#Lyrik

Erste und letzte Gedichte

Fabjan Hafner

// Rezension von Jelena Dabić

Zwei Jahre nach dem unerwarteten Tod des kärntner-slowenischen Lyrikers, Übersetzers und Literaturwissenschaftlers Fabjan Hafner ist ein schöner, gar nicht schmaler Band erschienen: Hafners frühe und späte Gedichte in der Übersetzung seines langjährigen Freundes Peter Handke. Handke hat als Herausgeber des Buches ihm auch ein interessantes Vorwort beigesteuert; das eher wissenschaftlich orientierte Nachwort stammt von Dominik Srienc. Zu guter Letzt enthält die zweisprachige Ausgabe auch ein dem verstorbenen Freund gewidmetes Gedicht des kärntner-slowenischen Dichters Gustav Januš aus dem Jahr 2019. Dem Klappentext sowie den beiden Kurzbiografien sind einige interessante Details zu entnehmen: etwa, dass Hafner grundsätzlich in beiden Sprachen schrieb (und in beide Richtungen übersetzte), dass er bis zu seinem Tod 2016 am Ort seiner Kindheit, in Feistritz im Rosental / Bistrica v Rožu lebte, und dass er schließlich die Nobelpreisverleihung an seinen engen Freund nicht mehr erlebte.

Handke führt auf recht originelle, ja kurzweilige Weise in das Werk Fabjan Hafners ein. Es scheint zunächst, als würde er eigentlich vom eigenen Weg zum Schreiben berichten. Doch seine eigene Geschichte lässt aufhorchen und ist so plausibel wie verblüffend: der 14-Jährige hat halb spontan, halb als Reaktion auf Gelesenes genuin lyrische Zeilen in einen Schulaufsatz eingebaut, die bei den klerikalen Lehrern am Knabenseminar ganz und gar nicht auf Zustimmung stießen. Kein Wunder, hieß es bei dem Jugendlichen: „Von weißen Fenstern steigen Dirnen wie Gebete in den Himmel“. Nie wieder ist es dem späteren Studenten und Schriftsteller gelungen, solches „Zungenreden“ zu wiederholen, lyrische Zeilen zu schreiben, wie er mit großem Bedauern feststellt. Dafür wurde er an der Universität, „im ersten Jahr des kalt befremdenden Universitätsgeschehens“, von Kollegen überrascht, denen Dichten bei jeder Gelegenheit unglaublich leichtfiel. Voller Neid, aber auch Bewunderung sah sich der junge Mann zum ständigen Publikum dieser scheinbar hochbegabten Zeitgenossen degradiert. Diesen exemplarischen Weg zum Schreiben versucht Handke in Bezug auf Hafners Werdegang zu setzen; schließlich umreißt er konkret Hafners zentrale Themen und Motive, die sich beinahe beängstigend ausnehmen: „Angst, Kummer, Not, Ratlosigkeit, Verlassenheit“. Weiters spricht Handke von „Flehen“, dem „Hafnerschen Stocken“, dem „Nicht-mehr-Weiterwissen“, und doch relativiert er diese Begriffe sofort durch Stichworte wie „herzlich-herzöffnend (ernst)“ und nicht zuletzt „Glückskind“.

Die Gedichte selbst sind in einem Verhältnis zwei zu eins gruppiert: etwa zwei Drittel nehmen Hafners Jugendgedichte (um 1982 bis 1987) ein, nur ein Drittel entfällt auf seine späten Gedichte aus den Jahren 2008 bis 2016. So gesehen breitet sich hier über eine Zeitspanne von über dreißig Jahren das Werk eines Autors aus, dem der Leser, die Leserin gemächlich folgen kann. Die frühesten Gedichte entfalten schöne Bilder voller Melancholie: „an den Lippen gefrorene / halbausgesprochene Wörter“ oder „alte vereiste Tränen“; ein verschlossenes Ich wird hier greifbar oder vielmehr eine Abstumpfung durch Alleinsein. Dies klingt an manchen Stellen geradezu alarmierend (Gedichttitel „Grausen“, „Die Wiederholung“ oder „Vereinsamung“). Typisch ist für Texte dieser Periode ein rechts oben gesetztes Selbstzitat, eine Hafnersche Miniatur („Zwischen / verwelktem Papier/ versteckt / ein grünes Blatt“). Nur wenige dieser Texte sind an einem klar definierten Ort angesiedelt, und wenn schon, dann ist es ein ländliches Setting, wie im Gedicht „Kuh“, in dem der junge Dichter Achtung vor dem duldsamen, treuen Tier zeigt. Aus vielen Gedichten spricht, genau nach Handkes Hinweis, ein Verstummen und Stocken heraus; eine Strophe erinnert fast wörtlich an Handkes Studienerlebnisse: „Ich hör euch zu, / aber verstehe kein Wort. / Bewundere, / wie ihr die Sprachen meistert.“

