#Sachbuch

Diskurse des kalten Krieges

Stefan Maurer, Doris Neumann-Rieser, Günther Stocker

// Rezension von Kurt Bartsch

„Der Kalte Krieg schreibt Literaturgeschichte“, so pointiert Evelyne Polt-Heinzl gegen den „Mythos vom langen Schweigen der Literatur zum Nationalsozialismus“ (in: Kalter Krieg in Österreich, hrsg. von Michael Hansel, Michael Rohrwasser. Wien 2010, S. 123). Wenn es denn eines Beweises bedurfte, dass das Gesamt der österreichischen Literatur der Nachkriegszeit bis Mitte der 1960er Jahre durchaus nicht, wie oft behauptet, apolitisch war, dann ist er mit der vorliegenden, über 700 großformatige Seiten umfassenden Publikation der Ergebnisse eines mehrjährigen Projekts an der Wiener Universität erbracht.

Denn es findet sich eine nicht geringe Anzahl von Texten, die sowohl die Auswirkungen des sogenannten „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West auf den Alltag thematisieren, als auch dem bis in die 1980er Jahre zaghaften öffentlichen Diskurs über den faschistischen Ständestaat und insbesondere über die Naziverbrechen opponieren. Die geringe Beachtung, die diese Texte im „bipolaren Schema“ (15) von im österreichischen Literaturbetrieb bis Mitte der 1960er Jahre dominanter, rückwärtsgewandt austriazistisch ausgerichteter versus Sprache, Formen und Verfahrensweisen thematisierender Literatur erfahren, hängt eben damit zusammen, dass sie nicht in das angesprochene Schema passen. Die Untersuchung basiert auf einem Textkorpus von mehr als fünfzig Beispielen, die sich thematisch ausdrücklich auf Aspekte des Kalten Krieges beziehen und unterschiedlichen Genres, nicht nur den klassischen literarischen Gattungen zuzuordnen sind, vielmehr auch Krimis, Kinder- und Jugendliteratur, kabarettistischen Sketches, aber ebenso propagandistischen Appellen in jeweils von den USA (Friedrich Torbergs „Forum“) beziehungsweise der Sowjetunion („Österreichisches Tagebuch“) subventionierten Zeitschriften und parteiabhängigen Zeitungen. Die explizit antihierarchische Konfrontation von fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten erweist sich als zweckdienlich, um „15 zentrale Diskursmuster“ (19) des Kalten Krieges herauszuarbeiten. An der Textauswahl ist kaum Kritik angebracht, es sind wenige Textbeispiele, die man vermissen mag, wie zum Beispiel Ingeborg Bachmanns Rede zur Verleihung des Büchner-Preises 1964 unter dem Titel Ein Ort für Zufälle, die sowohl mit der Thematisierung der Bedrohung durch den Kalten Krieg, als auch zeitlich in den Rahmen der Untersuchung passen würde. Sensibilität für die Permanenz eines latenten (Kalte-)Kriegszustand hat die Autorin schon in ihrem Gedicht Alle Tage (1953) bewiesen: „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, / sondern fortgesetzt. Das Unerhörte / ist alltäglich geworden.“

Ausgehend vom Jugendbuch Gefährliche Grenze (1956) des prominenten Nazi-Schriftstellers Paul Anton Keller wird eben die Grenzthematik als erstes zentrales „Diskursmuster“ vorgestellt. Die metaphorische Rede vom „Eisernen Vorhang“ bezeichnet das grundsätzliche Gegeneinander zweier Welten im Kalten Krieg, der je nach Zugehörigkeit eigenen, „unseren“ und der jeweils fremden, „anderen Welt“ (21). Die KPÖ stellt, wie zahlreiche Autoren des Ostblocks, die Existenz eines scharf bewachten Eisernen Vorhangs – auch als „unsichtbarer Vorhang“ (51) bezeichnet -, in Frage und glaubt die eigene Friedfertigkeit vom ideologischen und geopolitischen Feind bedroht. Dem kontert Hans Weigel satirisch und der in Mährisch-Ostrau geborene Joseph Wechsberg in seinem zuerst in den USA erschienenen Roman The Self-Betrayed (1954, dt. 1970 Der Stalinist) „auf recht plakative Weise“ (28). Scharfe Kritik an der „Mordgrenze“ (29) wird vor allem in zahlreichen Artikeln in der sozialistischen „Arbeiter-Zeitung“ geübt, diesbezüglich kurioser-, gleichwohl verständlicherweise einer Meinung mit den ehemaligen Funktionären des Kulturreferats der austrofaschistischen „Vaterländischen Front“, Rudolf Henz in seinem Roman Die Nachzügler (1961), beziehungsweise der NS-Reichsschrifttumskammer, Paul Anton Keller.

