#Roman

Ein Vandale ist kein Hunne

Alois Brandstetter

// Rezension von Helmut Sturm

Wer hat sich noch nicht auf einem Gang oder einer Fahrt durch die Stadt über gesprayte Botschaften gewundert, deren Inhalt hermetisch verschlossen, esoterisch nur Eingeweihten zugänglich ist. Die meisten werden der Sache nicht länger nachhängen. Alois Brandstetter freilich nimmt „ein sogenanntes Graffito, ein ‚Tag'“, das er (zunächst) als „KORKS“ liest, zum Anlass eines Romans.

Der Ich-Erzähler, durch viele biographische Details als alter ego des Autors ausgewiesen, ist ein Stadtwanderer, dem auf seinen Wegen durch Klagenfurt immer wieder dieses Buchstabengebilde, „dieses ‚Style‘, wie die Sprayer graphisch gestaltete Decknamen auch nennen“, begegnet. Er lässt nicht Kork Kork sein, setzt Geduld, mehr oder weniger systematische Recherche und einigen Ehrgeiz darein herauszufinden, wer dieser KORKS nun ist. Eine Brandtstettersche Variante des Krimis, diesmal ganz ohne buchstabenmalende Gendarmen, in der aber das Internet genutzt wird. Wieder einmal ist der Ich-Erzähler einer, der gerne mehr oder weniger respektvoll von seinen Lehrern spricht, als Altgermanist Etymologien (von „geil“ bis „sakrosankt“) herbeizitiert und das Mittelalter nicht ganz lassen kann. Aber in diesem mäandernden Denk- und Erzählfluss gibt es dieses Mal erstaunlich viele Inseln, auf denen kein Latein gesprochen wird, sondern Englisch, und über die Graffiti-Kunst muss Brandstetters alter ego eben googeln.

Franz Schuh notiert in seinem gescheiten Buch über die Güte den Befund „Schreiben heißt auch: Verarbeiten, was einem auf die Nerven geht.“ Das bemerkt auch augenzwinkernd der Protagonist in dem hier zu besprechenden Roman: „Oft war ich schon versucht, einen Leserbrief zu schreiben oder einen kulturkritischen Kommentar. Ich habe der Versuchung dann aber fast immer widerstanden.“ Dem Konservativen, der Brandstetter ist, geht einiges auf die Nerven, was der Zeitgeist anzubieten hat. Pfarrer, die Unfug reden; „Stalker“, die ihren Namen auf Gedenktafeln eingravieren lassen; Tempo 160 auf der Autobahn; ‚Null-Bock‘ auf Nachwuchs; die gegenwärtige österreichische Familienministerin; und so weiter. Vielleicht trifft auf wenige Autoren die Beobachtung Franz Schuhs so zu wie auf den gebürtigen Oberösterreicher Alois Brandstetter. Erstaunlich, dass zumindest sein fiktives Ich im Roman dabei überhaupt nicht verbittert und „verkorkst“ ist. Im Gegenteil: „Ein Vandale ist kein Hunne“ zeigt eine mitmenschliche Wärme, auch Lockerheit, die sich der Weisheit des Alters verdanken mag und noch deutlicher als bereits in „Der geborene Gärtner“ wahrzunehmen ist. Brandstetters Erzähler wundert sich, warum er selbst das Opfer eines „Vandalen“ wird: „Wie mir, der ich doch niemandem etwas oder gar allen nur Gutes tue […] Nun bin oder war ich ein eher milder Prüfer und sicher kein Scharfrichter.“ Die Verführung der Selbstgerechtigkeit wird ironisch vorgeführt und durch ihre Rationalisierung für den Augenblick gebannt. „Jemanden nichts Böses tun, heißt zugleich ihn ignorieren und mißachten. Dieses Übel wird übel genommen!“

Ein Vandale ist kein Hunne ist durchwegs ein sehr gegenwärtiges Buch und dennoch kann man bezweifeln, dass es jüngere LeserInnen anspricht. Zu oft könnte das herbeiassoziierte Wissen heute etwa zwanzigjährigen Medienkonsumenten wie von einem anderen Stern erscheinen, da wirken dann auch die kunstvollen Anknüpfungsversuche mit ihren Brandstetterschen Manierismen nicht weiter einladend. Andererseits ist Alois Brandstetter mit diesem Buch der Gegenbeweis zu Daniel Kehlmanns Behauptung, wonach Autoren keine netten Leute seien und es nicht empfehlenswert sei, einem von ihnen Einlass in sein Leben zu gewähren, zumindest für den Ich-Erzähler seines neuen Romanes gelungen.

Alois Brandstetter Ein Vandale ist kein Hunne
Roman.
St. Pölten, Salzburg: Residenz, 2007.
207 S.; geb.
ISBN 978-3-7017-1480-3.

Rezension vom 18.12.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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