Bald schleicht sich die Figur des/der Fremden ein („Allein ist sie“): hier könnte eine (zurückgekehrte) Gastarbeiterin genauso gemeint sein wie eine Slowenin in Kärnten. Das Gedicht von einer einsamen Frau in einer Gesellschaft, die Angst vor Veränderungen hat, bleibt rätselhaft, suggeriert aber doch eine mögliche Zugehörigkeit. Manche der folgenden Gedichte sind wortreicher, weisen größere Textblöcke auf, gelegentlich mit je einem eigenen Vor- und Nachzitat, rechts oben und rechts unten platziert. Von der Notwendigkeit der Zugehörigkeit spricht dabei auch „Bin keine Ratte“, während manche Texte sich eher poetologischen Fragen widmen, aber auch Süchte und Begierden benennen. Im Gedicht „Der Schnee ist nachts schwarz“ versucht sich Hafner erstmals an Spielen mit Worten und Begriffen („Weiß ist die Sonne. / Sonne ist Schnee.“), dabei kommt ein sehr reduziertes, aber äußerst stimmungsvolles, fast surrealistisches Winterbild zustande. Sehr bemerkenswert ist schließlich der letzte Text der Gedichte der 1980er Jahre: „Dies illa“. Dem langen und langzeiligen Text steht ein Bob-Dylan-Zitat über den Krieg voran; es spricht von Fahnen, einem Kriegszug, von Helden und zugleich von einem, der mitmarschieren sollte, stattdessen aber zu Hause und allein bleibt. Bilder der Angst, der (Selbst)aggression und der Verzweiflung sind hier zu finden, gleichzeitig wird das Fehlen eines Feindes für den Kampf festgestellt. Ein zutiefst hermetisches, rätselhaftes Gedicht, möglicherweise mit leisem Anklang an Titos Partisanen, wenige Jahre vor dem Ausbruch der Jugoslawienkriege.

Von den späten Gedichten fällt am meisten „Viertes Gebot“ auf, ein zweiseitiger, umfangreicher Text über die wie „kommunizierende Gefäße“ miteinander verbundenen „Eltern“ des lyrischen Ichs: sein Mutter- und sein Vaterland. Das inhaltlich stärkste Gedicht des Bandes, dessen Sätze gegen Ende hin gar zu komplex werden, ist auch in ästhetischer Hinsicht überwältigend. In zwei anderen Texten kehrt Hafner zu seiner geliebten Spielerei mit Wörtern und Begriffen zurück, etwa mit Zahlen (und Märchenzahlen) sowie mit der Einteilung der Zeit („Bis drei. Dahin“, „Sonntagsgedicht“). „Ljubljana“ schließlich ist der einzige Text, der sich einer Stadt widmet. Das lyrische Subjekt fühlt sich hier fremd, aber auch geborgen wie im Bauch von „Jonas Wal“. Eines der wenigen Liebesgedichte, „Gern würde ich mit dir“, beschwört ein Schweigen in der Zweisamkeit; das Paar erkennt sich nur in der Vergangenheit und in der Zukunft.

Die Übersetzung durch Peter Handke, der übrigens auch schon andere kärntner-slowenische Lyriker (Florjan Lipuš, Gustav Januš) in Deutsche übertragen hat, ist an kaum einer Stelle semantisch falsch und wird dem typisch Hafnerschen Ton stets gerecht. Gelegentlich hält der Übersetzer aber unnötig an der Originalsprache fest, wo es ohne weiteres geeignete deutsche Ausdrücke gäbe („Zweiheit“ statt „Zweisamkeit“, „unerjagbar“ statt „nicht greifbar“, „Die leere Seele / trinkt sich an / mit Duft der Erde“ statt „betrinkt sich …“) oder greift zu sehr zu eigenen Wortschöpfungen, die sich zwar in seiner Prosa gut machen, in den Gedichten jedoch eher befremdlich wirken („Kindschaft“ statt „Kindsein“, „befeinden“ statt „anfeinden“).

Das Gedicht „Der Sturmwind“ von Gustav Januš und das detailreiche Nachwort von Dominik Srienc runden den Band angemessen ab. Ob Januš dabei Hafner direkt zitiert oder eine Szene darin bewusst in Hafners Manier schildert, bleibt offen. Bei Srienc erfährt man unter anderem, dass schon der ganz junge Hafner Gedichte verfasst hat und sich recht geschickt und selbstbewusst um deren Publikation gekümmert hat. Nicht zuletzt erinnert er daran, dass der Übersetzer Hafner den Petrarca-Preis (1990) und den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung (2006) erhalten hat, außerdem den Lavrin-Preis des slowenischen Übersetzerverbandes (2014).

Erste und letzte Gedichte überzeugt in seiner Auswahl und bereichert durch biographische Ergänzungen. Der Band ermöglicht einen umfassenden, repräsentativen Einblick in das lyrische Schaffen eines österreichischen Dichters in, mit und zwischen zwei Sprachen und Kulturen.

Fabjan Hafner Erste und letzte Gedichte
Gedichte.
Übersetzt von: Peter Handke.
Berlin: Suhrkamp, 2020.
117 S.; geb.
ISBN 978-3-518-22513-4.

Rezension vom 26.11.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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