In dem an amerikanischen Krimi-Autoren orientierten Roman Internationale Zone (1951) von Milo Dor und Reinhard Federmann wird die Vielschichtigkeit der Grenzproblematik in Österreich zwischen den einzelnen Besatzungszonen und vor allem in Wien mit dem ersten Bezirk als internationaler Zone mit wechselndem Vorsitz der vier Besatzungsmächte erkennbar. Prekärer als die Situation in Österreich ist die Teilung Deutschlands und vor allem Berlins. Der Bau einer Mauer mitten durch Berlin – für die eine Seite ein „antifaschistischer Schutzwall“ (40), für die andere eine „Schandmauer“ (41) – wird zum Symbol für die Konfrontation im Kalten Krieg. So bei John le Carrés im Roman Der Spion, der aus der Kälte kam (1963) oder bei Johannes Mario Simmel im Roman Lieb Vaterland magst ruhig sein (1965) und in anderen Texten, in denen nicht selten auch die Fluchtthematik eine Rolle spielt (z.B. bei Uwe Johnson oder Wolfdietrich Schnurre). Parodistisch nähert sich Robert Neumann in dem literarisch anspruchsvollen Roman Die dunkle Seite des Mondes (1959) der Grenzthematik, mystifizierend mit Anleihen bei der griechischen Mythologie Richard Billingers Drama Donauballade (1959).

Das Kapitel über „Die Grenze“ kann gewissermaßen als Ouvertüre für weitere Ausführungen über die unterschiedlichen „Diskursmuster“ gelten. Ideologische und/oder geopolitische Abgrenzung ist das Grundmuster. Das gilt für Kapitel 2 über „Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang“ ebenso wie für Kapitel 3 über „Romeo und Julia im Kalten Krieg“. In jenem wird dem aus kommunistischer Sicht propagandistischen, „Augenzeugenschaft“ durch Reisen in den Ostblock anpreisenden Jugendbuch Die Grenzbuben (1951) der schon genannte, strikt antikommunistische und sowjetkritische Roman Gefährliche Grenze von Paul Anton Keller konfrontiert. Desillusionierte Augenzeugenberichte über die Zustände in der Sowjetunion finden sich seit den späten 1920er Jahren. In der Phase des Kalten Krieges häufen sich einschlägig ausgerichtete Texte. Zu diesen zählen u.a. Reinhard Federmanns Roman Das Himmelreich der Lügner (1959), dem schon im Titel die Desillusionierung eingeschrieben ist, oder das satirische Mittelstück Fahrt ins Rote aus dem Kabarettprogramm Blatt’l vorm Mund (1956) von Carl Merz und Helmut Qualtinger.

Milo Dors und Reinhard Federmanns Roman Romeo und Julia in Wien (1954) überträgt den berühmten Stoff ins zeitgenössische, in vier Besatzungszonen und eine internationale Zone aufgeteilte Wien, variiert das Shakespearesche Konzept der Liebestragödie dahingehend, dass nicht eine Familienfehde, sondern eben die Kalte Krieg-Politik, und dass nur eine Seite, nämlich die sowjetische schuld trägt am tragischen Ausgang, dem Suicid Romeos durch einen inszenierten Autounfall. Auf den selben Stoff greift der österreichische Kommunist Franz Kain in seiner Erzählung Romeo und Julia an der Bernauer Straße (1955) vor dem Hintergrund der Teilung Berlins zurück. Die „Überlegenheit des sozialistischen Staates“ (105) behauptend, wählt das Liebespaar diesen als Lebensraum – ein Happy ending im Sinne des sozialistischen Realismus.

