#Prosa

Dora Dunkl

Marlene Krisper

// Rezension von Peter Landerl

Das Steyr der Nachkriegszeit brachte zwei Autorinnen hervor, die unterschiedlicher kaum hätten sein können: Marlen Haushofer und Dora Dunkl. Während Haushofer schüchtern und zurückgezogen lebte, konzentriert Buch um Buch schrieb und am Ende ihres relativ kurzen Lebens ein umfangreiches Werk veröffentlicht hatte, war Dora Dunkl das Gegenteil: eine extrovertierte Frau, die gern im Mittelpunkt stand, Publikum und Beifall brauchte, eine Schönheit, die in den Bann zog, eine Autorin, der innere Ruhe und Ausdauer fehlten, sodass sie nur wenig publizierte und für die große literarische Öffentlichkeit eine Unbekannte blieb.

Marlene Krisper, eine Steyrer Germanistin, die mit Dunkl befreundet war, hat ihr nun eine Biografie gewidmet, die nicht nüchtern Fakten um Fakten reiht, sondern versucht, Dunkls Leben nachzuerzählen, Bilder entstehen zu lassen, sich der Literatin literarisch zu nähern. Das Risiko, bei einem solchen Vorhaben zu scheitern, ist hoch.
Krisper aber hat ein beeindruckendes Buch geschrieben, das von einem Frauenleben in der Nachkriegszeit, von Emanzipation, bedingungsloser Liebe und Hingabe erzählt, von den Schwierigkeiten, Künstlerin in der Provinz zu sein und die Schönheit zum Lebensprinzip zu erheben.

Aber der Reihe nach: Dora Dunkl wird 1925 als Waltraud Schottenloher in Würzburg geboren. Der Vater ist angesehener Mediziner, sie wird geliebt, bewundert und behütet. In der Familie schwelen indes die Konflikte: Der Vater ist morphiumabhängig, kommt von seiner Sucht nicht los, die Familie übersiedelt, als die Situation untragbar wird, nach Deggendorf. Dort geht das Kind bei den Englischen Fräulein zur Schule. In der verbalen Beurteilung heißt es: „kräftig gebaut, sehr guter Verstand, heiteres, umgängliches Gemüt, starker Wille, geht stürmisch voran, reißt mit.“ Waltraud liest viel, entdeckt ihre Liebe zur Literatur, trägt beim Abitur mit Bravour Cocteaus „Antigone“ vor. Danach studiert sie kurz Kulturwissenschaften in Würzburg, lernt dort den österreichischen Medizinstudenten Anton Oberleitner kennen, den sie 1944, 19-jährig, heiratet. Nach dem Krieg übersiedelt die junge Familie nach Wels, wo Waltraud Oberleitner, wie sie nun heißt, für Regionalzeitungen Kulturberichte und Feuilletons verfasst und sich literarisch betätigt, formal konservative Lyrik schreibt.

1946 wird ihre Tochter Waltraud geboren, ihr Mann wird Arzt in Haidershofen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Steyr. Dort wird sie schnell zur bewunderten ersten Dame des Orts, hilft in der Ordination, bringt einen Hauch weiter Welt in die tiefe Provinz, engagiert sich im Kulturleben, publiziert in verschiedenen Literaturzeitschriften. 1950 wird ihr zweites Kind Hans Anton geboren. Ein Jahr später die Katastrophe: Ihr geliebter Bruder Hans Roderich, ebenfalls Arzt, nimmt sich, weil er wie sein Vater von der Morphiumsucht nicht loskommt, das Leben.

