#Roman
#Debüt

Eins zwei Fittipaldi

Helmut Neundlinger

// Rezension von Gerald Lind

Wolf Haas hat einen Stephen-King-Roman geschrieben. Könnte man meinen, liest man Helmut Neundlingers Prosadebüt Eins zwei Fittipaldi. Der Ton klingt nach Haas, österreichisch gefärbt, vertraulich, direkt an die Lesenden gerichtet: „Also es war so: Wir haben nämlich einen Feldhasen gesehen.“ (4) Handlung und Motive aber könnten auch von King stammen: Rocker, die in einem Moor schwarze Messen feiern. Pubertierende, die sich in eben diesem Moor im undurchdringlichen Nebel verirren. Ein übel beleumundetes Mädchen aus einem übel beleumundeten Ortsteil, das zwischen Rockern und Pubertierenden steht. Und eigentlich ganz anders ist, als alle glauben. Oder zumindest ein bisschen anders.

Beim Lesen ist man sich nun anfangs nicht sicher: Ist das alles ernst gemeint? Satire? Oder irgendetwas dazwischen? Bis man schließlich versteht: Der promovierte Germanist und zeitweilige Nachlassbetreuer des legendären Literaturprofessors Wendelin Schmidt-Dengler hat mit Eins zwei Fittipaldi etwas ziemlich Überraschendes gemacht: Er hat eine Mischung aus Abenteuerbuch und Gruselmärchen geschrieben, adressiert – das Buch spielt Mitte der 1980er Jahre – an die „Wickie, Slime & Paiper“-Generation. Nicht Jelinek, Lebert, Roth oder Innerhofer bilden den Referenzrahmen, sondern neben Haas und King auch die „Cowboy und Indianer“-Geschichten eines Karl May und TV-Serien wie Stranger Things und Braunschlag (eine Fake-Marienerscheinung gibt es nämlich auch). Und hat man das erst einmal verstanden und akzeptiert, muss man sagen: Das Buch funktioniert. Und wie.

Zunächst einmal, weil der Ton stimmt. Man hört den vorwitzigen Teenager vom Land geradezu, wie er neben uns am Tisch sitzt und erzählt: „Ausgerechnet der Pfarrer ist am Morgen der Prozession als einziger zu spät gekommen. Da hättet ihr den Blick sehen sollen, mit dem ihn die Oma empfangen hat: Dagegen ist eine Kalter-Krieg-Rakete die reinste Friedensbotschaft gewesen.“ (61) Neundlinger fällt nie aus der Rolle des Teenagers vom Land, hier passt jeder Satz, jedes Wort. Im Endergebnis mag das ganz einfach, geradezu natürlich klingen. Doch braucht es schriftstellerisches Handwerkszeug und besonderes Sprachgefühl, um tatsächlich so zu schreiben. Ganz abgesehen davon, dass von der Sprache abhebend auch die Perspektive stimmt: Von politischer Korrektheit haben Landjugendliche in den 1980ern nun einmal noch nie etwas gehört.

Eins zwei Fittipaldi funktioniert aber vor allem auch deshalb, weil es mit starken, klaren Bilder arbeitet. Man hört das Buch beim Lesen nicht nur, man sieht es auch. So lässt Neundlinger, zum Beispiel, ein Mädchen aus der im Moor verloren gegangenen Pubertierendengruppe eine Leuchtkugel in den Mund nehmen: „Dann ist sie aufgestanden und hat Bewegungen gemacht wie das reinste Gespenst. Und ich muss sagen, dass das wirklich lustig ausgeschaut hat. Ehrlich gesagt hat es auch ein bisschen zum Fürchten ausgeschaut. Der Nebel war nämlich schon so dicht, dass man von der Kleinen gar nichts mehr gesehen hat, nur eben diese Leuchtkugel, die sie im Mund gehabt hat.“ (37) Vor Plakativem scheut Neundlinger in Szenen wie dieser natürlich nicht zurück, vor Effekten schon gar nicht. Aber andererseits: Gibt es ein eindrücklicheres Bild als besoffene Rocker, die mit Totenköpfen Fußball spielen?

Würde man Eins zwei Fittipaldi nun aber als reine Unterhaltung abtun, täte man ihm unrecht. Wie übrigens den meisten so genannten Trivialromanen. Selbst Stephen King hat politische Parabeln in gut lesbarer Science-Fiction-Literatur versteckt. Sein 1000-Seiten-Roman Under the Dome, zum Beispiel, ist eine Abrechnung mit dem Amerika der Bush-jr.-Jahre. Das wichtigste politische Thema bei Neundlinger wiederum ist – in einer langen eingeschobenen Erzählung – die sozial spannungsreiche Situation in einem Dorf, das Flüchtlinge aufnehmen soll. Nur sind diese in den 1980er Jahren noch nicht Syrer, Afghanen und Tschetschenen, sondern Polen. Und als Retterin der Schutzsuchenden tritt auch nicht Ute Bock auf, sondern die erzkatholische Großmutter des Erzählers, die – mit Verweis auf Tschenstochau – im Moor eine schwarze Madonna aufstellen lässt.

Trotz dieser (und anderer) politischer Anspielungen ist Eins zwei Fittipaldi aber kein moralisierendes Buch. Nein, Helmut Neundlinger hat dieses Mal einfach den Geschichtenhasen aus dem Romankäfig gelassen und ihm, auf „Eins zwei Fittipaldi“, hinterhergeschrieben. Das Ergebnis ist nun keine Hochliteratur im traditionellen Sinn, dafür aber ist in dem Roman „die Hölle los, im Sinn von: Lachsalven ohne Ende.“ (17)

Helmut Neundlinger Eins zwei Fittipaldi
Roman.
Salzburg: Müry Salzmann, 2018.
128 S.; geb.
ISBN 978-3-99014-166-3.

Rezension vom 03.05.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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