zu verhalten hat, um nicht aus dem Programm zu fliegen. Sie passt sich an, ihr Leben gleitet allerdings nach und nach in eine Paranoia, jede Geste und jede Begegnung scheint von denen geplant und arrangiert zu sein. Endgültig den Boden der gesicherten Wirklichkeit verlässt Kira, als sie entdeckt, dass sie eine Zwillingsschwester hat, die Künstlerin ist und vom Weltraum und geheimen Trainingsprogrammen keine Ahnung hat – und doch hängt ihre Trennung irgendwie mit denen zusammen. Die Autorin zeigt gerade in den Dialogen der Schwestern ihr Gespür für Witz und Pointen, diese Szenen gehören zu den stärksten des Buches.
Eindringlich und ganz nah bei ihrer Figur erzählt Schmitzer von einer Frau, deren Wahrnehmung von Wirklichkeit immer mehr von einem unbekannten Außen bestimmt wird, kontrastiert allerdings durch den zynischen Witz, den sich die Protagonistin trotz aller Überwachung bewahrt.
Das überraschende Ende gehört der Geburt von weiteren Zwillingen und dem – simulierten?, echten? – Start einer Rakete. In Ulrike Schmitzers Romanen ist eben nichts so, wie es sich auf der ersten Blick darstellt. Und das ist gut so.