Der erste Text, „Fragment“, liest sich wie ein Ausschnitt aus einem bösen modernen Märchen. Er kommt ohne Dialoge aus. Unheimliche Stimmung: Jemand läuft mit einer Fackel die Straße entlang. Es ist dunkel und der Wind pfeift um die Ecken. Der Fackelträger merkt, daß jemand Feuer gelegt hat. Einer versucht, dem Läufer die Fackel zu entreißen, er läuft jedoch weiter. Merkt nicht, daß Blut an seiner Seite hinunterläuft. Und kann gerade noch in einen Hausflur flüchten, wo er bleibt und wartet. Man würde gerne wissen: heißt der Text nur „Fragment“ oder ist er ein Fragment? Ist er unvollendet oder fertig?
Etwas runder ist „Die Engel“, eine dramatische Skizze mit zwei Männern, die vom großen Glück – für den einen Frauen, für den anderen Essen – träumen und dabei von einem dubiosen Doktor Kasparek zu einem Überfall motiviert werden. Eine Angestelle wird getötet und auch Kasparek muß dran glauben. Immer aufgekratzter wird die Stimmung, alles schwankt, alles dreht sich. Am Schluß wird es expressiv bis expressionistisch: „Urwaldschreie. Sie wälzen sich; brüllen; wimmern“. Die Syntax kommt ins Taumeln: „Der Fluß. Die Nacht. Der Doktor!“. Die Abgründe lauern wie überall im Werk von Rosei, das auf den ersten Blick heiter und gelassen wirkt, dann aber gerne aufbricht ins Unbewußte.
Aus nichts wird nichts. Ein Satz, der in mehreren Texten vorkommt. Eine Art Bindeklammer. Die Menschen träumen bei Rosei vom großen Glück. Lauter einsame Herzen. Ein jeder hat eine Sehnsucht in sich, so als hätte er bei Ödön von Horváth Maß genommen, aber die moderne Welt hält nur den Kapitalismus bereit. In „Die Schauspieler im Glück“ verschanzt sich ein altes Paar, das mausearm ist, in seiner Wohnung, die es bald nicht mehr heizen kann. Eine rührende Beziehungsstudie zwischen Zank und Zärtlichkeit rollt ab, die sich am Ende in religöse Sprachdimensionen aufschwingt, wenn ein Besucher von der Sekte des „Observatoriums der Göttlichen Liebe“ ins Schwärmen kommt. Die beiden Pole: triste Realität und seltsame Ausflüchte ins Irreale und Imaginäre.
Beziehungsboulevard mit karikiertem Klassenkampf-Aufruf ist „Rehe“. Zwei Paare, die sich gleichen. Männer, die Leithammel sein wollen, Frauen, die sich trennen von ihren Männern und sich mit Telefonsex ihren Lebensunterhalt verdienen, aber unverbesserlich romantisch resümieren: „Einen Mann im Arm halten, das ist schön“. Manche der Texte sind ein bißchen zu sehr harmlose Karikatur. In „Liebe / Kunst / Natur“ etwa treten „Der berühmte Dichter“ und „Die berühmte Dichterin“ auf, die nur unschwer als Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek zu übersetzen sind. Sie schwärmt von den Frühlingsfarben in der neuen Kollektion von Yamamoto, er sieht überall „Nazis oder Trottel“, wie in Bernhards Dramoletten wortgetreu nachzulesen ist. Der Text verarbeitet insgesamt viel Literaturmaterial, von Goethes „Faust“ bis zu schwärmerischen Dichterfiguren, die persifliert werden. Im Stil: Hoher Ton trifft banale Fernsehwirklichkeit.
„Minotaurus kehrt heim“, den aktuellsten Text, kann man sich schön als Hörspiel vorstellen, wie eine Männerstimme, eine Kinderstimme und eine Frauenstimme miteinander Pläne machen: „Es soll das primäre Einkaufszentrum entstehen.“ Erhabener Ton, niedrige Themen – eine Spezialität von Rosei.