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Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub

Roman Markus

// Rezension von Gerald Lind

Wurst und Weltgeschichte – im Sommer 1990 verbindet sich Großes mit Kleinem auf bis dahin ungeahnte Weise, auch für den Wiener Mittzwanziger Dings aus Roman Markus‘ Debüt Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub: „Der Ostblock, Berlin, viele Verhandlungen. Es ist der Wahnsinn, als ob es keine Grenzen mehr gäbe. Nicht im eigentlichen Sinne, aber so fühlt es sich an. Alles ist möglich, man kann alles tun. So wie ich, ich esse alleine Wurst.“ (67) Der Nachteil dieser Veränderungen von makro- bis nanohistorischer Tragweite ist allerdings, dass sie kommen, ob man will oder, wie Dings, eigentlich eher nicht. Und so verliert er zu Beginn des Romans am selben Tag seinen Job beim ORF-Teletext (zu wenig „Mut und Leidenschaft“ für diese Zeiten, wie sein Chef meint) wie auch seine Freundin, die ihn für „eine magnetische, klammernde Krabbe“ (15) hält und lieber in Berlin leben will (womit die gemeinsame Bleibe auch noch dahin ist).

Romanheld*innen dieser Art – ganz unten, gänzlich untätig – brauchen nun, damit sich bei ihnen (und handlungsmäßig) etwas tut, jemand, der sie anstupst. In „Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub“ übernimmt das JC, Dings‘ „engster Freund. Nicht mein bester, mein engster. Engster. Bester. Es gibt Unterschiede.“ (17) Etwas rüde ist JC zwar dabei –“Halt die Klappe und schau zu, ich schenk dir jetzt einen Sommer“ (23) –, aber andererseits hält er, was er verspricht. Denn JC ist mit Katka verbandelt, deren reicher Stiefvater ein abbruchreifes Eckhaus inklusive Kino besitzt, das sie mit ihrer Clique bis zum post-sommerlichen Abriss „besetzen“ darf. Bedingung ist allerdings, dass sich auch jemand darum kümmert, und so hat Dings – in Ermangelung an Freiwilligen aus Katkas pseudokommunistischer Schnösel-Clique – plötzlich Job und Unterkunft: „Ich ziehe bis zum Ende des Sommers in das alte Kino, lege hin und wieder eine Filmrolle ein und achte auf das Gebäude, damit es nicht vorzeitig in sich zusammenfällt.“ (25)

Die Grundkonstellation für einen ungewöhnlichen Sommer (und einen unterhaltsamen Roman) ist damit gegeben, eine ganz wesentliche Zutat fehlt allerdings noch: die Liebe. Die so unkonventionelle wie Dings sympathische Jo ist jedoch, kaum kennen gelernt, gleich wieder weg (bei der nächsten U-Bahn-Station), und auch ein unfreiwilliges Bad im Donaukanal bringt ihn ihr nicht näher. Doch als er über einem Mistkübel hängt, in den er sich gerade erbrochen hat (nur soviel: die im Eingangszitat erwähnte Wurst ist Teil einer eher unappetitlichen Challenge), steht sie auf einmal wieder vor ihm, auch wenn sie ihm deshalb nicht gleich ihre Telefonnummer gibt: „,Musst du dir schon verdienen. Kenn dich ja kaum.‘ Dann hat sie mir eine Nummer auf meine vollgeschmierte Serviette geschrieben, die letzten zwei Stellen aber weggelassen. Hundert Möglichkeiten.“ (71) Dings telefoniert sich zu ihr durch, mit der ihm wie dem Roman eigenen Mischung aus Pfeifdrauf und Pfeifüberhauptnichtdrauf: „Es geht ja um nix. Ja. Eh. Nur um das Leben.“ (130)

Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub ist ein zwischen Rausch und Kater komischtragisch (nicht umgekehrt) dahinstrauchelnder Ausbruchstrip aus dem Muster-Lebenslauf: „Zuerst bekämpfst du das biedere System, dann arrangierst du dich mit seinen Regeln und in der letzten Phase dringt es in dich ein und assimiliert dich. Und dann hast du sie, eine Karriere; juhu.“ (137) Unprätentiös, ungeschönt und sarkastisch blickt Roman Markus durch die Augen seiner Hauptfigur auf die Welt, Parallelen zum im Buch erwähnten Charles Bukowski sind sicher kein Zufall. Nur steht am Ende anders als bei Bukowski nicht misanthropische Verbitterung, sondern ein neu empfundenes, unsentimentales, vielleicht sogar optimistisches Jetzt-Da-Sein, das auch ob der unabänderlichen Vergänglichkeit allen Glücks nicht in unnütze Trübsinnigkeit verfällt: „Der Globus dreht sich eine Zeit lang ohne uns, eine verirrte Biene zieht konzentrische Kreise, wir dösen, und vielleicht ist es ein anderer Tag, vielleicht derselbe, wen kümmert es schon, wir liegen im Gras, irgendetwas verbindet uns, und solange wir nicht darüber nachdenken, wird sich auch nichts ändern, denn heute sind wir unendlich und morgen zerfallen wir zu Staub.“ (205)

Roman Markus Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub
Roman.
Graz: Droschl, 2020.
232 S.; geb.
ISBN 978-3-99059-058-4.

Rezension vom 31.08.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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