#Prosa

Don Juans Rückkehr

Fritz Kalmar

// Rezension von Beatrix Müller-Kampel

„Der Don ist tot“, überschrieb Claudia Unger ihre Dissertation zu ausgewählten deutschsprachigen „Don-Juan“-Dichtungen im 20. Jahrhundert (Graz 2003). Und tatsächlich: Mißt man die literarischen Don-Juan-Gestalten des 20. Jahrhunderts an ihren Urbildern, so liegt er bereits am Beginn des Saeculums in Agonie:

In der Frühzeit der Figurengeschichte, wie sie Tirso de Molinas „El Burlador de Sevilla y convidado de piedra“ („comedia“, UA 1613) oder Mozart / Da Pontes „Don Giovanni“ („dramma giocoso“, UA 1787) repräsentieren, stand ein Herausforderer Gottes, ein Räuber, Vergewaltiger, Totschläger, Vater- und Brudermörder, ein Erzbösewicht, der seine Missetaten skrupellos, ohne an Zukunft, Himmel und Hölle zu denken, ausführt, unbändige Freude daran findet und so gräßlich zu Tode kommt, wie er lustvoll gelebt hat. Schon E.T.A. Hoffmann („Don Juan. Eine fabelhafte Begebenheit, die sich mit einem reisenden Enthusiasten zugetragen“, Novelle, 1813), Lord Byron ( „Don Juan“, Epenfragment, 1819-1824) und Nikolaus Lenau („Don Juan“, Dramenfragment, ED posthum 1851) setzten an die Stelle des hirnlosen triebgesteuerten Wüstlings kultivierte Liebessucher mit Gewissen und Geist. Zum Gejagten wird er bei Ödon von Horváth („Don Juan kommt aus dem Krieg“, Drama, fertiggestellt 1936), zum grübelnden Intellektuellen bei Max Frisch („Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie“), zum erbarmungswürdigen Hanswurst seiner Hormone bei Julian Schutting („Gralslicht“, Drama, ED 1994), schließlich zum „Retter der Frauen“ bei Peter Paul Zahl (Komödie, ED 1998). Nun verführt er wieder, spinnt seine Ränke und rollt seine Redegabe auf wie schon lange nicht mehr: in Fritz Kalmars Erzählbändchen Don Juans Rückkehr.

Die letztplazierte Erzählung hat dem in angenehmem Weinrot gehaltenen, solide gebundenen Bändchen den Titel gegeben. Weit eher als „Erzählungen“, wie der Untertitel lautet, stellen die vier durch die Zentralfigur zusammengehaltenen Prosastücke Novellen im traditionellen Sinne dar: mit ihrer gedrängt erzählten Ereignisfolge, straffer, einsträngiger Handlungsführung sowie pointiertem Höhe- und unerwartetem Wendepunkt. Freude an der Lektüre von Novellen bereitet in erster Linie die Überraschung über eben diesen Wendepunkt, weshalb von der Handlung nur so viel verraten sei, daß es den Titeln entsprechend um eine „Niederlage“, einen „Auftrag“, ein „Armband“ und eine „Rückkehr“ Don Juans geht.

„Rückkehr“ ist in zweifachem Sinne zu verstehen: thematisch, da der Held in der letzten Novelle tatsächlich zum Rück- und Heimkehrer wird; figurengeschichtlich, da dieser Don Juan bemerkenswert unzeitgemäß scheint: Das charakterliche Profil, das ihm der Autor verliehen hat, stammt zwar nicht aus der frühen Ära des Gesetzes- und Frauenschänders im 17. und 18. Jahrhundert; schon eher fügt es sich in die Figurengeschichte des 19. Jahrhunderts – jenes 19. Jahrhunderts, das ich die mittlere Ära des schon ein wenig müde gewordenen Verführers mit Mantel und Degen nennen möchte. Gerade diese Unbekümmertheit um das, was als dichterisch oder auch psychologisch aktuell, interessant, progressiv gilt, rührt sympathisch an.

Womöglich wurzelt diese Unbekümmertheit um ästhetisch-psychologisches Modistentum in der Gelassenheit eines Autors, der sich aus Überzeugung und den Zeitläuften heraus nie auf Brimborien künstlerischer Art einlassen konnte oder wollte: Geboren 1911 in Wien, studierte Fritz Kalmar Rechtswissenschaften, flüchtete 1939 über London und Peru nach Bolivien, wo er 1941 die Exilorganisation „Federación de Austríacos Libres en Bolivia“ mitbegründete. Zwischen 1942 und 1953 gehörte er als Schauspieler und Bühnenautor einer vom Regisseur Georg Terramare und seiner späteren Frau, der Schauspielerin Erna Terrel, gegründeten deutschsprachigen Theatergruppe an; 1953 gründete er in Montevideo/Uruguay, wo Fritz Kalmar seither lebt, die „Kammerspiele“, in denen auch seine Brüder mitwirkten. Das Heimweh scheint Fritz Kalmar nie verlassen zu haben, wie seine Tätigkeit als ehrenamtlicher österreichischer Honorarkonsul in Uruguay, die erzählerischen, essayistischen und journalistischen Beiträge für österreichische und deutsche Periodika („Lynkeus“, „Wiener Journal“) und vor allem die 1997 von Ursula Seeber besorgte Sammlung „Das Herz europaschwer. Heimwehgeschichten aus Südamerika“ (Wien 1997) belegen. Im Wiener Volkstheater kam 1977 sein Schauspiel „Im Schatten des Turms“ zur Aufführung, der Einakter „Don José“ in der Kellerbühne des Wiener Konzerthauses.

Das jetzige literarische Metier Fritz Kalmars ist die Erzählung, die Kurzgeschichte, die Novelle: unprätentiös präsentiert, straff gebaut, flüssig erzählt. Den „Heimwehgeschichten“ folgten die Erzählbände „Das Wunder von Büttelsburg“ (Wien 1999) und „Von lauten und leisen Leuten“ (Wien 2001).

Wäre mir nur ein einziges Adjektiv erlaubt zur Charakterisierung der Novellen zu „Don Juans Rückkehr“, so würde ich sie liebenswürdig nennen: so anheimelnd unzeitgemäß wie das Wort und eben deshalb so einnehmend. Ein Bändchen, das man auf die Liste der Ferienlektüren setzt, ein Bändchen für winterliche Sonntagnachmittage oder eine ruhige Stunde im Café.

Fritz Kalmar Don Juans Rückkehr
Erzählungen.
Wien: Edition Atelier, 2003.
86 S.; geb.
ISBN 3-85308-087-1.

Rezension vom 27.11.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.