#Roman

Drei Lieben

Walter Grond

// Rezension von Alexander Kluy

Baku und Paris. Dorf und Stadt. Krieg und Kunst. Drei Generationen. Drei Schicksale. Drei Lieben. Drei Frauen. Jale, Sophie, Rita.

Der Steirer Walter Grond, der seit Langem in der Wachau lebt, wo er als künstlerischer Leiter für die Europäischen Literaturtage in Spitz an der Donau verantwortlich zeichnet, wendet sich gerne abenteuerlichen Historien zu, die am Rand, auch am geografischen Rand der offiziellen großen Historiographie spielen. So standen in früheren Büchern die Geschichte des Abenteurers Almasy im Mittelpunkt oder eine Familiengeschichte in Triest. Fliehen, Ferne, Reisen, Aufbruch, Familie, all das sind Motive, die Gronds Bücher durchziehen. Sein neuer Roman Drei Lieben ist Fluchtpunkt und Erkenntnistableau einer romanhaften Recherche nach Liebe im langen 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, Jale, Sophie, Rita.

Die Geschichte setzt 1918 ein, mit Jale aus reicher muslimischer Familie in Baku am Kaspischen Meer. Dorthin hat es Hermann aus einem österreichischen Voralpendorf verschlagen. Aus seiner Ehe ist er geflohen. Er hat sich, obwohl eigentlich ungeeignet, freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet. Denn seine Frau Maria hat ihn mit seinem besten Freund betrogen. Nach Kämpfen verweht es ihn weit nach Osten. In Baku am Kaspischen Meer strandet er ausgehungert, abgerissen, arm und elend – und erscheint Jale doch wie ein Prinz. In den Wirren der Anfang 1920 auch Baku mit seinen Ölfeldern erfassenden bolschewistischen Revolution kommen sie zueinander, fliehen wie viele andere Wohlhabende via Istanbul nach Paris, leben dort ein gutes Leben, bekommen zwei Söhne.
Von diesen heiratet einer die italienischstämmige Sophie. Doch die Ehe zerbricht. Denn er ist ein emotionaler Windhund, ein unablässiger Eroberer, alles andere als ein Vorbild für seinen Sohn, den Enkel Jales. Dieser wiederum macht sich, in Paris als Opernhausdramaturg tätig, in seinen Dreißigern nach Baku und nach Österreich auf. Er will die Erzählungen des Großvaters verifizieren und recherchieren. In jenem Dorf, das Hermann einst verließ, begegnet er der Tochter Marias. Diese hatte Hermann einst als im Ersten Weltkrieg verschollen eingestuft, ihren damaligen Liebhaber geehelicht und mit diesem, einem stimmungsmäßig schwankenden Gutsverwalter, eine mediokre, niederdrückende Ehe geführt, aus der eine Tochter entsprang. Diese erfuhr erst spät von ihrer Mutter Maria, wer ihr leiblicher Vater war, nämlich Hermann. Ihr eigenes Leben war ebenfalls geprägt von einem großen Liebesverlust, den weder Ehe noch Kinder kompensieren konnten. Überaus musikaffin, hat sie sich, da die Kinder sich weit entfernt niedergelassen haben und sie allein lebt, längere Zeit von einer jungen Studentin regelmäßig nach Wien in die Oper begleiten lassen. Dieser jungen Frau namens Rita erzählt sie aus ihrem Leben, dabei so manches enigmatisch nur andeutend. Nachdem die alte Dame gestorben ist, begegnet Hermanns Enkel beim Begräbnis Rita, die mittlerweile als Archäologin für das UNESCO-Weltkulturerbe tätig ist. Sie verlieben sich ineinander. Rita zieht bald, es ist das Jahr 2000, zu ihm nach Paris. Und nach fast einem Jahrhundert der enttäuschten, missratenen, verletzten, fehlgehenden Liebe scheint sich jener Zauber wieder einzustellen, der einst für Jahrzehnte Jale an Hermann band.

Es handelt sich also um einen Liebesroman, um ein Liebesverlust- und Liebessehnsuchtsbuch. Es ist aber auch ein Buch, in dem manchmal die Sätze leicht umständlich anmuten, etwas eckig und rhythmisch unrund daherkommen. Ist es aber nur ein Liebesroman? Nein. Grond geht darüber hinaus. Sein Roman ist zugleich ein Buch über die Kunst des Erzählens.
Das Kunstvolle dieses Buches ist, wie die jeweils in den Kapitelüberschriften genannten Frauen Jale, Sophie und Rita umkreist, ausgeleuchtet, ausgedeutet werden. Kaum jemals kommen sie unmittelbar und direkt zu Wort. Nicht um ihnen die Sprache zu nehmen geht Grond so vor, vielmehr verstärkt dies das Phantasmagorische, Traumhafte und Erzählerische. Mitunter, und im Lauf der Lektüre immer stärker, stellt sich zart die Frage ein, was wahr und was falsch ist, ob es sich hier um Erdichtetes und dort um Ausschmückungen der Phantasie handelt, um Fiktion in der Fiktion. Dass das Buch, von dem Grond sein Motto entlehnt hat, „Neun Tage in Lissabon“ von Hervé Le Tellier, im Inneren einmal direkt erwähnt wird, ist keineswegs unwichtig. Im Gegenteil. Der Roman des französischen Autors dient als Referenzpunkt. Le Tellier, im selben Jahr wie Grond geboren, gehört nämlich der Gruppe OULIPO an, der „Werkstatt für potenzielle Literatur“, jener Assoziation von Schriftstellern, die auf vertrackte Art und Weise mit den Konventionen des Erzählens wie den Konstruktionsprinzipien von Prosa und Lyrik spielen. Oulipo-Mitglieder waren beispielsweise Raymond Queneau, Georges Perec (dessen Witwe bei Grond in einem Satz auftaucht) oder Italo Calvino.
Auf der Oberfläche wirkt Walter Gronds Roman wie eine Suche. Darunter jedoch erweist er sich als artistische und kunstvoll verzweigte Konstruktion, als Spiegel eines Buches, das seinerseits Spiegel seiner selbst ist, Reflexion von Liebe und Erzählen im Erzählen über Liebe. Wenn der Verlag jedoch dem Text noch mehr Kommata gegönnt hätte, vor allem an jenen Stellen, wo sie fehlen, die Liebe des Lesers zu diesem Buch wäre noch ausgeprägter.

Walter Grond Drei Lieben
Roman.
Innsbruck: Haymon, 2017.
168 S.; geb.
ISBN 978-3-7099-7214-4.

Rezension vom 02.03.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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