#Roman
#Debüt

Dorf ohne Franz

Verena Dolovai

// Rezension von Sabine Dengscherz

Ein Dorf im Salzkammergut: Die Ich-Erzählerin Maria wächst in den 1960er Jahren mit zwei Brüdern auf. Der ältere Bruder Josef übernimmt den elterlichen Bauernhof, Franz, der jüngere, wird ausgezahlt und zieht in die Welt hinaus. Maria unterschreibt eine Verzichtserklärung und heiratet ins örtliche Wirtshaus ein. In ihrem Roman Dorf ohne Franz porträtiert Verena Dolovai eine ,einfache Frau‘ in chancen- und lieblosem Umfeld.

Für viel Schulbildung hat es nicht gereicht bei Maria, die braucht sie auch nicht für das, was man von ihr erwartet. Sie zieht mit ihrem Mann Toni in die Einliegerwohnung und hilft aus, wenn man sie braucht. Das Wirtshaus hat Tonis jüngerer Bruder übernommen, weil der verlässlicher ist und nicht so viel trinkt. Während ihr Mann sich mit anderen Frauen herumtreibt, kümmert Maria sich nun um alle, die es nötig haben oder sonst etwas von ihr wollen. Sie pflegt den alten Wirt, kümmert sich um die demente Mutter, und sie putzt. Im Wirtshaus und bei den Eltern. Wer soll es schließlich sonst machen? Maria erwartet nicht besonders viel vom Leben – und hat auch nicht viel zu erwarten. Ein Dach über dem Kopf. Genug zu essen auf dem Teller. Träume haben die anderen. Wenn sie einmal selbst einen hat, endet der schnell in einer Enttäuschung. So wie die Fahrt nach Venedig mit ihrem Mann: An Geld mangelt es ebenso wie an Zuwendung, und die Tage zerbröseln in dumpfer Schäbigkeit. Romantik sieht anders aus.

Zurück in den Alltag, die Arbeit. Aufräumen, putzen, Kranke pflegen. Kochen ist da schon ein Highlight. Überhaupt im Wirtshaus. Dazwischen gibt es hin und wieder ein Tanzfest, die Männer saufen aber auch ohne Fest. Nicht alle, aber viele. Toni jedenfalls gleich für zwei. Sehr alt wird er nicht werden, wenn er so weitermacht. Maria sollte besser auf ihren Mann aufpassen. Genauso wie sie auf ihre Mutter besser aufpassen hätte sollen, damit sie nichts anstellt in ihrer Demenz. Oder auf ihren kleinen Bruder Franz, es war Marias Fehler, dass er als kleines Kind vom Traktor gefallen ist. Zum Glück ist nichts zurückgeblieben. Außer dem Schuldgefühl natürlich, das soll Maria ruhig lange haben.

Es ist eine stumpfe, dumpfe, trostlose Welt, die Verena Dolovai hier beschreibt. Da ist einmal die traditionelle Perspektiv- und Chancenlosigkeit des Anti-Heimatromans: Maria schielt immer wieder einmal sehnsüchtig in die Ferne, in der sich Franz herumtreibt, oder ihre Kindheitsfreundin Theresa, die nach der Volksschule in der Stadt in ein Gymnasium gehen durfte. Für Maria ist all das außer Reichweite. So ein Leben ist für andere da, damit hat sie sich schon lange abgefunden. Das Beklemmendste in diesem Roman ist allerdings die Lieblosigkeit, die Maria überall entgegenkommt. Allen scheint es ziemlich egal zu sein, wie es ihr geht. Solange sie funktioniert, und das tut sie ja einigermaßen.

Aber dann bekommt Maria ein Kind. Auf einmal gibt es da ein Wesen, das dankbar bereit ist, die viele Liebe aufzusaugen, die Maria geben kann und will. In den Jahren, in denen die kleine Tochter Lisa an ihrer Mutter hängt, erfährt auch Maria so etwas wie Glück. Gemeinsamkeit. Vertrauen. Sie bildet eine Einheit mit einem anderen Menschen, einem kleinen Kind, das ganz selbstverständlich ihre Nähe sucht. Eine Weile jedenfalls. Aber das kleine Kind bleibt eben nicht auf Dauer klein. Irgendwann ist Lisa mit dem Erwachsenwerden beschäftigt und beginnt sich abzunabeln. Maria akzeptiert das wie alles andere auch. Sie unterstützt ihre Tochter, wo sie kann. Soll sie es doch einmal besser haben. Studieren. Hoffentlich schließt sie ihr Studium auch irgendwann ab. Hoffentlich ist sie nicht nach ihrem Vater geraten.

Verena Dolovai schreibt mit Dorf ohne Franz das Anti-Idyll österreichischer Dorfliteratur fort – auf ihre ganz eigene Weise. Das Dorf ist ein Ort, an dem man nicht sein will, und doch gibt es weder Zynismus noch Aufbegehren. Maria fügt sich in ihr Schicksal, wirkt zuweilen naiv, beobachtet aber genau, und durchschaut, was um sie geschieht. Sie kommentiert es nur nicht laut. Zuweilen teilt sie mit anderen ein Geheimnis. Zum Beispiel, dass der Sohn des Wirts nicht der Sohn des Wirts ist. Dass sie niemals ihr Verlangen aufgegeben hat, das Dorf zu verlassen, behält sie aber ganz für sich. Mit der Zeit werden die Menschen, von denen Maria gebraucht wird, weniger an der Zahl, verabschieden sich in den Tod oder ein eigenes Leben. Am Ende könnte das vielleicht ein bisschen Freiheit bedeuten. Oder sogar Liebe. Von einem, der Maria nicht einfach nur dafür braucht, seinen Alltag zu bewältigen.

Dorf ohne Franz ist eine Geschichte von Abhängigkeiten und enttäuschten zwischenmenschlichen Erwartungen. Aber es ist auch die Geschichte einer Frau, die niemals aufgibt. Weder die Hoffnung noch sich selbst. Maria ist eine unbestechliche Ich-Erzählerin, die sich über nichts beschwert und nichts beschönigt. Schon gar nicht sich selbst. Und auch wenn es im Dorf niemanden gibt, dem sie sich öffnet – den Leser:innen gegenüber tut sie es doch, in einfacher Sprache, geradlinig und schnökellos. Sie bekennt sich – zumindest zaghaft – zu ihren Träumen und ihrer Verletzlichkeit. Und gelangt tatsächlich an einen Punkt, an dem ihre Geschichte eine neue Wendung nehmen könnte. Wenn ein Tiefpunkt überwunden ist, kann alles nur noch besser werden. Oder?

 

Sabine Dengscherz, geb. 1973 in OÖ, Autorin, Wissenschaftlerin, Universitätslektorin. Studium der Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Hungarologie, Venia für Transkulturelle Kommunikation und Mehrsprachigkeit. Forscht zu Schreibprozessen und Kulturbegriffen. Mitglied der GAV. Lebt in Wien und Dénesfa. https://www.dengscherz.at/

Verena Dolovai Dorf ohne Franz
Roman.
Wien: Septime Verlag, 2024.
168 Seiten, Hardcover.
ISBN 978-3-99120-035-2

Verlagsseite mit Informationen über Autorin und Buch und einer Leseprobe

Rezension vom 19.04.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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