Der Vorwurf des Totalitarismus (Kap. 4) gehört ins verbale Arsenal des Westens im Kalten Krieg, die Warnung vor totalitaristischer Bedrohung demokratischer Gesellschaften zu einem der wichtigen Themen der Literatur. U. a. verweisen die Verf. auf Albert Camus, George Orwell, Eugene Ionesco, Manes Sperber, Arthur Koestler, Milo Dor, Reinhard Federmann, Friedrich Torberg. Dieser schon seit den 1930er Jahren eine der entschiedensten Stimmen gegen totalitaristische Tendenzen im Nationalsozialismus wie im Stalinismus, knüpft im Roman Die zweite Begegnung (1950) an seine antitotalitaristische Haltung an und entwickelt sogar eine „Totalitarismustheorie en miniature“ (137), allerdings keine so differenzierte wie Hannah Arendt in ihrer Schrift über The Origins of Totalitarism (1951). Die Verf. führen eine Reihe weiterer Autoren an, die NS und Kommunismus gleichsetzen (wie Manes Sperber oder Milo Dor), aber auch einige (wie den von Hitler geehrten Bruno Brehm), die nur im stalinistischen Totalitarismus ein Feindbild sehen. Gerade der Kommunismus war für nicht wenige Intellektuelle zumindest zeitweise eine Verlockung, ein Hoffnungsträger im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Thematisch nahe stehend den Ausführungen über Totalitarismus und diese erweiternd, behandelt das Kapitel 5 die Entgegensetzung von „Materialismus versus Christentum“, wobei der Katholizismus in Österreich bekanntlich dominant wirkte. So setzt der zeitweilige Kathpress-Chefredakteur Felix Gamillscheg in seinem Roman Die Getäuschten (1961) auf christliche Werte. Ob von Nationalsozialismus und/oder Kommunismus getäuscht, bleibt offen, der Text verweigert eine eindeutige Festlegung (Vgl. 222f., Anm. 102). Eine entschieden materialismuskritische Haltung bestimmt Erik von Kuehnelt-Leddihns Dystopie Moskau 1997 (1949), die die sowjetische Herrschaft über ganz Europa prophezeit. Die einzige Hoffnung wird auf die christliche Werte hochhaltenden USA gesetzt. Einem trivialen Muster folgend, wendet sich der Protagonist des Romans vorübergehend von den USA ab und der Sowjetunion zu, um dank dem Einfluss einer religiösen Frau wiederum umzukehren. In der Sowjetunion erscheint der Mensch als bloßes Material, als Maschine, Luzifer als Berater der Politik, der „mit Gebeten“ (228) zu begegnen sei.

Die Kapitel 6 („Österreichische Gulag-Literatur“) und 7 („Das Gespenst des Nationalsozialismus im Kalten Krieg“) befassen sich mit der Aufdeckung beziehungsweise Leugnung totalitaristischer Tendenzen. Während kommunistische Autoren wie Ernst Fischer in seinem Drama Brücken von Breisau (1952) mit der „zynische[n] Propagandalüge“ (237), in Sibirien zu urlauben, oder Auguste Lazar im Roman Sally Bleistift in Amerika (1947) mit Kritik an westlichen Medien die Existenz von Lagern in der Sowjetunion leugnen, thematisieren Milo Dor und Reinhard Federmann im Roman Internationale Zone die Angst vor Deportation oder dieser in Himmelreich der Lügner die Unmenschlichkeit der Gefangenentransporte, während Robert Neumann im Roman Die Puppen von Poshansk (1952) die Vertuschung von Greueltaten in den russischen Lagern parodistisch unterläuft. Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reichs verschieben sich die Fronten: Der Kommunismus gilt nun aus der Sicht der USA statt des Nationalsozialismus als „das ‚Böse schlechthin'“ (253). In Österreich entlastet diese Verschiebung vom Schuldanteil an den Nazi-Verbrechen, ermöglicht – beispielhaft etwa in Gamillschegs Die Getäuschten – den problemlosen Wandel vom Nazi zum katholischen Österreich-Patrioten. Diese Entlastung ist nicht gestattet bei jenen Autoren, die, wie Torberg in der Zweiten Begegnung „Wiederholungsstrukturen“ (258) erkennen und Kommunismus mit Nationalsozialismus gleichsetzen. Kommunistische Autoren wie Lazar setzen hingegen Faschismus und Kapitalismus gleich.

