Für ihre früheren schmalen Bände Ein Vergleich mit dem Leben, Reigen und Zwischen der Zeit wurde Eva Schmidt vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Rauriser Literaturpreis. Vielleicht sollte auch der Protagonist von Ein langes Jahr als Entdeckung gelten, denn im Mittelpunkt dieses Romans stehen, als wäre er ein Lehrstück des Expressionismus, nicht die einzelnen Figuren, die vielen Schicksale, denen Schmidt nachspürt, sondern die Stadt selbst ist Protagonist. Es ist Bregenz, wo Eva Schmidt seit vielen Jahren lebt. Erstaunlich, welche Facetten die Autorin dieser Stadt abgewinnt.
Dieses Bregenz atmet und lebt, es ist eine Stadt der tausend Gesichter und der vielen unterschiedlichen Biografien, die allesamt durch den gemeinsamen Ort verbunden sind. Da gibt es Benjamin, einen Jungen, der allein mit seiner Mutter lebt und sich einen Hund wünscht; sein Freund Joachim ist auch alleine, weil ihm seine Mutter fehlt; Herrn Agostini fehlt der Alltag mit seiner Frau, die mittlerweile im Altenheim wohnen muss und nur mehr üble Laune hat; da gibt es den Mann, der auf seinem Balkon steht und raucht und seine Mitmenschen beobachtet und es hasst, wenn er selbst beobachtet wird; und da gibt es Karin, die schon lange keinen Kontakt mehr mit ihrer Tochter hat und beschließt, sich leise aus dem Leben zu verabschieden, ohne dass es jemand merkt. Sie kennt auch den schönsten Platz der Welt, dort steht eine Bank und eine krumme Föhre.
Eva Schmidt erzählt vielstimmig von der Traurigkeit, die einem langsam den Hals hinaufkriecht, von Wünschen und Verlusten, von verpassten Chancen und auch von ein klein wenig Hoffnung. Vor allem aber erzählt sie einfühlsam vom Leben, das geglückt oder eben nicht geglückt sein kann und dennoch weitergeht; sie erzählt von Menschen, die schauen, beobachten, urteilen, die Kaffee trinken und viele Zigaretten rauchen, in Gärten, auf Balkonen und an anderen Orten; sie erzählt von Hunden, die Hemingway heißen und ihre kalte Schnauze auf den Oberschenkel legen.
Eva Schmidt gelingt es, dieses lange Jahr ganz nüchtern zu beschreiben, als wäre das Leben selbst nur eine Randnotiz und als wäre das Beschreiben der Wirklichkeit im besten Falle nicht Literatur, sondern dieses Leben selbst.