#Prosa

Eine Art Himmel

Andrea Sailer

// Rezension von Georg Renöckl

„Umwerfend komisch, abgrundtief traurig, beklemmend realistisch, bitterböse und sarkastisch, melancholisch und sentimental. So vielschichtig wie das Leben, so vielschichtig sind auch ihre Erzählungen.“ Glaubt man dem Klappentext, hat sich die 33-jährige Andrea Sailer mit dem Erzählband Eine Art Himmel, ihrem mittlerweile achten Buch, viel vorgenommen. Vielfältig sind ihre Geschichten tatsächlich. Eine Art Himmel ist von ziemlich sonderbaren und relativ normalen Menschen bevölkert, von einsamen, verbitterten genauso wie von solchen, die am Ende ihres Lebens noch Neuanfänge wagen.

Die Geschichten haben teilweise Alltägliches zum Thema: einander längst fremd gewordene Eheleute, eine Mutter, die auf den Besuch der fernen Tochter wartet, oder auch den sorgenvollen Gedankenstrom, den ein gerissenes Kondom auslöst. Oft geht es auch um Ungewöhnlicheres: um den jungen Mann etwa, der mit einer Gummipuppe zusammenlebt, einen anderen, der seinen einsam um die verstorbene Frau trauernden Vater gegen Geld vorführt, oder einen eiskalten Killer, der den Kummer um seinen sterbenden Hund nicht überlebt.

Andrea Sailer geht mit spürbarer Erzähllust ans Werk, stöbert in ihrer Fantasie und ihrer Umgebung Geschichten auf, die überraschen, berühren oder nachdenklich machen können.

Oft vermitteln diese aber den Eindruck, die Erzählerin sei in den Welten, die sie beschreibt, nicht wirklich zu Hause. Ihre Figuren wirken häufig schematisch. Lächerliche Männer tragen entweder Stecktücher mit fliegenden Kühen oder Krawatten mit fliegenden Schweinen und besitzen entweder Porno- oder Horrorfilmsammlungen (beides gleichzeitig wäre wohl zu facettenreich). Der in die jüngere Kollegin verliebte Spießer, der soeben „ein Buch über den Einsturz der Reichsbrücke zu Ende gelesen“ hat, schlägt seiner Angebeteten dann tatsächlich vor, „ihn doch einmal zu besuchen, um seine Briefmarkensammlung anzuschauen“. Ein etwas müder Altherren-Witz.

Frauen geraten in Sailers Geschichten dagegen relativ schnell zu Femmes fatales, die doppelte Cognacs zum Vormittagskaffee und doppelte Wodkas zum dritten Glas Weißwein trinken und Männern in finsteren Treppenhäusern zum Spaß einen blasen, bevor sie ihnen am nächsten Tag eiskalt das Herz brechen – oder zu übergewichtigen, einsamen Frustesserinnen, die sich mit sinnlosen Massenbestellungen aus dem Versandkatalog trösten und ihre ganze Liebesfähigkeit auf ein Haustier projizieren.

Komik entsteht in den vielen inneren Monologen und erlebten Reden dann eher unfreiwillig. Sailers (Anti-)Heldinnen und Helden sind ziemlich einfach gestrickt, so, als nähme die Erzählerin sie nicht für ganz voll: „Sex. Dieses Wort ging auch ihr manchmal durch den Kopf. Sex. Andere Leute hatten so was. Sie wusste es. Die Welt war voll davon. Die Zeitungen. Das Fernsehprogramm. Sogar die Gespräche anderer Frauen, fremder Frauen in ihrem Alter.“

Zu konstruiert und dadurch unglaubwürdig wirken auch die Dialoge, in denen die Protagonisten zu beliebigen Anlässen ihre Lebensgeschichten und die Probleme, die sie miteinander hatten, Revue passieren lassen – wie die Mutter, die ihre zurückgezogen lebende Tochter dazu animieren will, mehr auszugehen und ihr dabei en passant ihre zahlreichen Selbstmordversuche noch einmal erzählt.

Über Sailers sehr bilderreiche Sprache („Der Sommer hockte auf den Zinnen der Friedhofsmauer wie ein erschöpfter Schuljunge, kauerte einem Wegelagerer gleich im hitzewelken Gebüsch, und warf die gewaltigen Zypressen der Hauptallee als säulenförmige Schatten zu Boden.“) kann man verschiedener Meinung sein. Irritierend ist jedoch die Mischung aus eindeutig Österreichischem (Matura, Rotzbuben, Deka) mit norddeutschem Vokabular (Klamotten, Penner, Jungs), hier würde eine Entscheidung den Lesefluss erleichtern. Genauso wie eine einheitliche Schreibung des Vornamens von Cary Grant übrigens, der in einer der Erzählungen immer wieder zum „Gary“ wird. An den Enden ihrer Geschichten geht die Erzählerin dann oft auf Nummer sicher und liefert die Interpretation gleich mit: „Sie wünschten sich haargenau dasselbe. Nur wollten sie das nicht wahrhaben.“ Für Leser, die sich gerne selbst ihren Reim auf Geschichten machen wollen, ist das schade. Vor allem auch deswegen, weil sie an sich genug Stoff zum Nachdenken vorfinden würden.

Andrea Sailer hat mit Eine Art Himmel einen Erzählband geschrieben, in dem sie die Vielschichtigkeit des Lebens darstellen möchte. Sie hat ein gutes Gespür für Geschichten, die ihre Leser nicht kalt lassen – und doch fehlt diesen Erzählungen und ihren Protagonisten meist genau das, was angestrebt wurde: die Vielschichtigkeit.

Eine Art Himmel.
Erzählungen.
Graz: Steirische Verlagsgesellschaft, 2004.
208 Seiten, broschiert.
ISBN 3-85489-111-3.

Rezension vom 07.03.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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