Die genannten Gleichsetzungen spielen auch eine Rolle in der Zuschreibung von besonderem Bedrohungspotential im Kalten Krieg an die jeweils andere Seite im atomaren Konkurrenzkampf (Kap. 8). Dabei geht es nicht nur um militärisches Wettrüsten, vielmehr auch um Gewinnung atomarer Energie zu friedlichen Zwecken – was wiederum von der jeweils anderen Seite bezweifelt wird. Stellvertretend für zahllose literarische und nichtliterarische Texte zu diesem Themenkomplex können des deutschen Autors Hans Hellmut Kirsts amerikakritischer Roman Keiner kommt davon (1957) und Torbergs amerikafreundlicher „Forum“-Beitrag (1964) Das Unbehagen in der Gesinnung, Alfred Hellers die friedliche Nutzung der Atomkraft propagierender Roman Zwischen Gott und Teufel (1952) oder aus kommunistischer Sicht Hugo Huppert mit dem Gedicht Totale Sonnenfinsternis (1954) genannt werden. Für den pazifistischen Diskurs nennenswert finden die Verf. Rudolf Geists unveröffentlichten Text Augenzeuge Menschheit (1949).

Der Film Der dritte Mann (1949 nach Graham Greens Drehbuch) hat ein Bewusstsein dafür geweckt, dass Wien mach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Spionagemetropole war (Kap. 9). Dies schlägt sich nieder in einer großen Anzahl von zum Teil dokumentarischen, zum Teil spannenden fiktionalen Texten, nicht zuletzt in billigen Heftchenromanen. Unter deren Autoren findet sich unter Pseudonym überraschend der durch seinen antifaschistischen Roman Achtunddreißig (1967) und den „Bauernroman“ Weilling, Land und Leute“ (1972 veröff. unter dem Pseudonym Max Maetz) bekannt gewordene kommunistische Autor Karl Wiesinger. Weitere schon in anderen Zusammenhängen genannte Autoren und Autorinnen von beiden Parteien des Kalten Krieges haben die Spionagethematik aufgegriffen, Auguste Lazar, Paul Anton Keller, Richard Billinger und vor allem auch Milo Dor und Reinhard Federmann sowie Johannes M. Simmel. Parodistisch und satirisch verfahren insbesondere Merz/Qualtinger in Blattl vor’m Mund (1960) und im das Kalte Krieg-Muster der Bipolarität unterlaufenden „Agentendramolett“ (388) Marx und Moritz oder Das Geheimnis der Büste. Ein west-östliches Hindernisrennen in einem Startschuß und fünf Teilstrecken (1958).

