Der Roman eröffnet mit dem spektakulär-mitleidigen Auftritt von Pankraz. Der erfolgreiche Unternehmer und Extremsportler schneidet sich einfach die Pulsadern auf: „Es muss einen Grund geben für einen Versuch, diese Welt endgültig zu verlassen, werden sie sagen. So etwas geschieht nicht von selbst. Im Unterbewussten versteckt, werden sie sagen und in meiner Psyche herumkramen. Hat er nicht damals, werden sie sagen. Kein Wunder bei diesen Eltern.“ Pankraz hält sich nicht mit Gefühlsduselei auf, er geht schnurstracks seinen Weg: Im Geschäft ist er beinhart, in seiner Freizeit treibt er seinen Körper zu immer höheren Belastungen. Die Beziehung zu seiner Frau Sophie ist von Unverständnis und Kälte bestimmt, steht kurz vor dem Aus.
Servaz ist der Ruhige, von keinem ernst Genommene, der Unbeachtete: „Ich war immer der Dumme. Pankraz war immer der Gescheite. Bonifaz war der Liebling. Ich war der Trottel.“ Der Minderwertigkeitskomplex wird im Casino ausgelebt. Gespielt wird nicht ums Geld, sondern um den Gewinn, ums Glück. Das Glück aber – weiß man – ist ein Vogerl. Servaz beobachtet an den Roulette-Tischen die Serien, schlägt dann zu und verliert meistens. Sophie kommt ihm zufällig auf die Schliche: „Du verspielst dein Leben.“ Sie verrät ihn aber nicht, sondern begleitet ihn öfter ins Casino. Sophie setzt alles auf eine Zahl und gewinnt, was Servaz noch tiefer in seine Sucht schlittern lässt. Er setzt auf die 27, die Sophie Glück gebracht hat und gewinnt dabei eine Million. Noch denselben Abend verliert er eine halbe Million, geht als nervliches Wrack heim. Fortuna ist die Göttin des Glücks – aber auch des Schicksals.
Der Dritte im Bunde ist Bonifaz, der verkannte und verkappte Künstler. Weil er von seiner Kunst nicht leben kann, ist er auf der Suche nach Goldgruben, nach Frauen, die ihn aushalten. Für den Kunstbetrieb hat er keine freundlichen Worte übrig. In seinem Kopf reifen Projekte, zur Realisierung kommt es selten: „Ich werde die Sache mit den Kisten inszenieren. Hundert an den Kopf- und Fußenden geöffnete Särge. Gestapelt. Der Besucher kriecht hinein. Wenn er liegt, erhellt sich sein Bildschirm in der gegenüber aufgebauten Wand aus hundert Fernsehapparaten. Über jeden Bildschirm läuft der gleiche Nachmittagsserienschwachsinn.“ Bonifaz verliert den Halt, landet auf der Straße, versucht bei Bekannten Unterschlupf zu finden, steigt in Billigstunterkünften ab, überlebt nur, weil Sophie ihm Geld zusteckt.
An seinem Namenstag, dem 12. Mai, bricht Pankraz schließlich allein zu einer Skitour auf: „Ich glaube nicht, dass man Freude teilen kann. Aber ich weiß, dass ein zweiter Mensch vor oder hinter dir deinen Schritt verändert. Ein zweiter Mensch vor dir bringt Unruhe in den Schnee. Du siehst nicht deine Schispitzen, sondern seine Schuhe. Ins Knirschen des kalten Schnees mischt sich sein Atem.“ Er erreicht den Gipfel, doch dann überrascht ihn ein Schneesturm.
Andreas Renoldner hat einen Roman über zutiefst gegenwärtige Probleme geschrieben, über Konkurrenzdenken, leere Liebe, die Suche nach dem Glück. Das orientierungslose Taumeln der drei Figuren, die den Erfolg und die Liebe jagen, erinnert an die (vorerst) vergeblichen Versuche von Parzival, den heiligen Gral zu finden. Glück lässt sich nicht erzwingen. Die Angst vor dem Versagen liegt allgegenwärtig im Raum und hemmt die Brüderschar, lässt sie verkrampfen. Renoldners Roman wirkt locker und leicht gestrickt, er wechselt die Perspektiven, taucht in die Figuren ein, beleuchtet das Geschehen von verschiedenen Seiten. Die Sprache ist klar wie Eis, seine Sätze sind kurz und prägnant, nicht unnötig überfrachtet.
Kurz und gut: Eisheilige ist ein lesenswertes Stück Gegenwartskritik, ein Roman, der hoffentlich auch über Oberösterreichs Grenzen hinaus die Aufmerksamkeit erhält, die sich Renoldner schon länger verdient hätte.