#Theater

er nicht als er

Elfriede Jelinek

// Rezension von Martin M. Roß

(zu, mit Robert Walser).

In einem Interview hat Elfriede Jelinek einmal ihre Verwunderung darüber geäußert, daß sie allgemein als Theaterautorin gesehen wird; ihrem Selbstverständnis würde das nicht entsprechen. Und dann erscheint dieses schmale Buch er nicht als er. Neben dem Titelzusatz „(zu, mit Robert Walser)“ steht noch zu lesen „Ein Stück“. Nun also: Ist das ein Stücktext oder ein Stück Text? Die Salzburger Festspiele haben für Sommer 1998 den Regisseur Jossi Wieler beauftragt, er nicht als er im Sinn der ersteren Lesart zu bearbeiten, die Wiener Festwochen tun das 1999 (Regie: Bernd R. Bienert). Wie aber kann man mit einem Stück Text, das gemeinhin als Stücktext verstanden wird, umgehen, ohne gleich Theatralisches vermuten zu wollen?

Zwölf Skizzen sind da aneinandergereiht, jemand – Robert Walser? – wird dauernd angesprochen, jemand spricht dauernd von sich (oder doch nicht). Stichworte geben den Anlaß zur jeweils nächsten Skizze: Göttin, Leben, Raubtier, Ordnung, entwickeln sich langsam zu Themen, die monologisch abgehandelt werden, indem der Klang der Worte ausprobiert wird. Der Text setzt etwa damit ein, daß die Seele zum Körper heraushängt – wie ein Hemd aus der Hose, ist man verführt zu assoziieren. Doch gleich nachher treten Einfälle und Ideen der Seele auf den Saum: „Ja, so wird man saumselig!“ (S. 9) Wer nach beendeter Lektüre im Verlagstext zu diesem Buch liest, daß Robert Walser mit Carl Seelig spazieren ging, wird ein Aha-Erlebnis haben.

Die Anreden, die den Text durchziehen, sind durchmischt mit Reflexionen in der ersten Person Einzahl. Auf diese Weise gelingt es Elfriede Jelinek bravourös, die allseits beliebte Frage „Wer spricht?“ zu hintergehen. Eine Handlung gibt es nicht. Vielmehr hantelt sich die Autorin (Haßt sie nicht eigentlich den Sport?) von Wort zu Wort, von Idee zu Idee, und schafft es dadurch, einen Einblick in das Dichten und das Denken zu geben. Was tun die Wörter, wenn sie noch nicht am Papier sind? Das kann, paradoxerweise, „er nicht als er“ abgelesen werden. Sie sind eingesperrt, wie der Dichter eingesperrt ist, sie sind zugleich Seele und Leib: „All die Zeilen sind jetzt wie Leichname, still in ihnen verwahrt. Es steckt in den meisten von uns immer noch Leben genug, wenn wir uns Zeit lassen uns zu finden! Warum wollen Ihre Gedanken denn nicht mehr heraus? Meine wollen schon, nur um dann unerfreulich und eigensinnig einen Haufen aufs Papier zu setzen.“ (S. 17)

„er nicht als er“ läßt viele Lesarten zu, ist – wie bei Elfriede Jelinek gewohnt – sprachgenau und einfach, und es verführt einen, das Buch immer wieder zur Hand zu nehmen. Es ist als Prosa genauso zu lesen wie als Theaterstück (der Text wird durch eine Art Regieanweisung eingeleitet). Und es ist sehr dichte Prosa, die den schriftstellerischen Alltag reflektiert. „er nicht als er“, das sind zwölf Variationen über ein Thema: die Bedingungen des Schreibens. Zu ihnen gehören nicht allein Sprache und Gedächtnis, Beobachtungen und Reflexionen; ein angenehmes Zimmer ist da ebenso wichtig wie ein ausgedehnter Spaziergang.

Robert Walser, von Elfriede Jelinek auch für die Textsammlung „Jelineks Wahl“ ausgesucht, hat ein Buch „Der Spaziergang“ geschrieben. Darin heißt es: „Bedenken Sie, wie der Dichter verarmen und kläglich scheitern müßte, wenn nicht die mütterliche, väterliche, kindliche Natur ihn immer wieder von neuem mit dem Quell des Guten und Schönen bekannt machen würde.“ Elfriede Jelinek hat in diesem – hier nicht pathetisch gemeinten – Sinn Spaziergänge durch den Robert-Walser-Kosmos unternommen, die neugierig machen auf beide: auf Walser und auf Jelinek.

Elfriede Jelinek er nicht als er
Ein Stück.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998.
40 S.; brosch.
ISBN 3-518-41024-5.

Rezension vom 01.02.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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