#Roman

Donnerstags bei Kanakis

Elisabeth de Waal

// Rezension von Sabine E. Dengscherz (Selzer)

Ein Professor für Medizin kehrt aus dem New Yorker Exil zurück nach Wien, ein junges Mädchen verbringt einige Monate bei Verwandten in der Alten Welt, und ein griechischer Millionär sucht eine Hinterhof-Villa zum Restaurieren und Bewohnen. Ihre Bekanntschaften, ihre Wege durch das vom Krieg gezeichnete Wien sind auf schicksalhafte Weise miteinander verflochten. Sie alle müssen sich in einer Gesellschaft zurechtfinden, in der das Gesagte und das Gemeinte nicht immer deckungsgleich sind.

Elisabeth de Waal hat in ihrem Roman Donnerstags bei Kanakis auch einige autobiografische Erfahrungen verarbeitet: Im Dezember 1945 kam sie nach Wien, um nachzuforschen, wer und was von ihrer Familie und dem einstigen Besitz noch übrig war. In ihrem Elternhaus, dem „arisierten“ Palais Ephrussi an der Wiener Ringstraße, sind Büros der amerikanischen Besatzungsmächte untergebracht, das Inventar samt Gemälden weitgehend verschwunden, nur wenige besonders schwere oder sperrige Möbel sind noch übrig. Der Enkel der Autorin, Edmund de Waal, hat die Familiengeschichte in Der Hase mit den Bernsteinaugen nachgezeichnet und auch die wenig geglückten Entschädigungsversuche beschrieben: „Wann immer sie ein Bild zurückerhielten, wurde es verkauft und der Erlös aufgeteilt. Die Gobelins bekamen sie 1949 zurück, mit dem Geld wurden die Schulgebühren beglichen. Fünf Jahre nach dem Krieg erhielt Elisabeth das Palais Ephrussi zurück. Es war keine gute Zeit, um ein kriegsbeschädigtes Palais in einer von vier Mächten besetzen Stadt zu verkaufen, der Erlös betrug lediglich 30.000 Dollar. Danach gab Elisabeth auf.“ Für das ebenfalls „arisierte“ Bankhaus Ephrussi erhielten die Erben „gegen die Zusage, keine weiteren Ansprüche stellen zu wollen, einen Betrag im Gegenwert von damals 5.000 Dollar“. (Edmund de Waal 2011, S. 288f.)

Das Abgespeistwerden, das als Rückkehrer(in) eigentlich gar nicht willkommen Sein, die Schwierigkeiten, in der alten Heimat Fuß zu fassen, erlebt auch der Protagonist in Elisabeth de Waals Roman: Professor Kuno Adler treiben einige Jahre nach dem Krieg Sehnsucht und Heimweh nach Wien zurück, seine Familie bleibt in den USA. Adler versucht, seine alte Stelle an der Universität zurückzubekommen, was ihm auch gelingt – allerdings ist es wirklich ganz genau sein früherer Job: als Assistent. Die fünfzehn Jahre im Exil, in denen er sich wissenschaftlich weiterentwickelt und in den USA Karriere gemacht hat, zählen hier nicht. Wäre er halt dort geblieben. Aber Adler bleibt hier, lässt sich nicht abwimmeln, bleibt hartnäckig, überwindet Enttäuschungen über alte Freunde und neue Bürokraten, lässt sogar offenen Antisemitismus über sich ergehen – und findet am Ende doch noch eine verwandte Seele, die mit ihm das Leben teilt. Die Hoffnung bleibt. Was die Gesellschaft versagt, kann manchmal im Privaten gefunden werden. Auch hier dürften Kuno Adler und seine Schöpferin Elisabeth de Waal einiges gemeinsam haben.

Auch die enge Beziehung zur Universität Wien teilt die Autorin mit ihrer Figur: Das Gebäude steht ihrem Elternhaus auf der Ringstraße gegenüber und hatte auf sie bereits als Jugendliche eine gewisse Faszination ausgeübt: Sie wollte studieren. Und das tat sie dann auch und promovierte 1924 in Jus als eine der ersten Frauen an der Universität Wien. Edmund de Waal sieht Kuno Adler als das literarische Alter Ego seiner Großmutter und den Roman als Aufarbeitung von Elisabeths Wien-Reise im Jahr 1945: „Elisabeth verfasste einen Roman über ihre Reise. Er ist unveröffentlicht. Und nicht zu veröffentlichen, denke ich, als ich das Typoskript durchsehe, 261 Seiten, Korrekturen sorgfältig mit Tippex durchgeführt. Die ungefilterte Emotion macht ihn zu keiner angenehmen Lektüre. Elisabeth tritt darin als fiktiver jüdischer Professor Kuno Adler auf, der nach dem Anschluss zu ersten Mal aus Amerika nach Wien zurückkehrt.“ (Edmund de Waal 2011, S. 274f.)

