Wie auch immer, der Weiße Elefant ist nicht uninteressant. Den Begriff wird man schon gehört haben, vor allem für unkündbare Beamte, die – aus irgendwelchen Gründen, meist der Unbotmäßigkeit – kalt gestellt wurden. Heute kennen diese Praxis aber auch Banken, Großkonzerne und Versicherungen, wenn Dienstverhältnisse aus bestimmten Gründen nicht einfach gekündigt und mir nichts, dir nichts aus der Welt geschafft werden können. Das Böse macht offensichtlich nirgendwo wirklich Halt?
Ein „weißer Elefant“, um es näher zu erklären, was Daniel Wisser naturgemäß literarisierend macht, ist ein arbeitsloser oder „arbeitsbefreiter“ Arbeitender, der zwar seine Anstellung behält, dem aber das Tätigkeitsfeld von seinen Bossen entzogen wird. Und damit nicht selten auch gleich der Boden unter den Füßen. Diese Praxis umfasst dann meist noch ein Boreout. Richtig!, in der Mitte des Worts steht ein „e“, nicht „n“, weshalb der Begriff, der zwar nicht mehr ganz neu, aber auch noch nicht der bekannteste ist, erklärt sei.
Im Jahr 2007 ist das Buch Diagnose Boreout von Philippe Rothlin und Peter R. Werder erschienen, in dem sie unter der neu geschaffenen Bezeichnung Boreout über die Theorie zum Thema Unzufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz wegen Langeweile schreiben. Das Buch wurde im Rahmen der Frankfurter Buchmesse sogar für zwei deutsche Wirtschaftsbuchpreise nominiert.
Die Theorie besagt, dass bei dauerhafter Fehlbelastung zumeist das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit verloren gehe. Dafür kann außer Überlastung, die nicht selten zu einem Burnout-Syndrom führt, auch Unterforderung, beispielsweise wegen ungeeigneter Berufswahl oder eines unpassenden Arbeitsumfelds, ursächlich sein. Mögliche Folgeerscheinungen von Unterforderung sind – ähnlich denen bei Überforderung – Frustration, Gereiztheit, Lustlosigkeit und Müdigkeit, bis hin zu Anzeichen einer krankhaften Depression. Es ist eigentlich ein geistvoller Einfall des Autors, über dieses Phänomen als einer der Ersten zu schreiben.
Und Wisser schreibt über einen einundfünfzigjährigen Mann und ehemaligen Leiter der Abteilung Informationstechnologie. Alles, nicht nur diese Koordinaten, könnten aus dem wahren Leben gegriffen sein. Er hat drei Kinder von drei verschiedenen Frauen und befindet sich zumindest beruflich auf dem Abstellgleis. Die Fallhöhe ist bei dieser Konstellation vorprogrammiert. Daniel Wisser schildert den festgelegten Absturz als schaurig-witziges Sittenbild unserer – ach so sozialen und auf den ersten unscharfen Blick empathischen – Gesellschaft.
Das alles klingt spannend – und ist es auch. Die meist knappen Sätze sind ungekünstelt und schaffen eine unverfälschte (Betriebs-)Atmosphäre. Die direkten und indirekten Reden, Erstere ohne Anführungszeichen, könnten so gesagt oder gehört werden, was von einem ausgereiften Autor spricht. Wissers stärkere Seiten sind die nachdenkenden und witzigen Passagen, die nicht in mäanderndes Philosophieren oder billige Witze ausarten. Der Weiße Elefant ist, wie Wissers Standby (2011), mit dem er beim Bachmannpreis, ohne zu reüssieren, was noch nichts besagt, angetreten ist, ein Buch über die heutige, um nicht zu sagen moderne Arbeitswelt. Für die Arbeit am neuesten Buch wurde ihm das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien zugesprochen, was heißt, dass die Jury das Projekt als ein ausgezeichnetes beurteilt hat.
Erwähnt sei, dass der Klever-Verlag wieder ein ästhetisch und handwerklich einwandfreies Buch herausgegeben hat. Daniel Wisser und sein Text verdienen es.