Markus Fausers Einführung in die Kulturwissenschaft scheint sowohl den genannten Eindruck als auch die begriffliche Verwirrung zu stützen. Allein sein Anliegen ist es, auf systematische und gut verständliche Weise die „wichtigsten kulturwissenschaftlichen Literaturtheorien“ vorzustellen und somit „grundlegendes Orientierungswissen“ zu bieten (Klappentext).
Das Kapitel „Grundlagen“, das auch als eine Art Einführung in die „Einführung“ gelesen werden darf, schafft bezüglich einer verständlichen Terminologisierung und systematischen Herangehensweise an den Gegenstand auf den ersten Blick wenig Klarheit. Es geht jedoch hervor, dass sich der von Fauser sowohl im Singular als auch im Plural verwendete Terminus „Kulturwissenschaft“ einerseits als „Metaebene der Reflexion“ (S. 9), andererseits als „transdisziplinär ausgerichtete Forschungspraxis bei ansonsten unveränderten Disziplinen“ (ebd.) versteht. Diese beiden auch von Fauser vertretenen Auffassungen sehen sich der Bestrebung, „Kulturwissenschaft“ als (universitäres) Einzelfach zu etablieren, entgegengestellt. Kritisch moniert Fauser an einer solchen Vereinheitlichungstendenz eine „erschreckende Freigebigkeit“, mit der viele Wissenschafterinnern und Wissenschafter nunmehr bereit seien, „ihre disziplinären Ursprünge gegen die verheißungsvolle Selbstbezeichnung Kulturwissenschaftler einzutauschen“ (S. 10).
Was in Kapitel II „Kulturwissenschaftliche Konzepte“ folgt, ist dann aber doch so etwas wie ein unvermittelter historischer Abriss der unidisziplinären Fassung. Wer sich nun – berechtigterweise – fragt, was Neukantianismus, Heinrich Rickert, Georg Simmel, Max Weber, Ernst Cassierer und schließlich der Ethnologe Clifford Geertz mit den „wichtigsten kulturwissenschaftlichen Literaturtheorien“ zu schaffen haben, muss sich gedulden – oder legt das Büchlein ob des erwarteten und vermeintlich uneingelösten literaturtheoretischen Erkenntnisanspruchs allzu voreilig zur Seite. An dieser Stelle lohnt es, hartnäckig zu bleiben und womöglich einen zweiten, geschärften Blick auf die viereinhalb Seiten des „Grundlagen“-Kapitels zu verwenden.
Ettikettenschwindel? Im Sinne einer allgemeinen Einführung in die Kulturwissenschaft (wie sie der Titel suggeriert) ist die nachfolgende Darstellung der Genese kulturwissenschaftlicher Konzepte aus der „Cultur-Philosphie“ und der „Cultur-Wissenschaft“ um 1900 durchaus informativ und für einen ersten Einstieg nützlich. Im Rahmen einer „Einführung Germanistik“, wie ihn die Reihengestalter Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal vorgeben, scheint sich Fauser der spezifischen Erwartungshaltung allerdings zu wenig bewusst zu sein. So wäre beispielsweise ein konsequentes literaturwissenschaftliches In-Bezug-Setzen der kulturwissenschaftlichen Begriffe wünschenswert gewesen, etwa da, wo „Text“ („Text als Kultur“, S. 31) und „Kontext“ („Kultur als Kontext-Begriff bei Grossberg“, S. 33) thematisiert werden.
Die Diskrepanz liegt in der unmotivierten Auswahl und Anordnung von „Arbeitsfelder[n] kulturwissenschaftlicher Forschung“, die die weitere Abfolge der Kapitel bestimmen und laut Fauser eine „gegenstandsbezogene Begründung für ausgwählte Literaturtheorien“ (S. 11) mit sich bringen. Die Relevanz der Arbeitsfelder „Literarische Anthropologie“ (III), „Handlungs- und Wahrnehumgstheorien“ (IV), „Gender Studies“ (V), „Gedächtnistheorien“ (VI) und „Intertextualität“ (VII) für „neuere und neueste Literaturtheorien“ entbehrt bedauernswerterweise jeglicher einleitenden Erläuterung; weder aus dem Inhaltsverzeichnis noch aus überblickenden Passagen geht hervor, von welchen „kulturwissenschaftlichen Literaturtheorien“ in der Folge die Rede ist.
Die einzelnen Ansätze erschließen sich erst im Verlauf der Lektüre. Fragmentarische Anmerkungen und zentrale Stichworte an den Seitenrändern strukturieren jedoch den Textfluss und erlauben somit auch das selektive Auffinden spezifischer Sinneinheiten vermittels bereits bekannter oder markanter Schlüsselwörter, ermöglichen also den Ausbruch aus einem (didaktischen?) Zwang der fortschreitenden Aneignung. Die „Kommentierte Bibliographie“, gereiht nach Lexika und Wörterbüchern, Anthologien und allgemeiner Literatur, erweist sich für eine allererste Orientierung sicherlich als hilfreich, wenngleich auch hier zu klären bliebe, nach welchen heuristischen Kriterien Auswahl und Kommentierung erfolgten.
Die launigen Anmerkungen sollen die Lust an der kritischen Konsultierung dieses orangen Büchleins zur Einführung in die Kulturwissenschaft nicht schmälern: Ab Seite 36 ff. (Stichworte „postkoloniale Literaturtheorie“ und „kontrapunktische Lesart“) darf man sich über eine klug kommentierte und detailreiche Aufbereitung literatur- als kulturwissenschaftlicher Forschungs- und Problemzusammenhänge freuen.