In Haidershofen wird sie zunehmend unglücklicher, hält sich immer öfter in Steyr auf. Dort lernt sie den zwanzig Jahre älteren Architekten Heinrich Dunkl kennen, einen fünfzigjährigen Junggesellen, weitgereisten Ästheten, Frauenschwarm, der sich in Paris als Maler versucht hatte. Sie schreibt ihm: „Ich verlasse die engen Gesetze inhaltsloser Bürgerlichkeit, die mir ‚Frieden‘ und ‚Existenz‘ verbürgen würden und sage ja zu einem neuen, herbeigesehnten Schicksal – nur tue ich es nicht als Opferlamm. Ich bin ein Partner, mit dem du rechnen mußt. Es genügt nicht, daß du mich in Dein philosophisches Lebensgebäude einbaust. Ich will mehr, wahrscheinlich alles.“ Sie lässt sich von ihrem Mann Anton scheiden, die Kinder bleiben bei ihm. Im Herbst 1958 heiraten Heinrich und Waltraud, die sich nun Dora nennt, richten sich im spätgotischen Dunklhof, einem der schönsten Häuser in Steyr, ihr Leben ein. Sie kann sich endlich intensiv der Literatur widmen, als Künstlerin verwirklichen, wird von Heinrich als solche respektiert (während sie in Haidershofen „nur“ als Mutter und Ordinationshilfe wahrgenommen wurde), ist aber zugleich Kunstwerk ihres Mannes, der sie zu formen versucht. Sie verfasst Sonettenkränze und Lyrik, arbeitet mit Naturmetaphern und mythologischen Stoffen, imaginiert ein mediterranes Arkadien im oft feuchten und kühlen Oberösterreich.

In Steyr konzentriert sie das literarische Leben auf sich, spielt als Gastgeberin der legendären Serenadenabende im Dunklhof, wo sie zu Musikbegleitung Lyrik rezitiert, die Grande Dame. Jeannie Ebner, Rudolf Bayr, Axel Corti, Kurt Klinger, György Sebestyén oder Franz Kain gehörten zur erlesenen, exklusiven Gästeschar. Die Steyrer beneiden sie, wenn Dora und Heinrich im Jaguar zur Landpartie aufbrechen, werfen ihr aber auch vor, ein Luxusweibchen und eine Rabenmutter zu sein.

1970 erhält sie den Förderungspreis für Literatur des Landes Oberösterreich, 1972 erscheint der schmale Prosaband „Fortdauer der Erinnerung“, der lobend rezensiert wird. Der große Durchbruch als Schriftstellerin will ihr aber nicht gelingen, die von Rudolf Bayr geplante Veröffentlichung des Lyrikbuches „Litanei von den Worten“ im Salzburger Residenz Verlag scheitert. 1976 schreibt sie das „Loblied auf den Mostbirnbaum“, das erst 1981 veröffentlicht wird und zu ihren bekanntesten Werken zählt. Insgesamt aber bleibt ihr Werk schmal und auf verschiedene Zeitschriften und Anthologien verstreut, erst posthum erschien ihr Gesamtwerk, herausgegeben vom Steyrer Autor Till Mairhofer, unter dem Titel „Ein Haus aus Stein“.

1977 geht ihr Mann Heinrich in Pension, wird müder und verfällt schnell. Dora schreibt weniger, dafür trinkt sie mehr. Heinrich liegt oft stundenlang auf der Chaiselongue, hört klassische Musik und bricht in Tränen aus. 1978 stirbt er, sie vereinsamt, fällt auf sich zurück, wird nachlässiger, der schöne, aber baufällige Hof wird zur drückenden Last. 1982 kommt sie ins Krankenhaus, die Diagnose: alkoholische Hepatitis mit Leber- und Nierenversagen. Ihr erster Mann Anton besucht sie am Krankenbett, versichert sie seiner Liebe, bittet sie um Vergebung, dass er „ihrer Veranlagung nicht genügend Rechnung getragen und sie dennoch für eine Lebensbindung beansprucht habe.“ Wenige Wochen später stirbt sie.

Marlene Krisper zeichnet dieses schwierige, oft tragische und traurige, trotzdem bewundernswerte Frauenleben in 67 kurzen Kapiteln nach, zeigt den Mensch hinter den Posen, auf die sie von der Öffentlichkeit reduziert wurde. Sie lenkt den Blick weg vom Äußeren der „beeindruckenden Erscheinung“, zeigt Dora Dunkl als Zweifelnde, als Leidende, als Verletzende, aber auch Verletzte, stellt immer wieder Beziehungen zu ihrem Werk her, sucht nach den Wurzeln ihrer Literatur. Krisper hat eifrig und akribisch recherchiert, Zeitgenossen befragt, Tagebücher und Briefwechsel studiert, die unveröffentlichte Literatur eingesehen. Herausgekommen ist ein feinfühliges, stilistisch hervorragendes Buch, das der Person Dora Dunkl gerecht wird.

Marlene Krisper Dora Dunkl
Eine Nacherzählung.
Steyr: Verlag & Galerie Steyrdorf, 2003.
219 S.; geb.
ISBN 3-902207-13-2.

Rezension vom 18.09.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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