In den Auseinandersetzungen im Kalten Krieg – so analysiert in Kap. 10 – wird der Feind explizit als „Krankheit“ empfunden, woraus man meinte, im Jargon der antisemitischen Nazi-Propaganda vergleichbar, eine Legitimation zur „Vernichtung“ (397) ableiten zu dürfen. Nicht frei von Ressentiments, aber auch nicht so einfach gestrickt wird in Torbergs Novelle Nichts leichter als das (1956) das Leiden des Protagonisten an „politischem Knochenfraß“ (403) als Folge von Erfahrungen in totalitären Systemen dargestellt. Allerdings verfällt er in seinem aggressiven Antikommunismus der Nazi-Rhetorik, wenn er die emigrierte jüdische Schriftstellerin Hilde Spiel eine „Filzlaus“ (404) nennt. Auch Friedrich Heer in Der achte Tag (1950) oder Otto Basil in der satirischen Dystopie Wenn das der Führer wüßte (1966) greifen zurück „auf biologische, medizinische und hygienische Diskurse“ (421). So auch kommunistische Autoren wie Ernst Fischer im Drama Der große Verrat (1950), die sich der „Metapher der Fäulnis“ (407) für den dekadenten Westen bedienen.

Im Kalten Krieg werden alle rhetorischen Register gezogen, um die politische Zielsetzung der eigenen Seite als freiheits- und friedliebend erscheinen zu lassen, während dem Gegner eine solche positive Ausrichtung der Politik abgesprochen wird (Kap. 11). Einen Ausweg aus dem Gegensatz zwischen Ost- und West-Propagandarhetorik, aus der „allgemeinen babylonischen Begriffsverwirrung“ (434) sieht Henz in den Nachzüglern in der Hinwendung zum Katholizismus. In der Zweiten Begegnung vertritt Torberg eine strikt antikommunistische Haltung und die Hoffnung auf Freiheit in der westlichen Demokratie, während Ernst Fischer den „Sieg des Friedens“ (436) für das kommunistische Lager reklamiert. Merz/Qualtinger problematisieren einen ideologisch funktionalisierten Freiheitsbegriff, Federmann wirft der kommunistischen Friedens- und Freiheitspropaganda Verlogenheit vor. Zahlreiche, meist schon in anderen Zusammenhängen genannte Autoren von beiden Seiten haben sich zu der offensichtlich als brennend empfundenen Problematik entschieden und nachdrücklich geäußert (u. a. Gamillscheg, Bruckner, Neumann). Ähnliches gilt für die „Kunst im Kalten Krieg“ (Kap. 12, 463). Die Positionen lassen sich unter die Begriffe „Moderne“ beziehungsweise „Avantgarde“ versus „sozialistischer Realismus“ subsumieren. Eine dritte, konservativ katholische Position nimmt Henz ein, der sich gegen beides richtet und im Roman Der Kartonismus (1965) dem kulturellen Führungsanspruch der Kommunisten satirisch begegnet. Die USA sehen Kunst als „Waffe“ im Kalten Krieg, schmuggeln gewissermaßen Jazz, abstrakte Kunst, moderne Literatur in den Ostblock. Während hier etwa abstrakte Kunst als subversiv eingestuft wird, fürchtet Henz das subversive Potential des sozialistischen Realismus, Torberg kanzelt Thomas Mann ab und inszeniert mit Weigel, der den PEN-Club als „Brückenkopf des Stalinismus“ (488) diskreditiert, den Brecht-Boykott.

In Kap. 13 widmen sich die Verf. den „Narrative[n]“ des nicht selten anzutreffenden Phänomens „des Seitenwechsels“ (505). Je nach Wandel ist von „Konversion, Bekehrung, Renegatentum“ zu sprechen. In den Dramen Russische Ostern (1959) von Kurt Becsi und Die Beförderung (1963) von Helmut Schwarz rekurrieren die Protagonisten in der Abkehr vom Kommunismus zu christlicher Haltung auf die „Tradition des expressionistischen Wandlungsdramas“ (509). Zu autobiographisch grundierten Renegatentexten österreichischer Autoren gehören u. a. die Trilogie Wie eine Träne im Ozean (1940-1951) von Manes Sperber, Milo Dors Tote auf Urlaub (1952) oder Federmanns Das Himmelreich der Lügner. Umgekehrt thematisieren Franz Kain in seiner Romeo und Julia-Erzählung sowie Ernst Fischers Drama Der große Verrat (1950) die Hinwendung zum Kommunismus, aber auch – negativ konnotiert – den im Titel angesprochenen „Verrat“ eines Renegaten. Die Bekehrung zum Kommunismus ist auch Gegenstand von Kinder- und Jugendbüchern wie den schon genannten von Leo Katz und Auguste Lazar.

