Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass das schöne, beinah schon verklärt romantische Modell der Grossfamilie in jeglicher Hinsicht passé ist, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Die Kleinkinder werden nicht mehr von Grosseltern, sondern von staatlichen Institutionen betreut, Computer und Fernsehen tun das Ihre, um den Prozess der zwischenmenschlichen Kommunikation zu verfremden. Die Generation der sogenannten Erwerbstätigen hat keine Zeit mehr, sich um Grossmütter und Grossväter zu kümmern. Man muss selbst schaun, dass man irgendwie seinen Lebensabend finanziell absichert. Und so stellt sich die Frage: Wohin mit den Alten?
Irmgard Barta, ihrerseits diplomierte OP Gesundheits- und Krankenschwester, so die eigene biografische Angabe, beginnt ihren Debutroman ganz unspektakulär. Sie macht uns bekannt mit den mittelständischen Bewohnern einer Grazer Wohnsiedlung, allen voran Katrin Hauser, karenzierte Immobilienmaklerin mit zwei kleinen Kindern und einem Mann, der als Medizintechniker häufig auf Geschäftsreisen ist. In ihrer Nachbarschaft wohnen der zierliche Karl, von Beruf Chemiker, und die übergewichtige Doris Müller, Angestellte einer Pharmafirma; die „spindeldürre“ (S. 20) Buchhalterin Irene und ihr Mann Paul Salcher, selbständiger Gestalter von Homepages; Walter und Mary Reicher sowie die Prokuristin eines Sanatoriums, Monika Wachter. Der Alltag am Stadtrand scheint nach aussen hin eine Idylle, wie sie im Bilderbuch steht, mit gemeinsamen Unternehmungen, „legendären Siedlungsfeiern“ (S. 8); aber hinter dieser heilen Kulisse verbirgt sich eine Welt voller Missgunst und Heuchelei, wie man schnell erfährt. Zwischen den Bewohnern stehen Ressentiments und Zänkereien aus der Vergangenheit, Schatten hängen über der kleinen Vorzeige-Community.
Eines Tages wird die Leiche der alleinstehenden, aber den hedonistischen Freuden des Lebens nicht abgeneigten Monika Wachter in ihrer Wohnung aufgefunden. Katrin Hauser, die Vermieterin von Wachters Wohnung, ist nun mit einer Toten konfrontiert, die zu Lebzeiten einige Intrigen gesponnen hat. Bald wird klar, dass es sich nicht um Selbstmord, sondern um Mord handelt, und Katrin Hauser, von der alle wissen, dass sie zuletzt Probleme mit dem Opfer hatte, wird der Tat verdächtigt. Die vermeintlich netten Nachbarn entpuppen sich als hinterhältig und verleumderisch.
Verwirrt von den jüngsten Begebenheiten geht Katrin Hauser dem Geheimnis auf den Grund. Sie entdeckt in der Wohnung ihrer früheren Mieterin Namenslisten sowie eine Telefonnummer. Während sich ihr Mann Julius auf einer monatelangen Dienstreise in Amerika befindet, nimmt sie die Aufdeckung des Mordes in die Hand, nachdem von Oberinspektor Sucher (Nomen ist nicht gleich Omen) in dieser Sache wenig zu erwarten ist.
Gemeinsam mit ihrer tschechischen Freundin Teresa, von Beruf Krankenschwester, begibt sie sich auf eine gefährliche Reise nach Brünn, wohin sie die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Ermittlungen führen. Was mit einer Leiche in der Nachbarwohnung begonnen hat, endet nun vor den Pforten eines Brünner Hotels, in dem sich Monika Wachter und einer ihrer Siedlungsbekannten (soviel sei verraten) regelmässig vergnügt und von wo aus sie ihre Fäden gezogen haben. Die beiden Freundinnen spüren das Nest eines Vereins auf, der nicht nur qualifiziertes sowie unqualifiziertes tschechisches Pflegepersonal über die Grenze „schmuggelt“, sondern auch Sterbehilfe anbietet. Katrin Hausers Freundin Teresa nennt das schlicht „Pflegeprostitution. […] Die Kunden zahlen, die Frauen werden ausgebeutet, müssen dabei lieb und freundlich sein, und im Hintergrund verdienen sich die Organisationen eine goldene Nase“ (S. 67f.). Unter Einsatz ihres Lebens entkommen die beiden Hobby-Detektivinnen der kriminellen Organisation, deren Machenschaften mit Hilfe der Polizei schlussendlich aufgedeckt werden. Zurück in heimischen Gefilden bekunden Katrins Nachbarn, dass sie insgeheim ja geahnt haben …
Irmgard Bartas Engel morden einsam ist ein solides Debut, vor allem ab dem zweiten Drittel ist der Roman sehr spannend geschrieben. Oft überwiegen die Dialoge, etwas zum Leidwesen der atmosphärischen Qualitäten. Nicht ganz klar ist, wie das Buch zu seinem Titel kommt.
Mit ihrer Themenwahl markiert die Autorin sehr engagiert einen schwarzen Fleck auf der Weste unserer Gesellschaft, der unter dem Schlagwort „Pflegedebatte“ längst zum politisch heissen Eisen geworden ist und ebenso wie die eng damit verschränkte Migrationsfrage rasch kreativer Lösungen bedarf.