#Roman

Endlich Ruhe

Ewald Baringer

// Rezension von Stefan Schmitzer

Kleine Geographie des Wahnsinns.

Es ist nicht wenig, was Ewald Baringer in seinem Roman Endlich Ruhe unternimmt. Er nähert sich den Ursachen, später auch dem Wesen des Wahnsinns verschiedener Figuren mit den Mitteln des Kriminal-, des Reise- und des Briefromans an. Der Wahnsinn hinwiederum, als Verstummen oder Unklarwerden der Rede, ist selbst Mittel einer anderen Annäherung, nämlich der an die Geschichte Österreichs und Mitteleuropas, wie sie in halbverdauter Form noch in den Köpfen herumliegt und als Netz von Orten traumatischer Erfahrung über dem Land.

Zwar erinnert Baringers Gebilde damit in der Anlage an solche Werke wie Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ (mit welchem das Buch auch die Verwendung von Geographie, von Landschaft, Nähe und Entfernung als Metapher für den „psychologischen“ Aspekt der Figuren teilt) oder Hans Leberts „Wolfshaut“ (welchem es durch den Gedanken verbunden ist, daß verschwiegene Abscheulichkeiten wenigstens als „Einbruch“ des Jenseitigen und Irrationalen ins zivilisierte Gefüge wahrnehmbar und erinnerbar werden), doch es ist nicht bruchlos in eine Tradition zu stellen: Zu vielstimmig bleibt dem Leser das Buch, als daß eine eindeutige Identifikation mit einer der Hauptfiguren zu vollziehen wäre (obwohl derer so viele nicht sind), sodaß das Buch nicht sofort und nicht eindeutig den „Romanen“ zuordenbar ist. Seine Natur changiert. Nicht genug, um die Einordnung als „experimentell“ zu rechtfertigen, aber genug, um alle paar Seiten eine Unterbrechung der Lektüre zu provozieren, um die Gedanken neu zu ordnen, zurückzublättern, die angedeuteten Handlungsstränge wie die deutlich dokumentierten Zusammenhänge nochmals nachzuvollziehen, schließlich die drängende Frage aufzuschieben, womit man es hier zu tun hätte, und weiterzulesen…

Endlich Ruhe ist also in jedem Fall zu empfehlen, und insoferne es sich „unter anderem“ um einen spannenden Krimi handelt, auch Lesern, die üblicherweise mit „Zeitgeschichte“ oder experimentellen Ansätzen in der Belletristik eher wenig am Hut haben. Trotz seiner Fehler, die zumindest mir die Freude an seinen Qualitäten doch erheblich getrübt haben. Welcher Fehler? –
Da wäre zum einen der Hang des Verfassers, komische Elemente einzustreuen, die nicht bloß dazu dienen, mit einer Pointe aufzuwarten, sondern die auch die Lektüre in Bezug auf die einzelnen Handlungsstränge (bedonders gilt dies für die Entwicklungserzählung des Protagonisten Paul, der wohl als Alter Ego des Verfassers, eines Kulturjournalisten, zu lesen ist) unnötig erschweren: Wenn es etwa von Bedeutung ist, daß der Protagonist beginnt, den Boden unter den Füßen zu verlieren, weil er nach 20 Jahren Arbeit von seinem Chefredakteur gefeuert wird, hilft uns seine geistreiche Beleidigungstirade gegen den Chef wenig zum Verständnis seiner Situation, sondern schwächt uns durch ihren Kabarettbühnen-Gestus bloß die Schärfe der Leseerfahrung ab. Sein Empfinden und der Bezug dieses Empfindes zur Ganzheit des Buches, so scheint mir, wird vom Autor schlicht als „bekannt“ vorausgesetzt, manche Szene so zur bloßen Schablone degradiert. Die Auswirkungen dieses Kabarett-Gestus sind auch dadurch störend für den Verlauf der Geschichte, daß ein eklatanter Widerspruch besteht zwischen der recht skrupulösen Schilderung, die Baringer seinem Personal angedeihen lässt, und den Klischees, aus denen er seine komischen Effekte zieht.

Die bereits erwähnte Schmährede des gefeuerten Journalisten, die relativ früh in der Geschichte auftaucht, ist auch ein Beispiel für die zweite Schwäche des Buches. Zwar schafft es der Autor, in glaubwürdiger Weise und mit großer Sensibilität für den Erzählrhythmus zwischen verschiedenen „Stimmen“, zwischen Beschreibung, Dialog, Monolog hin und her zu wechseln, doch wirken einzelne dieser Sequenzen in sich – ein wenig übertrieben gesagt – wie hölzerne Karikaturen der eigentlich an ihrer Stelle Erwarteten und zum Verständnis Benötigten. Kurz gesagt: Baringer versteht sich meisterhaft auf die große Form, den plot, die Anlage; doch die Binnenstruktur der Einzelteile ist gelegentlich schlicht unglaubwürdig. Dies, weil sie über Gebühr „schlicht“ gehalten sind, was im krassen Gegensatz zum Aufbau des Ganzen und zu seiner intendierten Richtung steht, wie sie in den Schilderungen seines Personals aufblitzt.

Von einer anderen Seite her betrachtet lässt sich der Widerspruch vielleicht auflösen: Endlich Ruhe ist ein Buch über Erinnerung und das Scheitern an der Erinnerung, wie es entsteht, wenn ein Autor sein Verständnis von Qualität an jenen höherwertigen österreichischen Kabarettfilmen (gedacht ist hier an Filme wie „Indien“, „Freispiel“ oder „Wanted“) geschult hat, die an einer gewissen Unklarheit darüber leiden, was sie eigentlich von ihrem Publikum wollen.
Da dieses selbe Publikum aber die Mischung aus komplexem Handlungsgeflecht und eher einfach gestrickter Pointenhascherei zu goutieren scheint, die die genannten Filme auszeichnet, mag wohl auch Endlich Ruhe so, wie es ist, seine Berechtigung haben (und das Urteil des Rezensenten auf eines des unmaßgeblichen persönlichen Geschmacks reduzierbar sein).

Ewald Baringer Endlich Ruhe
Roman.
Wien, Klosterneuburg: Edition va bene, 2005.
152 S.; geb.
ISBN 3-85167-177-5.

Rezension vom 29.12.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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