Die Wortmaschine entführt die LeserInnen in eine feudal anmutende Szenerie, in der von „Meistern“ und „Königen“ die Rede ist sowie von „Dolchen“ zur Selbstverteidigung, in der „getafelt“ wird, während gleichzeitig eine äußerst seltsame Maschinenkonstruktion vorgeführt wird, wie wenn dem Autor darum zu tun wäre, einige Jahrhunderte zu amalgamieren. Die Erzählung ist enigmatisch, die Maschine – eine alchemistische Apparatur, die nicht Gold, sondern Harmonie zwischen den Menschen und Staaten produzieren soll – bringt nur Unsinns-Sätze hervor, aus denen eine ganze Bibliothek gespeist wird. Vereinzelt gelingen der Maschine verständliche Aussagen, denen dann besondere Beachtung geschenkt wird.
Gemahnt schon diese erste Erzählung an Kafka (die rätselhafte Maschine), Bernhard (die konjunktivische Ausdrucksweise) und Borges (die enigmatische Erzählkonstruktion, das Motiv der Bibliothek – wenn auch als Parodie), so ist die zweite, titelgebende Erzählung dezidiert Jorge Luis Borges „gewidmet“ – eine Widmung, die als Kritik daherkommt. Inhaltlich nämlich übt der Erzähler, der sich in einem Vorort von Buenos Aires namens La Boca aufhält, um dort ebenjene Erzählung zu schreiben, durchaus heftige Kritik an Borges, formal folgt er aber der Spur des Autors, sind doch dessen Erzählungen selbst mit diesem jovial-kritischen Impetus ausgestattet, der sich als Respektlosigkeit tarnt: „… was Borges unterschlug“, heißt es da etwa, „ist die Angst, denn das Aleph besitzt nicht diese schaurige Schönheit, es ist vielmehr der Reigen der Todsünden und der ihnen entsprechenden Strafen. […] Aber wenn man vom Aleph übermannt wird – ich meine, wenn es einen wirklich in einem bestimmten Augenblick überkommt, erfährt man nichts als den nackten Schrecken, der vom Abgrund aufsteigt, über dem man wohnt.“
Hier taucht es bereits auf, dieses „man“, das immer wieder aus den persönlichsten Beschreibungen heraus emaniert, diese ins Allgemeine, ja Beliebige kippen lässt und die zuvor aufgebaute Atmosphäre beeinträchtigt. „Träume, in denen etwas bevorsteht und nicht eintrifft oder wo man mit der Aufgabe, die einem zufällt, niemals fertig wird.“ Problematisch sind manche Vergleiche („Ginster stieg aus diesen Träumen wie ein nasser Hund.“) und Klischees („Er tanzte wahrhaftig wie ein Gott.“); auch Ungenauigkeiten wie „Furchen zwischen den Schläfen“ („Herr Goto“) und „das war wie im Kloster, wer eintrat, wurde noch einmal getauft“ („Ginster“) beeinträchtigen punktuell das Lesevergnügen.
Trotzdem ist Ein Büro in La Boca ein geglücktes Gespräch mit Jorge Luis Borges bzw. dessen Texten, ein Abbild Borges’schen Erzählens, eine paraphrasierende Auseinandersetzung mit ihm. Diese Art zu erzählen hat mit Gelehrsamkeit zu tun und auch damit, sie zur Schau zu stellen. So werden in die Erzählung Verbesserungen an Übersetzungen anderer, Gelehrtenwissen eingestreut, und sie ist selbstreflexiv: … der Erzähler, der eine Geschichte erzählt und weiß, dass er das tut und dieses Wissen dem Leser mitteilt, und auch noch Selbstkritik übt, indem er Pablos Sohn schreiben lässt: „Dieser Bericht ist literaturverseucht, also falsch. Geh der Zukunft nicht aus dem Weg.“ Am Ende wird der Erzähler die Diagnose niederschreiben: „Du krankst noch immer an Literatur.“
Mit der dritten Erzählung, Ginster, ist Federmair sprachlich und stilistisch auf dem Höhepunkt seiner Erzählkunst angelangt. Die intellektuellen Spielereien der Anfangserzählungen sind aufgegeben: Das Alptraumhafte und Wahnsinnige, das in das Leben eines Zugführers namens Ginster einbricht, wird anschaulich, sprachlich äußerst dicht und intensiv beschrieben.
Herr Goto führt in der Folge auf japanischen Boden, und 25 Jahre zurück, in einen Tempel, in dem der Ich-Erzähler den Weisheiten des Meisters Toshio Kubota lauschte. Großartig der (kenntlich gemachte) Versuch, eine Lebenserinnerung aufzufrischen: die Zusammenarbeit mit Herrn Goto, der einen Tempelgarten herrichtet und einen Kinderspielplatz darin einrichten will. Die Sitzungen, das Zuhören beim Meister, Frau Ito, die Wahnsinnige. Die japanische Geschichte entwickelt sich nach anfänglichen berichtartigen Passagen zu einer einfühlsam geschriebenen Suche nach der Erinnerung. Das (wahrscheinlich) eigene Erlebte ist erzählerisch subtil transformiert.
Der Paradieskäfig zeigt die Innensicht einer Frau, die in einer künstlerischen Installation Eva im Paradies darstellt und viel Zeit hat, sich mit den Besuchern des Museums zu befassen, die sie und ihren „Adam“ im Käfig betrachten. Ein Baum, eine Bank, zwei nackte Menschen. Der flapsige Stil passt sehr gut zur Figur, die da erzählt: respektlos, naiv betrachtet sie eines Tages die Bilder im Museum, begleitet von einem Herrn, der tatsächlich Adam heißt, der den Kunstverständigen gibt, von Beruf Richter ist und seinerzeit von Thomas Bernhard durch das Kunsthistorische Museum begleitet worden sein will, lange, bevor dieser seine „Alten Meister“ geschrieben habe. Die Erzählerin gibt wieder, was Adam von den Kunstwerken hält und kommentiert dies selbstbewusst, vielleicht eine Spur zu gebildet. Aber Federmair arbeitet mit doppelten und dreifachen Böden, die Lektüre wird zum intellektuellen Spiel.
Die sehr kurze Erzählung Mein Todestag bildet einen gelungenen Abschluss: Auf wenigen Seiten spannt der Ich-Erzähler Paul einen Bogen von seiner Geburt und Kindheit, Großvaterliebe und Osterbräuchen über eine Art erster Liebe bis zum Tod seiner Frau, alles im Angesicht des 17. April, seines mutmaßlichen Todestags, den er jährlich als Fastentag begeht.
Federmairs Buch ist ein Spiel aus Fiktion und Dokumentarischem, aus Erfundenem und Erlebtem, wobei sich jede Erzählung (außer „Ginster“) durch ein „Ich“ beglaubigt, das keinesfalls mit dem Autor identifiziert werden darf. In Die Wortmaschine heißt es einmal, was erzählt werde, seien Lügen, mit denen der Erzähler seine Nächsten verwirre.
Federmairs teils essayistische, teils autobiografisch gefärbte Erzählkunst ist eine genüsslich zu lesende Kommunikation mit dem Gedächtnis der Zeit, mit der („Welt“)Literaturgeschichte.