Die „ungefilterte Emotion“, die durch den unaufgeregten Erzählstil Elisabeth de Waals zuweilen durchschimmert, verleiht dem Roman aber auch seine Lebendigkeit und Authentizität, und das nicht nur in Bezug auf den Professor. Ungefähr gleichzeitig mit Kuno Adler kommen der griechische Millionär Theophil Kanakis und das höhere Töchterl Marie-Theres Larsen nach Wien. Der Roman ist gewissermaßen im „amerikanischen Milieu“ in Wien angesiedelt, gegen Ende der Besatzungszeit. Wien ist wieder eine lebenswerte Stadt, wenn auch die Spuren des Krieges noch unübersehbar sind. So müssen Opernfreunde etwa mit dem Theater an der Wien Vorlieb nehmen, und Professor Adler vermisst schmerzlich die Bäume an der Wiener Ringstraße – die zerstörten, gefällten Bäume als Symbol für so viele im Krieg zerstörte Leben, für so viele Opfer, Gefallene, Ermordete.

Eine Art Gegenpol zur Ernsthaftigkeit und Traurigkeit anderer RückkehrerInnen bildet Theophil Kanakis: der amerikanisch-griechische Millionär, der in Wien nicht seine Wurzeln, sondern einfach nur sein Vergnügen sucht – und das ist durchaus weniger schwer zu finden, vor allem für einen, der über das nötige Kleingeld verfügt, es sich zu kaufen. Er schart eine kleine Gesellschaft um sich, teil nimmt, wer jung und schön ist oder Rang und Namen hat. Verarmte Adelige, Intellektuelle, Künstler – man trifft sich „donnerstags bei Kanakis“. Auch die schöne Marie-Theres Larsen ist dabei. Sie stammt aus einer alten österreichischen Adelsfamilie (allerdings hat bereits ihre Mutter einen „Bürgerlichen“ geheiratet), ist in den USA geboren und aufgewachsen, kommt mit der amerikanischen Lebensart aber offenbar nicht gut zurecht und wird deshalb zu Verwandten nach Österreich geschickt, um auf andere Gedanken zu kommen. Das gelingt auch, tut ihr aber à la longue nicht gut. Marie-Theres verliert sich in einem System, das sie nicht durchschaut; einem Netzwerk aus Standesdünkel, gesellschaftlichen Ränken und allerlei Manipulationen, die sie schließlich das Leben kosten.

Edmund de Waal hat Recht: Das Buch seiner Großmutter ist nicht das, was man landläufig unter „angenehmer Lektüre“ versteht. Dafür gehen einem die Figuren und ihr Schicksal zu tief unter die Haut, sind die Einblicke in die Nachkriegsgesellschaft zu unbarmherzig realistisch. Aber genau das ist es wohl auch, was das Buch so lesenswert macht – abgesehen von der Vielschichtigkeit der Figuren. Elisabeth de Waal ist es gelungen, sehr glaubhafte Charaktere zu schaffen, die nicht einfach bestimmte gesellschaftliche Rollen verkörpern, sondern sie mit ihrer Persönlichkeit ausfüllen – oder eben nicht immer problemlos ausfüllen können. Als LeserIn ärgert man sich durchaus auch ein wenig über so manche Ungeschicklichkeit des Rückkehrers Kuno Adler, über die Naivität und Trägheit von Marie-Theres oder den Leichtsinn einiger ihrer Freunde. Und man ist geneigt, im teils recht manipulativen und rücksichtslosen Theophil Kanakis so manch sympathischen Zug zu erkennen und zu verstehen, dass auch er es in der prüden Wiener Nachkriegsgesellschaft wohl nicht immer leicht hat – so etwa dann nicht, wenn es um seine homosexuellen Neigungen geht. An dieser Stelle ist die Figur vermutlich etwas von Elisabeth de Waals Bruder Ignaz inspiriert.

Die vielfältigen Verflechtungen sowohl der Romanfiguren untereinander als auch der Romanfiguren mit verschiedenen realen Vorbildern, die vielen LeserInnen aus Edmund de Waals Familiengeschichte Der Hase mit den Bernsteinaugen bereits bekannt sein dürften, verleihen dem Roman einen ganz eigenen Reiz. So ist es durchaus erfreulich, dass Edmund de Waals Erfolg dazu beigetragen hat, dass Elisabeth de Waals Roman doch noch erscheinen konnte, zumindest postum – Elisabeth de Waal ist bereits 1991 (im Alter von 92 Jahren) gestorben. Für Literatur hat sie sich schon als junge Frau in der Zwischenkriegszeit interessiert. Sie schrieb Gedichte und stand in Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke. Ihren Roman hat sie im englischen Exil auf Englisch verfasst. Er wurde – ebenso wie „Der Hase mit den Bernsteinaugen – von Brigitte Hilzensauer ins Deutsche übersetzt. So ist eine Geschichte, die in Wien ihren Ursprung nahm, nun nach langer Zeit wieder nach Wien zurückgekehrt.

Elisabeth de Waal Donnerstag bei Kanakis
Roman.
Wien: Zsolnay, 2014.
334 S.; geb.
ISBN 978-3-552-05672-5.

Rezension vom 07.02.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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