„Österreich-Bilder aus dem Kalten Krieg“ (Kap. 14) speisen sich aus zwei Komponenten, der Problematisierung des wiedererrichteten kleinen Staates sowie der Entwürfe von „rückwärtsgewandten Utopien“ (545). Beispielhaft findet sich dieser Widerspruch in Ulrich Bechers kurz nach 4 (1957). Gerhard Fritsch kritisiert 1967 das Zurückschauen, hat jedoch mit seinem im vorliegenden Buch unerwähnten Romanerstling Moos auf den Steinen (1956) den Blick zurück geradezu glorifiziert wie auch Henz in den Nachzüglern, mit dem er in der Redaktion von Wort in der Zeit zusammenarbeitete. Satirische Österreich-Bilder, wie Fritsch mit seinem Alltagsfaschismus anprangernden Roman Fasching (1967) oder Rudolf Brunngraber in seinem Drehbuch für den „Staatsfilm“ 1. April 2000 (1952) sie zeichnen, sind auf breite Ablehnung gestoßen. Zukunftsweisende Österreichbilder jedenfalls wurden keine entworfen.

Dass die Zustände in Österreich, besonders in Wien während der Besatzungszeit keineswegs idyllisch waren, beweisen die Ausführungen des Schlusskapitels über „Verschleppung und Menschenraub“, häufig in „Zusammenhang mit Spionage“ (592). Fritz Molden erinnert sich in seinem autobiographischen „Bericht aus Österreich“ Besatzer, Toren, Biedermänner (1980) an Verschleppungen vor allem aus dem sowjetischen Einflussbereich, aber auch aus den drei anderen Besatzungszonen. Diese Tatsache ist im „kollektiven Gedächtnis“ (581) kaum verankert, in der Literatur jedoch ein wichtiges Thema, wenngleich „vergessen“ (ebda). In den Romanen von Milo Dor und Reinhard Federmann spielt es eine große Rolle, aber auch in Franz Kreuzers einzigem Roman, dem „Tatsachenroman vom Menschenraub“ (581f.) Die schwarze Sonne (1956), in Simmels Lieb Vaterland magst ruhig sein, Billingers Donauballade und zahlreichen weiteren Texten mehr oder weniger bekannter, zum Teil schon genannter Autoren.

In der vorliegenden Studie wird ein breites Spektrum „österreichische[r] Nachkriegsliteratur“ abgedeckt. Nicht wenige der fiktionalen Werke wie auch der nichtfiktionalen Schriften (z. B. besonders die Romane von Milo Dor und Reinhard Federmann) greifen auf unterschiedliche der 15 sehr ungleichen „Diskursmuster“ zurück. Wie gesagt, vermisst man kaum einen Text, der in den Gegenstandsbereich fällt, wohl aber gelegentlich eine weniger strikte Zurückhaltung in Bewertungen, zum Beispiel des trivialen Romans Moskau 1997 von Kuehnelt oder der absolut unakzeptablen Äußerung Torbergs über Hilde Spiel. Ergänzt werden die Ausführungen durch ein „Autorinnen- und Autorenlexikon“, das wertvoll ist dank Informationen über kaum oder gar nicht bekannte Texte und Persönlichkeiten des österreichischen Literaturbetriebs in der Nachkriegszeit bis Mitte der sechziger Jahre, sowie durch eine umfassende Bibliographie. Das Buch sollte sich auch als Nachschlagewerk bewähren.

Stefan Maurer, Doris Neumann-Rieser, Günther Stocker Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur.
Mit einem AutorInnen-Lexikon von Desiree Hebenstreit.
Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2017 (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen. 29.).
ISBN 978-3-205-20380-3.

Rezension vom 03.09.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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