#Roman
#Debüt

Doppler

Thomas Oláh

// Rezension von Jürgen Weber

Was ein Doppler ist, braucht man in Österreich nicht mehr zu erklären. Aber was den Doppler-Effekt betrifft, da gäbe es noch einige Klarheiten, die man beseitigen müsste. Unklarheiten gibt es in der weinseligen Gegend von Frankenhayn, dem Schauplatz des vorliegenden Romans, ohnehin genug. Aber nicht im Wein, der in gut ausgeputzte und gewaschene 2-Literflaschen abgefüllt wird. Denn der Wein, der hier eingeschenkt wird, ist rein.

Flucht nach vorne

Das Romandebüt des auch ansonsten nicht untätigen Kostümdesigners für Kino und TV ist eine Liebeserklärung an die österreichische Provinz und das Aufwachsen in derselben Anfang der Siebziger Jahre. Oláh hat schon mit Leander Haußmann für „Kabale und Liebe„, mit Oskar Roehler für „Jud Süß„, mit Detlev Buck für „Die Vermessung der Welt„, mit Shirin Neshat für „Women without Men“ (Silberner Löwe in Venedig) und mit Brad Anderson für „Stonehearst Asylum“ zusammengearbeitet. Sein kosmopolitisches Arbeitsleben steht also in geradezu krassem Gegensatz zur Kindheit des Protagonisten in seinem Romanerstling. Zuletzt erschien „Wozu mich das Glück noch brauchen wird? Leben und Sterben des Herrn Winckelmann in sechs Monologen“ (2017). „Doppler“ hingegen erzählt die Geschichte eines Jungen, der durch einen Autounfall seine Eltern und seinen kleinen Bruder verliert und dadurch zu seinen Großeltern in die Provinz verbannt wird. Der einzige, beherrschende Gedanke im Exil lautet folgerichtig: Flucht! Ich bin gestrandet, weiß nicht weiter und will nur weg. Was ich nicht ahne: dass dies das mich bestimmende Gefühl bleiben sollte, für lange Zeit.“, resümiert er. Aber bei der Suche nach Fluchtfahrzeugen oder anderen Hilfsmitteln bekommt er immerhin Hilfe von seinen beiden „enthusiastischen Cousins“ (O-Ton). Denn auch die wollen nur eines: weg.

Das Chronometer der Momente

Das bestimmende Gefühl der Kindheit und Jugend dürfte wohl für viele nachvollziehbar sein, aber die Wege, die hier von Oláhs Protagonisten eingeschlagen werden, sind äußerst amüsant und unterhaltsam geschildert. Legendär ist etwa die Schilderung der Standuhr seines Vaters, die nicht nur „Ging„, sondern zur vollen Stunde auch „Gong“ macht, man fühlt sich dadurch beim Lesen in eine andere Zeit versetzt, ganz so, als würde der „Gong“ für einen selbst schlagen. Auch die Ritze, der „Graben„, zwischen den beiden Matratzen seiner Eltern wird liebevoll beschrieben und als „fleischfressende Pflanze“ enttarnt, ein literarisches Bild, das das Kind im Manne sprechen lässt und – in Gedanken an das eigene Einsinken in der Kindheit – zu Tränen rührt. Selbstverständlich nur, wenn man sich die Augen vorher mit Kren eingerieben hat, denn sonst ist es nie zugelassen, zu weinen, am Land. Thomas Oláh hat in seinem Romandebüt einen Ton getroffen, der einen Doppler in jedem Ausdruck findet. Denn nicht nur unsere Sprache hat einen doppelten Sinn, sondern auch unsere Moral. „Tick macht die Pendeluhr, tack antwortet der Chronometer der Momente.“

Gift der Provinz: Alkohol und Kathol

Thomas Oláh weiht seine Leser:innen nicht nur in den Duft von Zwetschgen (Slivovitz), sondern auch in andere Traditionen der „Eingeborenen von Frankenhayn“ ein. Das „Ritual des Gangs in den Keller“, das Verkosten des „Grünen“, die Wertschätzung des Verzehrs und dessen liturgische Bedeutung (am Sonntag trinkt nur der Priester, unter der Woche alle) geben Aufschlüsse über Sozialisation und Alltag in der österreichischen Provinz Anfang der Siebziger. Die Verbrämung von Alkoholismus und Kathol-izismus und der Hass auf die Roten trugen identitätsstiftend zur Genese eines Gemeinwesens bei, wie es heute – leider oder zum Glück – gar nicht mehr existiert. Und so wird Thomas Oláhs Hommage gleichzeitig auch ein Abgesang auf eine Zeit, die für viele trotz aller Entbehrungen doch immer noch eine Sehnsuchtsort bleibt und bis zum Tod bleiben wird: die eigene Kindheit. Aber jedes Exil hat bekanntlich seinen Garten und das ist wohl in vielen Momenten des Alters die (verklärende) Erinnerung.

Kairos-Moment der Literatur

Thomas Oláh hat einen fantastischen, selbstironischen Roman voller Schalk und Provinzpossen geschrieben, der nicht nur unterhaltsam und witzig ist, sondern zugleich auch aufklärerisch und informativ nachwirkt. Man liest Ausdrücke, von denen man schon lange nicht mehr oder noch nie etwas gehört hat und lernt zügig dazu, dass etwa Kairos kein Ägypter, sondern ein Grieche war: ein schneller Läufer, kahlgeschoren, eingeölt, mit drei langen Locken, die man greifen muss, wenn man das Glück erhaschen will. „Er ist die günstige Gelegenheit, der richtige Moment. Er lacht immer.“ Genau dieses Gefühl hat man auch beim Lesen des vorliegenden Romans den man – profaner – auch mit dem Moment vergleichen kann, wenn der önologische Vater seinen Wein das erste Mal verkostet: „Einen Moment lang fasst er wieder diesen unsichtbaren Punkt ins Auge, nickt ihm zu und trinkt. In einem Zug das ganze Glas, schluckt kräftig und bestätigt mit einem Schmatzen.“ Man sollte sich mehr solcher Kairos-Momente gönnen. Doppler ist so einer.

Thomas Oláh Doppler
Roman.
Salzburg: Müry Salzmann, 2023.
200 S.; geb.
ISBN 9783990142394.

Rezension vom 27.02.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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