#Lyrik

durch / through

Thomas Havlik

// Rezension von Günter Vallaster

Thomas Havlik zählt zu den konsequentesten transmedialen Poet/innen und literarischen Performer/innen. Seine Bandbreite an Ausdrucksformen reicht von Sound Poetry und visueller Poesie über Lyrik und Prosa bis zur Musik und Videokunst, wobei diese Richtungen stets auch produktiv verbunden werden, um transmediale poetische Räume zu eröffnen. Seine Arbeiten sind in internationalen Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht, er hat auch eine stattliche Liste an Auftritten bei Literatur- und Performance-Festivals in vielen Ländern vorzuweisen, zudem ist er selbst seit vielen Jahren ein engagierter Förderer besonders der Sound Poetry, etwa durch die Mitbegründung des Online-Magazins Huellkurven, in dem er als Herausgeber gemeinsam mit Jörg Piringer und Jörg Zemmler derzeit bereits in der fünften Ausgabe Sound Poetry-Beiträge aus aller Damen und Herren Länder versammelt.

Mit durch / through liegt nun nach dem BoD „Minenfeld unserer Träume“ (2002) und dem Booklet zur sehr schönen Lautpoesie-CD „syllablesshooter – 30 milliarden silben“, die 2015 bei zeitzoo in Wien in der Reihe audiobeans erschien, die längst fällige nächste Buchpublikation vor. Erschienen ist sie in Bristol, der Heimatstadt des Trip-Hop und des Streetart-Künstlers Banksy, in der engagierten Edition Hesterglock Press, die 2013 von Sarer Scotthorne und Paul Hawkins aka Bob Modem als Plattform für experimentelle und innovative Poesie gegründet wurde.

Schlägt man das ansprechend gestaltete und mit einem Cover von Bob Modem versehene Buch auf, wird schnell klar, dass der Titel durch / through Programm ist: Auf 160 Seiten präsentiert Thomas Havlik mit dichten Zeichenstrichen ein vielschichtiges poetisches Universum, das vielfältige und immer wieder neue Lesarten zulässt. Der Autor schreibt dazu selbst im Nachwort: „Durch, gleichermaßen visuelle wie auch akustische Poesie, entfaltet eine radikal subjektive asemantische Novelle, die einen Bogen von den Höhlenmalereien der Anfänge menschlicher Zivilisation zum postliterarischen Emoji-Zeitalter des 21. Jahrhunderts spannt.“ Das Asemic Writing, Schreiben ohne Wörter mit offener Semantik, hat seinen Ursprung in der visuellen Poesie. Der Begriff wurde 1997 erstmals von den visuellen Poeten Tim Gaze aus Australien und Jim Leftwich aus den USA geprägt, um Arbeiten in dieser Richtung, die durchaus schon eine literaturgeschichtliche Tradition aufweisen, zu bezeichnen: Zu nennen sind beispielsweise die im russischen Futurismus von Alexeij Krutschonych und Velimir Chlebnikov entwickelte Kunstsprache Zaum, in der Gegenwartsliteratur die Textgrafiken von Christine Huber, die sie gerne auch zu Livemusik, etwa mit Michael Fischer an der Violine, erstellt, in Handschrift gehaltene Text-Bilder von Angelika Kaufmann, beispielsweise aus Gedichten von Friederike Mayröcker, oder das „scribentische Tagebuch“ (Work in Progress) von Valeri Scherstjanoi, in dem er seine originären Schriftzeichen-Partituren setzt, die auch lautpoetisch vorgetragen werden können.

