#Sachbuch

Ein Briefwechsel 1907 - 1929

Arthur Schnitzler, Gustaf Linden

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl / Christine Schmidjell

1906 reist der junge Schwede Gustaf Linden nach Berlin und Wien, um als „Regie-Kiebitz“ den dortigen Theaterbetrieb zu studieren. Im Wiener Burgtheater fasst er schnell Fuß. 1907 lernt er Arthur Schnitzler kennen und bietet ihm an, einige seiner Theaterstücke ins Schwedische zu übersetzen. Daraus wurde eine mehr als 20jährige Arbeitsbeziehung und eine Beinahe-Freundschaft, die sich aufgrund der geographischen Distanz in einem reichen Briefwechsel niederschlug, von dem bislang nur drei Briefe Schnitzlers veröffentlicht waren. Karin Bang, die 2003 bereits den Briefwechsel Peter Nansen-Arthur Schnitzler herausgegeben hat, und Ernst-Ulrich Pinkert machen nun die gesamte Korrespondenz der beiden Briefpartner im Umfang von etwa einhundert Briefen und Korrespondenzkarten zugänglich.

Gleich nach seiner Rückkahr nach Stockholm begann Linden sein Propagandawerk im Dienste Schnitzlers. Bereits 1910 konnte das schwedische Theaterpublikum Arthur Schnitzler mit den drei Einaktern „Komtesse Mizzi“, „Die Frau mit dem Dolche“ und „Der grüne Kakadu“ kennen lernen, übersetzt und inszeniert von Gustaf Linden, der in Schweden erstmals Prinzipien des Regietheaters à la Max Reinhardt etablierte. Es folgten viele weitere Überetzungen und Inszenierungen, ein erster Höhepunkt war der enorme Erfolg des „Professor Bernhardi“ 1914, der bei Kritik wie Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Die Beziehung war über die Jahre für beide Teile von größtem Vorteil, wobei die Hierarchie der Geschäftspartner nie angetastet wurde. Dankenswerterweise haben die Herausgeber auf korrigierende Eingriffe in die Briefschaften verzichtet, und so zeigt sich in Lindens schwerfälligem, fehlerhaften Deutsch das prinzipielle Problem des Übersetzens. Wenn man liest, wie haarscharf und oft auch verquer Linden in seinen Formulierungen mitunter daneben trifft, wird ermessbar, wie schwierig eine „richtige“ Übersetzung der nuancenreichen Sprache Schnitzlers sein muss, die von feinsten Untertönen lebt. Trotzdem ist in den Briefen überraschend selten von Verständnisfragen des Übersetzers die Rede.

Das zentrale Thema sind Geschäftsangelegenheiten im engeren Sinn. Linden berichtet von seinen Bemühungen und ihren Erfolgen: Es erscheinen zahlreiche Übersetzungen und er sorgt für regelmäßige Inszenierungen von Schnitzlers Stücken in Stockholm und in der Provinz. Er scheint tatsächlich rastlos tätig gewesen zu sein, und Schnitzler hat ihn in dieser Rolle durchaus auch strapaziert.