Mit durch / through präsentiert Thomas Havlik einen grandiosen Tanz mit den Lettern und durch das Alphabet. Der Tanz, die Bewegung, die Ganzkörperpoesie sind auch wichtige Elemente in Thomas Havliks expressiven Performances. In einem mitreißenden und ekstatischen Tanzstil, der irgendwo zwischen Ian Curtis und Christian Ide Hintze angesiedelt ist, werden die Zeichen buchstäblich in Szene gesetzt, oft begleitet von visuell-poetischen Assoziogrammen, die als vielschichtige Videos projiziert werden oder als Augenblickspoesie im Moment der Performance handschriftlich auf einem Blatt Papier entstehen können. Auch „durch / through“ bringt die Glyphen zum Laufen, die Buchstaben erhalten Beine, Hände, Gesichter, setzen Tanzschritte, drehen sich, springen, borden über und nehmen sich zurück. Der Zeichenkörper atmet, die Signifikanten lösen sich auf und setzen sich wieder zusammen, bitten zum Tanz mit den Signifikaten.

Auf diese Weise lässt Thomas Havlik einen ganzen eigenen Zeichenkosmos entstehen, der auf ausdrucksstarke Weise der konventionellen Zeichenwelt Fragen stellt. Fragen, die der Sprache auf den Grund gehen, ihr eben bis zu den Höhlenmalereien nachspüren, um die Wort-Höhlen oder auch -Höllen der modernen Maschinenwelt bloßzulegen und das darin verlorene Individuum zu bewahren. Seine Text-Bilder wirken somit wie Portraits von Situationen, Gedanken und Gefühlen, die zugleich, ja in eins fallend sprachlich und bildlich festgehalten werden. Eine Poesie, die gleichsam alle Sinneswahrnehmungen berücksichtigt und anspricht, die gleichzeitig oder wahlweise wie ein Film betrachtet, wie ein Buch gelesen oder wie ein Musikstück gehört werden kann. Mal drängen die Zeichen zum Bild, zu Türen, Mauern, Häusern, Gesichtszügen, mal die Bilder zu den Zeichen, zu A, B, M, U, Z, eigentlich handelt es sich um Sprungbilder, die zwischen Sprache, Bild und Klang oszillieren oder auch alle Ausdrucksmedien koinzidieren lassen. Da und dort tauchen ansatzweise konventionelle Wörter wie „Rnd“ und „Dng“ auf, um dann wieder in einen spatialen Raum der gestischen Poesie abzutauchen, mit produktiven Berührungspunkten zur „poésie spatiale“ von Pierre und Ilse Garnier und zur gestischen Poesie eines Christian Ide Hintze oder Christian Loidl. Seriell und flächensyntaktisch türmen sich die Lettern wie e, l oder Q zu Bergen auf oder breiten sich zu Seen aus, die Schreibschrift wird in ein Spannungsfeld zur Druckschrift gesetzt, die Zeichenbilder scheinen bisweilen wie mit Speedlines oder Richtungspfeilen versehen zu sein und eine Choreographie abzubilden, die mal an eine geometrisch durchkonzipierte Massenchoreographie im Stile eines Busby Berkeley, mal in ihrer Zurückgenommenheit und Fragmentierung an Minimalismus und Conceptual Dance erinnert. Dabei beschränkt sich „durch / through“ nicht alleine auf das lateinische Alphabet: Manche Stellen wirken wie in einer fernöstlichen Schrift gehalten, mit Anklängen an Shodo, die performativ vorgetragene japanische Kalligrafiekunst. Andere Passagen lassen an das Kyrillische oder noch ältere, etwa altbabylonische Schriftzeichen denken. Und nicht zuletzt beziehen Thomas Havliks Arbeiten ihren Reiz daraus, dass sie eine, nämlich seine ganz persönliche und originelle Handschrift wiedergeben und mit jeder Seite ein Unikat darstellen.

Dies aber, wie gesagt, ist nur eine Möglichkeit, durch / through, zu lesen und zu sehen. Viele weitere und ganz andere stecken gewiss auch noch darin und das macht durch / through zu einem Buch mit garantiertem individuellen Leseerlebnis, zu einem spannenden Angebot des Dialogs zwischen Buch und Rezipient/in, zu einer Einladung zu vielen Entdeckungsreisen zu Sprache und Schrift.

Thomas Havlik durch / through
Lyrik.
Bristol: Hesterglock Press, 2019.
160 S.; brosch.
ISBN 978-0-36-835996-5.

Rezension vom 07.05.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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