Schnitzlers Geschäftstüchtigkeit in Sachen Eigen-PR und auch seine klare Linie: „Geschäft ist Geschäft“ hat etwas Beeindruckendes. Als Linden anlässlich des großen Erfolges von „Professor Bernhardi“ vorsichtig wegen einer Generalvertretung für Schnitzlers Werk anfragt, lehnt dieser rundweg ab; er sei „prinzipiell gegen alle jene Generalverträge (…), in denen naturgemäss nur ein Teil Verpflichtungen übernimmt, während der andere nur Rechte oder wenigstens Vorrechte geniesst“ (S. 50). Aus seiner Sicht ist das auch absolut rational gedacht. Hinkünftig nutzt Schnitzler jede Anfrage aus Schweden wegen Übersetzungs- oder Bühnenrechten geschickt aus: Er setzt Linden davon jeweils in Kenntnis und auch subtil unter Druck. Hinter der Frage, ob der Interessent auch vertrauenswürdig sei, lautet der Subtext: wenn jener diese Aufführung oder Übersetzung zustande bringen würde, weshalb hat es dann Linden noch nicht gemacht? Linden reagiert stets gehorsam, erkundigt sich, teilt mit und ersucht, es doch selbst machen zu dürfen. Schnitzler lässt das auch immer zu, gibt scheinbar nach und hält damit den Motor Linden am Laufen. Und wenn sein langjähriger schwedischer Promotor innert zweier Jahre von seinem Exklusivrecht auf „Die Schwestern“ keinen Gebrauch gemacht hat, dann holt sich Schnitzler die Rechte sofort zurück. Verblüffend ist nicht nur Schnitzlers Geschäftstüchtigkeit, sondern auch die Effektivität bei der Verwaltung seiner Rechtefragen. Dabei hat Linden Schnitzler stets sehr feinfühlig beraten, etwa in der heiklen Frage einer „Reigen“-Übersetzung oder Inszenierung in Schweden, die Schnitzler 1913 bis 1922 aktiv verfolgte, was die gängige These, Schnitzler selbst habe den „Reigen“ nicht für eine Inszenierung frei geben wollen, etwas relativiert.

Erst um 1923 beginnt Linden mit etwas mehr Nachdruck auf seiner exklusiven Zuständigkeit für Schweden zu beharren. 1923 kommt es auch zum einzigen Besuch Schnitzlers bei der Familie Linden in Schweden. Dass bei seiner Ankunft in Stockholm ein Filmteam präsent war und er sich später seinen Auftritt in der Wochenschau ansehen konnte – Stills daraus sind im Buch abgebildet – zeigt den durchschlagenden Erfolg der Verbindung Schnitzler-Linden, die der Autor sehr gezielt und effektiv anzukurbeln verstand. Wiederholt knüpfte Schnitzler Reisepläne nach Schweden an Garantien für eine große Aufführung eines seiner Stücke, ohne die ihm eine Lesereise durch Schweden nicht lohnend erschien. Abgesehen davon weigerte er sich auch hartnäckig, Schweden im Winter zu bereisen – so sehr ihm Linden auch vom Zauber nordischer Winter vorschwärmte.

Bezeichnend ist auch der Briefwechsel rund um die Hilfsaktion für Wiener Theaterkollegen, die Linden im Hungerwinter 1919 organisierte. Auf die sehr vorsichtige Anfrage Lindens reagiert Schniztler höflich wie immer, aber deutlich distanziert und zieht sich auf die Rolle des Vermittlers zurück. Eine an ihn persönlich adressierte Sendung nimmt er dann doch an, „da sie nun einmal an mich adressiert war“ (S. 69). Am meisten „bedrückt“ Schnitzler im November 1919, dass er „seit Beginn des Krieges (trotz Vortragseinladungen in die Schweiz etc.) nicht im Ausland gewesen“ ist. (S. 66). An einer Anerkennung außerhalb Österreichs muss man mit viel Nachdruck arbeiten, das war Schnitzler sehr genau bewusst.

Eine ganz eigene Ebene sind die oft verschlungenen und doch effektiven Postwege der Zeit, die man hier verfolgen kann. Wohl ging manches Poststück verloren, aber es zählte andererseits zum normalen Service, dass etwa Hotels ihren Gästen Briefe nachschickten.

Der Band ist mit Register, Anmerkungen und einem ausführlichen Nachwort sehr benutzerfreundlich ausgestattet. Dass einige Registereinträge ohne Vorname geblieben sind (wie Paul Friedmann, der die Bühnenentwürfe zur Wiener Uraufführung des „Reigen“ gemacht hat), zählt zu den lässlichen Fehlern in der Hitze der Endredaktion.

Arthur Schnitzler, Gustaf Linden Ein Briefwechsel 1907 – 1929
Hg.: Karin Bang, Ernst-Ulrich Pinkert.
Wien: Praesens, 2005.
192 S.; brosch.
ISBN 3-7069-0318-0.

Rezension vom 22.09.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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